SPD-Chef Walter-Borjans: „Das Agieren der Impfstoffhersteller irritiert mich zutiefst“

SPD Parteichef Norbert Walter-Borjans.

SPD Parteichef Norbert Walter-Borjans.

Berlin. Herr Walter-Borjans, an diesem Montag findet der Impfgipfel statt. Was erwarten Sie davon?

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Ich erwarte, dass die Bevölkerung Klarheit darüber erhält, wer wann geimpft wird. Wir sind in einem Wettlauf mit dem Virus und seinen Mutationen auf der einen Seite und einer ausreichenden Immunisierung durch Impfung auf der anderen. Wir müssen verhindern, dass Ärzte gezwungen sind, über Leben und Tod von Patienten entscheiden zu müssen. Gleichzeitig müssen wir die Gefährdung wirtschaftlicher Existenzen mit schwerwiegenden Folgen für unser Land abwenden. Deshalb muss endlich klar werden, wie wir ausreichende Mengen an Impfstoff sichern und wie die Impflogisitk aussieht. Ich bin schockiert über den Mangel an Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein bei einigen Herstellern. Es geht hier nicht um Schokolade, sondern um ein Produkt, an dem Existenzen und der Zusammenhalt der Gesellschaft hängen. Ich erwarte Erkenntnisse darüber, ob die Verantwortlichen in EU und Bund zu blauäugig waren, aber vor allem, welche Schlussfolgerungen gezogen werden.

Die EU-Kommission sieht es so, dass Europa bei der Impfstoffverteilung benachteiligt wird. Sie auch?

Das Agieren der Impfstoffhersteller irritiert mich zutiefst. Was sind das für Manager, die mitten in einer gesellschaftlichen Notsituation ohne mit der Wimper zu zucken gegebene Zusagen wieder zurücknehmen? Die Unternehmen haben eine Gesamtverantwortung für die Gesellschaft – besonders, wenn sie mit Millionen Euro aus Steuermitteln gefördert worden sind. Ich erwarte von den Unternehmenslenkern, dass sie dieser Verantwortung gerecht werden.

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Muss Brüssel gegenüber den Herstellern mehr Härte zeigen?

Ich würde sagen: mehr Klarheit und Konsequenz. Europa darf sich weder von Pharmakonzernen noch von ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedachten Regierungen auf der Nase herumtanzen lassen. Die EU ist einer der größten Absatzmärkte der Welt. Wir sind 450 Millionen Menschen. Wenn sich Europa den Schneid abkaufen lässt, dient das ja nicht benachteiligten Regionen in der Welt, sondern denen, die am kaltschnäuzigsten handeln. Wo mit harten Bandagen gekämpft wird, müssen wir gegenhalten, auch um für eine weltweit gerechte Verteilung zu sorgen.

Großbritannien hat als weltweit erstes Land mit den Impfungen begonnen – und frühzeitig großzügig bestellt. Europa hat derweil um Preise gefeilscht. War Großbritanniens Premierminister Boris Johnson vorausschauender und cleverer als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?

Europa hat auch Wert auf ein ordentliches Zulassungsverfahren gelegt. Schlimmstenfalls hat Boris Johnsons Hauruckpolitik zur Folge, dass in Großbritannien die Älteren mit dem falschen Serum geimpft wurden. Das wünsche ich den Briten wirklich nicht, und das will ich auch für uns nicht. Um zu bewerten, ob Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Fehler zu verantworten hat, müssen alle Verträge mit Herstellern auf den Tisch. Ich fordere die EU-Kommission auf, schnell für volle Transparenz zu sorgen. Dass Brüssel die Verträge bislang nur zögerlich und mit vielen Schwärzungen veröffentlicht, macht misstrauisch. Dass der Etatansatz für die Impfstoffbeschaffung insgesamt zu niedrig war, steht fest. Da muss sich auch der deutsche Gesundheitsminister fragen lassen, warum er nicht mehr Geld zur Verfügung gestellt hat.

Neben dem Impfstoffgipfel könnte es in dieser Woche auch einen Koalitionsgipfel geben. Wie ist der Stand der Planungen?

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Mir ist es sehr wichtig, dass die Spitzen von CDU, CSU und SPD bald zusammenkommen. Natürlich wollen wir vom neuen CDU-Chef Armin Laschet unmittelbar etwas über seine Vorstellungen von der Arbeit der Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode hören. Aber es gibt auch akuten Lösungsbedarf.

