Höher Wohnen
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Luft nach oben: Der "Grand Tower" in Frankfurt am Main soll 400 Wohnungen Platz bieten.
© Quelle: dpa
Berlin/Frankfurt. Ihr unmoralisches Angebot nahm die Münchner Maklerin dann doch lieber schnell wieder aus dem Netz. Die Dame bot im Stadtteil Schwabing ein „schnuckliges“ 13 Quadratmeter großes Zimmer zum Kauf an – für 214 500 Euro, das entspricht einem Quadratmeterpreis von 16 500 Euro. Der Clou: Klo, Dusche, Waschbecken und Flur sollte sich der Käufer mit Mitbewohnern der Wohnung teilen.
Absurd? Ja. Aber unverschämte Angebote von Verkäufern und Vermietern sowie verzweifelte Anzeigen in Zeitungen, online oder an Straßenbäumen von Wohnungssuchenden sind in Großstädten wie Hamburg, Frankfurt am Main, München oder Berlin inzwischen völlig normal. Dafür gibt es vor allem einen Grund: Angebot und Nachfrage entfernen sich in atemberaubendem Tempo voneinander.
78 Prozent der Deutschen leben inzwischen in Städten. Hier sind Arbeit, Hochschulen, Kultur und geballte medizinische Angebote. Der Zuzug ist stetig: es kommen Alte und Junge vom Lande, Studierende aus dem Ausland, in Deutschland arbeitende Europäer. Die Städte schwellen im Zeitraffer an – die Mainmetropole Frankfurt etwa wächst jährlich um 17 000 Einwohner, Berlin sogar um 40 000.
Allein in Berlin, so rechnet der Senat, müssten bis 2030 ungefähr 194 000 Wohnungen neu gebaut werden, um den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum zu decken. Derzeit entstehen in der Hauptstadt nicht einmal jährlich 10 000 neue Wohnungen – und die durchschnittliche Nettokaltmiete liegt schon bei 10 Euro pro Quadratmeter. In München klafft zwischen realer Bautätigkeit und Bedarf jedes Jahr eine Lücke von fast 7000 Wohnungen, in Hamburg von rund 3500, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelt. Das treibt Miet- und Kaufpreise immer kräftiger nach oben.
In Metropolen treten inzwischen Discounter wie Lidl und Aldi auf den Plan. Sie könnten in den kommenden Jahren bis zu 36 000 Wohnungen in der Hauptstadt bauen, direkt auf den Dächern ihrer Märkte. 330 der etwa 1000 Standorte sind nach Angaben des Senats für solche Überbauung geeignet. Lidl kann bereits zwei Projekte zeigen. Aldi Nord, so Jörg Michalek, Geschäftsführer der Aldi-Immobilienverwaltung, plane vorerst an 30 Standorten insgesamt 2000 Wohnungen. Die ersten 50 sollen bereits nächstes Jahr fertig sein.
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Wohnen über dem Discounter: Aldi Nord will in Berlin Wohnungen über seine Märkte bauen – ansonsten gäbe es für die Erweiterungen der Filialen keine Genehmigungen mehr.
© Quelle: aldi nord
Aldi ist nicht der barmherzige Samariter der Großstädte. Hintergrund der Pläne ist das neue Filialkonzept, das statt der derzeit üblichen 800 Quadratmeter Verkaufsfläche künftig bis zu 1400 vorsieht. Ohne Wohnraum zu schaffen gibt’s dafür in der City keine Genehmigungen mehr.
Es geht um Geschosszahlen
Schnäppchen werden diese Wohnungen, die im Schnitt drei Zimmer haben sollen und 60 Quadratmeter groß sind, nicht. Der Discounter rechnet mit Mietpreisen von rund 10 Euro kalt pro Quadratmeter. Immerhin: 30 Prozent der errichteten Wohnungen sind als Sozialwohnungen vorgesehen – derzeit liegen die Mieten dafür im Schnitt bei 6,50 Euro kalt pro Quadratmeter. Reiner Wild, Chef des Berliner Mietervereins, findet die Idee gut: „Es würde doch niemand mehr verstehen, wenn in der Innenstadt statt Wohnungen noch größere, einstöckige Supermärkte mit riesigen Parkplätzen genehmigt werden.“ Auch wenn auf Großstadtdächern noch Möglichkeiten schlummern, die strukturellen und politischen Wohnungsprobleme in den Metropolen werden auch die Handelsketten nicht lösen.
Aber der Weg sei richtig, sagt Julian Wékel, Leiter des Instituts für Städtebau und Wohnungswesen an der Deutschen Akademie für Städtebau. „Wir müssen erkennen, dass wir nicht wie früher unbebauten Boden vor der Stadt für neue Wohnungen nutzen sollten, sondern analysieren, wie viele Innenpotenziale wir zunächst noch erschließen können. Da geht es um Geschossanzahl und weitere Verdichtungen.“
Neue Häuser, neue Skylines?
Kleiner Vergleich: Südkoreas Hautstadt Seoul breitet sich auf weit weniger Fläche als Hamburg aus. Dort leben aber nicht 1,7 Millionen Menschen wie in der Hansestadt, sondern zehn Millionen Menschen. Die Skyline wird beherrscht von Büro- und Wohntürmen. Alles andere ordnet sich unter. Ist das ein Weg für die städtebauliche Zukunft für Berlin, München, Köln oder Hamburg?
