Infektionsschutzgesetz: Was darüber behauptet wird, und was davon stimmt
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Berlin: Ein Teilnehmer steht bei einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung am Brandenburger Tor unweit des Reichstagsgebäudes vor Polizisten.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Im Bundestag wurde heute hitzig über eine Reform des Infektionsschutzgesetzes debattiert. Sie schafft für die per Verordnung erlassenen Corona-Maßnahmen eine bessere gesetzliche Grundlage. Das Gesetz spricht bisher nur von „notwendigen Schutzmaßnahmen“, die die „zuständige Behörde“ treffen kann. In der neuen Fassung soll nun ein Paragraf eingefügt werden, der die möglichen Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret auflistet.
Infektionsschutzgesetz verabschiedet – Proteste in Berlin
Die Polizei löste während der Abstimmung im Bundestag eine Demonstration mit Tausenden Gegnern der Corona-Auflagen in Berlin auf.
© Quelle: Reuters
Das Vorhaben hat für teils heftige Kritik gesorgt, die auf unterschiedlichen Behauptungen fußt. Welche Behauptungen das sind, und wie diese einzuschätzen sind, lesen Sie hier in der Übersicht.
Behauptung: Das Gesetz ist ein „Ermächtigungsgesetz“ wie 1933.
Der Vergleich ist abwegig. 1933 setzte der Reichstag die Verfassung außer Kraft und hob die Gewaltenteilung auf. Die Reichsregierung unter Adolf Hitler konnte nun alle Gesetze selbst beschließen. Zum Zeitpunkt der Abstimmung im Reichstag war ein Teil der Abgeordneten bereits im Gefängnis, die anderen wurden durch bewaffnete SA- und SS-Männer bedroht.
Bei der Abstimmung heute wurden die Abgeordneten höchstens von den Gegnern des Gesetzes bedroht. Das Infektionsschutzgesetz muss sich auch nach der Neuregelung am Grundgesetz messen lassen.
Und auch, dass der Begriff „ermächtigen“ an 25 Stellen im Gesetzestext auftaucht, ist kein versteckter Hinweis auf 1933. Es handelt sich vielmehr um einen gängigen Fachausdruck in der deutschen Verwaltungsjuristerei.
Polizei in Berlin löst Demo von Gegnern der Corona-Maßnahmen auf
Die Demonstration im Regierungsviertel richtet sich gegen die Corona-Einschränkungen.
© Quelle: Reuters
Behauptung: Deutschland wird jetzt eine Hygiene-Diktatur.
Das ist völlig aus der Luft gegriffen. Demokratie und Rechtsstaat bleiben auch nach dem 18. November voll erhalten.
Im Infektionsschutzgesetz wird nur eine präzisere Rechtsgrundlage für die bereits geltenden Corona-Beschränkungen eingeführt. Viele Maßnahmen wurden bisher auf die Generalklausel des Gesetzes gestützt, die „notwendige Schutzmaßnahmen“ erlaubt. Jetzt zählt ein neuer Paragraph 28a die gängigen Maßnahmen ausdrücklich auf: von der Maskenpflicht bis zur Restaurantschließung. Der Staat erhält dadurch also keine neuen Befugnisse.
Behauptung: Das Gesetz setzt die Grundrechte außer Kraft.
Nein, die Grundrechte gelten weiter. Kein Grundrecht wird abgeschafft oder außer Kraft gesetzt.
Das Gesetz erlaubt aber – wie bisher auch – Eingriffe in Grundrechte. Solche Eingriffe müssen im Rechtsstaat per Gesetz geregelt sein. Das Änderungsgesetz, das heute beschlossen wird, enthält deutlich präzisere Eingriffsermächtigungen als bisher.
Eingriffe in die Versammlungs- und Religionsfreiheit werden im neuen Gesetz sogar erschwert. Beschränkungen von Demos und Gottesdiensten sind nur noch zulässig, wenn die Eindämmung der Covid-19-Pandemie sonst „erheblich gefährdet“ wäre.
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Behauptung: Sachverständige haben das Gesetz bei einer Anhörung verrissen.
Bei einer Anhörung des Bundestags vorige Woche sprachen sich gesundheitspolitische Sachverständige eher für das Gesetz aus, während Juristen teilweise harte Kritik äußerten.
Deshalb wurde der Gesetzentwurf in den letzten Tagen noch einmal nachgebessert. Corona-Verordnungen müssen nun begründet und befristet werden. Nach vier Wochen sollen sie grundsätzlich auslaufen oder sie müssen neu beschlossen werden. Die juristische Sachverständige Andrea Kießling (Uni Bochum) twitterte am Dienstag: „Ich begrüße es sehr, dass die Regierung viele der Forderungen der Sachverständigen aufgenommen hat.“
Infektionsschutzgesetz: Heftige Debatte im Bundestag
Der Bundestag hat ein neues Infektionsschutzgesetz verabschiedet.
© Quelle: Reuters
Behauptung: Der Bundestag entmachtet sich selbst.
Der Bundestag hatte beim Infektionsschutz noch nie viel zu sagen. Er beschließt das Infektionschutzgesetz und seine Änderungen. Und seit März obliegt ihm auch die Feststellung, ob eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ besteht.
Die allermeisten Corona-Eingriffe in Rechte der Bürger beschließen aber weder Bundestag noch Bundesregierung, sondern die Landesregierungen per Verordnung. Daran ändert sich nichts.
Da in der Demokratie aber alle wesentlichen Entscheidungen von Parlamenten getroffen werden müssen, sollten die Landtage gegenüber den Landesregierungen gestärkt werden. Der Stuttgarter Landtag hat zum Beispiel im Juli ein Corona-Begleitgesetz beschlossen, wonach Corona-Verordnungen in Baden-Württemberg spätestens nach zwei Monaten die Zustimmung des Landesparlaments brauchen.
Behauptung: Bald kommt die Impfpflicht.
Mit der jetzt anstehenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird keine Impfpflicht eingeführt. Die Corona-Impfungen, die Mitte Dezember beginnen sollen, werden völlig freiwillig sein. In den kommenden Monaten muss die Politik angesichts begrenzter Impfkapazitäten eher entscheiden, welche Gruppen als erste ein Recht auf Impfung haben und welche länger warten müssen.
Bisher geht die Politik davon aus, dass ein Impfgrad von 60 Prozent der Bevölkerung genügt, um die Pandemie zu stoppen. Dieser Anteil dürfte auch ohne Impfgegner gut machbar sein – soweit der Impfstoff wirksam und weitgehend nebenwirkungsfrei ist.