Welchen?

Wir wollen eine Einmalhilfe für Grundsicherungsempfänger in der Pandemie. Die Forderung hatten wir schon bei den Verhandlungen über das Konjunkturpaket im Juni, sind damit aber am Widerstand die CDU gescheitert. Jetzt sind wir mehr als ein halbes Jahr weiter, und ein Ende der Belastungen ist nicht in Sicht. Es zeigt sich immer deutlicher, dass Corona auch eine soziale Frage ist. Menschen mit weniger Geld leiden in der Pandemie stärker, zum Beispiel unter beengten Wohnverhältnissen und weil Hilfsangebote wie Tafeln wegfallen. Ihnen wollen wir mit einer Einmalzahlung ein Stück Entlastung verschaffen.

Welche Summe schwebt Ihnen vor?

Ein Zuschuss von 200 Euro wäre für viele Menschen, die in Armut leben, eine große Hilfe und würde die Allgemeinheit nicht überfordern. Wir tun für gefährdete Unternehmen zu Recht viel. Daran gemessen wäre eine solche Hilfe ein Klacks. Ich meine, darauf müssten wir uns einigen können, wenn sich CDU und CSU der Bedeutung des Buchstaben C in ihren Namen bewusst sind. Ich kann mir auch vorstellen, den Kinderbonus ein weiteres Mal zu gewähren. Davon würden dann auch Familien bis in die wirkliche Mitte der Gesellschaft hinein profitieren.

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Die CDU debattiert derzeit über eine Reform der Schuldenbremse. Wie ist die Position der SPD?

Wir blicken mit Interesse und Verwunderung auf die Debatte in der CDU. Wenn der für Beiträge zur Finanzpolitik nicht gerade bekannte Kanzleramtsminister einen solchen Vorstoß unternimmt, ist das mit Sicherheit keine einfach daher gesagte Privatmeinung. Das ist ein durchschaubares Rollenspiel. Die Konservativen wissen, dass die brachiale Rückkehr zur Nullkreditaufnahme in der nächsten Legislaturperiode jeder Regierung den Hahn zudrehen würde. Dann ginge nur ein Entweder-oder zwischen dringend nötigen Zukunftsinvestitionen und dem Erhalt öffentlicher Leistungen, die uns gerade durch die Krise helfen. Erst recht, wenn CDU und CSU auch noch ankündigen, die Steuern besonders für Topverdienende und Großunternehmen zu senken. Dieses Dilemma müssen erst mal CDU und CSU klären. Ich muss meine Position nicht korrigieren, dass Kredite erst recht zum Nullzins für Investitionen in die Zukunft unseres Landes allemal sinnvoller sind als marode Infrastruktur, Digitalisierungsrückstand und Defizite bei der Bildung. Aber nicht für Steuergeschenke an die reichsten 2 bis 3 Prozent.

Was wollen Sie an der Schuldenbremse ändern?

Die Schuldenbremse hatte von Anfang an einen Konstruktionsfehler, und zwar den, dass Zukunftsinvestitionen nicht über Kredit finanziert werden dürfen. Praktisch jedes Unternehmen macht das. Darüber wird beizeiten zu reden sein. Jede Partei, die den Anspruch hat, in der kommenden Legislaturperiode zu regieren, muss auch einen Plan haben, was sie wie finanzieren will. CDU und CSU haben bislang aber erkennbar keinen Plan.

Die SPD klammert sich an ihren Anspruch, das Kanzleramt zu erobern, obwohl die Umfragewerte seit Monaten bei etwa 15 Prozent stagnieren. Müssen Sie nicht am Ende schon dankbar sein, wenn aus dem TV-Duell ein Triell wird, damit ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz überhaupt noch mitmachen darf?

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Die SPD hat alle Chancen, bis zum September an den Grünen vorbeizuziehen. Deshalb hätte ich kein Problem mit einem Duellformat. Aber auch dann wäre es nicht fair, den vermutlich knapp folgenden Dritten auszuschließen. Ich verstehe deshalb die Überlegung der Sender, alle Kanzlerkandidaten mit der rechnerischen Chance auf die Führung der Regierung zu berücksichtigen.

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