Gericht stoppt Vermummungsverbot in Hongkong vorerst nicht
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Ein maskierter Demonstrant läuft über eine Straße. Maskierungen wie diese sind in Hongkong verboten - das bestätigte nun das höchste Gericht.
© Quelle: Vincent Thian/AP/dpa
Hongkong. Das prodemokratische Lager in Hongkong hat das Vermummungsverbot und den Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht vorerst nicht stoppen können, aber erstmal einen Teilerfolg erzielt. Ein Gericht lehnte eine einstweilige Verfügung ab, erlaubte aber eine ausführliche richterliche Überprüfung, die Ende Oktober stattfinden soll. Die Entscheidung fiel am Sonntag, als sich wieder Demonstranten auf den Straßen versammelten, um gegen die Hongkonger Regierung und den langen Arm der kommunistischen Führung Pekings zu protestieren.
Vor dem Gericht argumentierte die Verfassungsrechtlerin Gladys Li, dass Regierungschef Carrie Lam ihre Exekutivgewalt überschritten habe, als sie am Freitag am Parlament vorbei das Vermummungsverbot erlassen habe. Auch hätte sie das Parlament jederzeit einberufen können, um das Gesetz zur Beratung und Annahme vorzulegen.
Die wahre Gefahr für die Öffentlichkeit ist eine Führung, der es an Gefühl für die öffentlichen Interessen mangelt und die völlig den Bezug zur einfachen Bevölkerung verloren hat.
Gladys Li
Verfassungsexpertin und Anwältin
Das eigens dafür aktivierte, fast 100 Jahre alte Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit stehe im Widerspruch zu dem seit der Rückgabe der Kronkolonie 1997 an China geltenden Grundgesetz und der verankerten Gewaltenteilung, sagte die Juristin. Das Grundgesetz ist praktisch die Mini-Verfassung der nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ autonom regierten chinesischen Sonderverwaltungsregion.
Das Notstandsrecht sei viel zu vage und gebe der Regierungschefin zu viel Macht, was auf Kosten der Öffentlichkeit gehe, befand Anwältin Li. Die Verfassungsexpertin ist Mitbegründerin der oppositionellen Civic Party, die im Parlament vertreten ist. Der sogenannte Legislativrat ist nicht wirklich frei gewählt und mehrheitlich von peking-freundlichen Abgeordneten besetzt.
„Die wahre Gefahr für die Öffentlichkeit ist eine Führung, der es an Gefühl für die öffentlichen Interessen mangelt und die völlig den Bezug zur einfachen Bevölkerung verloren hat“, sagte Anwältin Li und kritisierte das Notstandsrecht: „Wir müssen uns sehr sorgfältig die unbegrenzte Natur der Urquelle dieser sogenannten Vollmachten anschauen - und welche Art von Gift aus der Urquelle fließen könnte.“
"Chaos, wie es seit 1967 nicht mehr gesehen wurde"
Die Regierungsanwälte konterten hingegen, es gehe um die öffentliche Ordnung, Brandstiftung und Gewalt auf den Straßen. „Wir sorgen uns um Chaos, wie es seit 1967 nicht mehr gesehen wurde.“ Damit wurde auf den damaligen Aufstand prokommunistischer Kräfte gegen die britische Kolonialherrschaft verwiesen. Es war das letzte Mal, dass das Notstandsrecht bemüht worden war.
Das Gesetz „für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr“ von 1922 hatten die Kolonialherren nur zweimal angewandt: Um im selben Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen und bei den Unruhen 1967. Es gibt der Regierungschefin weitreichende Vollmachten, „die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden“. Genannt werden unter anderem Zensur, erleichterte Festnahmen und Haftstrafen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.
U-Bahnnetz lahmgelegt
Nachdem das komplette U-Bahnnetz am Samstag geschlossen war, wurde der Betrieb am Sonntag teilweise wieder aufgenommen. Knapp die Hälfte der mehr als 90 U-Bahnstationen blieben aber geschlossen, da die Einrichtungen bei den Krawallen am Freitagabend schwer beschädigt wurden. Auch sollte die U-Bahn am Sonntagabend nach 21 Uhr nicht mehr fahren, um weitere Reparaturen zu ermöglichen. Für Sonntag hatten Demonstranten zu zwei nicht genehmigten Märschen aufgerufen.
Die sieben Millionen Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.
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RND/dpa