Immunitätsausweis? Mikrobiologe rät wegen neuer Studie ab
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"Wir wissen, dass die Antikörper da sind, wir wissen sogar, wie sie aussehen – wir wissen aber nicht, was sie können", sagt Werner Solbach, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene. Der emeritierte Hochschullehrer und Dekan in Lübeck ist weiterhin in der Forschung tätig. Im Januar dieses Jahres wurde er auf Bundesebene in die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit berufen, die die Bundesregierung berät.
© Quelle: Universität Lübeck
Werner Solbach, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene in Lübeck, ging im April optimistisch ans Werk: Lässt sich das neue Coronavirus vielleicht durch mehr Antikörpertests gleichsam in die Ecke treiben?
Gemeinsam mit dem Lübecker Gesundheitsamt erforschte Solbach, ob und in welcher Konzentration nachweislich infizierte Personen Antikörper entwickeln. Sind die Antikörper nach der Infektion verlässlich nachweisbar? Und verschafft dies den Betroffenen dann einen hinreichenden Schutz?
Es war eine Studie, die sich bewusst fernhielt von Extremen aller Art. Die Region Lübeck ist kein “Hotspot”, schon 13 Tage vor dem Bundesdurchschnitt gab es hier mehr Genesene als Neuerkrankte. Zudem verliefen alle in der Lübecker Studie untersuchten 110 Fälle mild bis moderat.
“Uns ging es darum, die Menschen von den vielen Schutzmaßnahmen und Beschränkungen, die damals eingeführt worden waren, möglichst wieder zu befreien”, berichtet Solbach. “Ich bin dann aber durch unsere eigene Studie eines Besseren belehrt worden.”
“Es war ein sehr buntes Bild”
Das Problem war die dramatische Uneindeutigkeit der Ergebnisse: “Es war ein sehr buntes Bild.”
Zu ihrer Verwunderung stießen Solbach und sein Team auf zahlreiche Patienten, die eine deutlich spürbare Covid19-Erkrankung durchgemacht hatten – aber dennoch keine Antikörper aufwiesen, weder zwei noch vier Wochen nach der Infektion.
Umgekehrt gab es aber auch Infizierte, die zwar keine oder fast keine Symptome hatten – aber später deutlich messbare Antikörper im Blut zeigten.
Die Details der Studie wurden, wie derzeit in der Covid19-Forschung üblich, noch vor Abdruck in einer Fachzeitschrift auf dem Pre-Print-Server Medrxiv veröffentlicht.
An den inzwischen üblichen Messmethoden als solchen hat Solbach keinen Zweifel. Unklar sei aber, was ein positiver Test auf Antikörper für den einzelnen Patienten medizinisch wirklich bedeute.
“Wir wissen, dass die Antikörper da sind, wir wissen sogar, wie sie aussehen – wir wissen aber nicht, was sie können”, sagt Solbach. “Wir wissen nicht, ob der Mensch, der Antikörper hat, wirklich geschützt ist.”
Haben vor diesem Hintergrund Bemühungen um einen Immunitätsausweis überhaupt einen Sinn?
SPD warnt vor Zwei-Klassen-Gesellschaft
Solbach rät inzwischen ab. Man blicke, bislang jedenfalls, leider auf allzu viele Uneindeutigkeiten, sagte er am Donnerstag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Zerbrechen sich die 24 Mitglieder des Deutschen Ethikrats, die das Thema am gleichen Tag erstmals hin- und herwälzten, also umsonst den Kopf? Dem Gremium gehören neben Philosophen, Juristen, Physikern und Theologen mehrere Ärzte an, auch die Vorsitzende des Gremiums, Alena Buyx aus München, ist Medizinerin.
Bestätigt wurde am Donnerstag nur, dass der Ethikrat sich das Thema Immunitätsausweis nun erstmals vornahm. Eine öffentliche Verlautbarung werde es aber in dieser Woche “mit Sicherheit nicht geben”, ließ Ulrike Florian, Pressesprecherin des Gremiums, wissen.
Die SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas betonte unterdessen erneut die Skepsis ihrer Fraktion: “Wir wollen keinen Immunitätsausweis im Sinne eines Passierscheins einführen.” Fakt sei allerdings auch, fügte die Sozialdemokratin hinzu, dass jeder sich schon jetzt Untersuchungsergebnisse von Ärztinnen und Ärzten aushändigen lassen kann. “Eine Dokumentation von ärztlichen Ergebnissen ist üblich.” Daraus dürfe aber keine “Zwei-Klassen-Gesellschaft von Menschen mit und ohne Immunität” werden.
Investoren wittern ein Geschäft
An ein komplettes Ende der Debatte um Immunitätsausweise indessen mögen viele immer noch nicht glauben. Im Gegenteil: Manche sehen hier sogar ein künftiges Geschäftsfeld. Die neue Blockchain-Technologie, heißt es in der Branche, können Fälschungen verhindern – die in diesem Fall schlimme Folgen haben könnten.
Die Kölner Firma Ubirch erforscht gerade Konzepte, wonach Daten aus Impfpässen und aktuelle Testergebnisse zu “digitalen Gesundheitszertifikaten” zusammenfließen könnten. Datenschützer sind alarmiert, Gegner der Impfpflicht wittern eine Verschwörung.
Tatsächlich geht es bei Ubirch nicht um ein paar Tüftler in einer Garage, sondern um eine respektable Runde von Interessenten, die in einem Konsortium neue Möglichkeiten ausloten wollen. Mit dabei sind Unternehmensangaben zufolge unter anderem das Gesundheitsamt der Stadt Köln, die Lufthansa Industry Solutions GmbH – und die Bundesdruckerei.