Wenn Magnus Kaminiarz aus seinem Bürofenster schaut, sieht er die Tower von Commerzbank und Deutscher Bahn in den Frankfurter Himmel ragen. Der Architekt selbst logiert mit seinen Mitarbeitern in der vierten Etage eines funktionalen, sechsgeschossigen Baus in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs. Dabei baut der Mann Hochhäuser. Und was für welche! Mit dem 172 Meter hohen Grand Tower im hiesigen Europaviertel hat Kaminiarz Deutschlands höchstes Wohnhochhaus entworfen. 2019 sollen die 400 Nobelwohnungen bezugsfertig sein – samt einer für alle Bewohner offenen Sonnenterrasse im 43. Stock.
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Der Franktfurter Magnus Kaminiarz (53) hat als Architekt das höchste deutsche Wohnhaus, den Grand Tower in Frankfurt am Main, konzipiert.
© Quelle: Cleven
Den 53-jährigen gebürtigen Bremer, der mit dem Projekt viele Preise eingeheimst hat, treibt die Verdichtung der Innenstädte um, wie er sagt. Verdichtung und Hochhäuser – das klingt nach dem Plattenbaucharme der Siebzigerjahre. Heute heißt das jedoch bei Planern und Architekten Nutzung freier Innenstadtflächen, Schaffung attraktiver Wohnungen, Verkehrsflächenreduzierung – kurz: In die Breite geht es kaum noch, aber in die Höhe. Hinzu kommt: Das Wohnen mit Blick über die Stadt ist wieder beliebt. Nach einer Studie eines Immobilienberaters entstehen allein zurzeit 9000 Hochhauswohnungen in den sieben größten deutschen Städten.
„Hoch zu bauen heißt aber auch, teuer zu bauen“, sagt Kaminiarz, der gerade insgesamt zwölf neue Hochhausprojekte in Deutschland, Österreich und Holland betreut. Das hängt zum einen mit der Sicherheit zusammen und mit hohen Grundstückskosten, hat aber auch mit der Komplexität des Baus zu tun, je höher er wächst. Im Grand Tower mit seinen individuell geschnittenen Wohnungen sind im Durchschnitt 8700 Euro pro Quadratmeter fällig, ein Penthouse kostet bis zu 8,3 Millionen Euro.
Fast gegenüber entsteht der Tower 90. Die 27 Geschosse des 90 Meter hohen Hauses entstehen auf einer Grundfläche von gerade einmal 750 Quadratmetern – das ist sehr wenig. Durch die Begrünung der Fassade schafft er mit dem Haus eine Grünfläche von 2500 Quadratmetern. „Jede Wohnung hat damit einen eigenen Garten, das ist doch wunderbar.“
Kein sozialer Wohnungsbau
Sozial geförderter Wohnungsbau findet sich in keinem der beiden Projekte. „In Hochhäusern lässt sich kaum günstiger Wohnungsbau durchsetzen, ohne die anderen Wohnungen des Hauses extrem zu verteuern.“ Geradezu abwegig findet Kaminiarz das Londoner Modell für Wohntürme: Eine Tür für gut betuchte Eigentümer oder Mieter und eine „Poor Door“ für die ärmeren Bewohner. „Hochhäuser sind kein Mittel gegen die Wohnungsnot. Die Mischung macht‘s.“ Dann sagt er den für einen Hochhausliebhaber doch bemerkenswerten Satz: „Nur Hochhäuser, das wäre wie ein Feld, wo nur Rüben wachsen – eine langweilige und schädliche Monokultur.“
Frankfurt am Main definiert sich als Hochhausstadt und hat schon lange einen Hochhausrahmenplan. Mehr als 15 neue Hochhäuser sind gerade in Planung – viele davon zum Wohnen. In München gilt das Verdikt, das nicht höher als die Frauenkirche (100 Meter) gebaut werden darf. Und doch entstehen etwa im Münchner Osten zurzeit gleich mehrere neue Hochhäuser – mit immerhin bis zu 90 Meter Höhe. Und auch Hamburg plant an den Elbbrücken ein neues Hochhaus – der Elbtower soll mit 235 Metern das höchste Haus der Hansestadt werden – allerdings nicht zum Wohnen, sondern vor allem für Büros.
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Wohnen mit Blick auf die Stadt: „Grandaire“ Berlin
© Quelle: GRANDAIRE Berlin
In Berlin tat man sich lange schwer mit Hochhausbauten. Nun geht es doch: Gerade genehmigte das Bezirksamt Mitte den Bau des 150 Meter hohen Hochhauses „Alexander“ mit 377 Wohnungen in Sichtweite des 368 Meter hohen Fernsehturms. Gleich nebenan soll das „Grandaire“-Hochhaus mit immerhin 20 Stockwerken entstehen. Das Interesse ist groß – bei Anlegern aus dem In- und Ausland. Für Otto Normalverbraucher allerdings werden die Wohnungen kaum bezahlbar sein.
Geht es auch kostengünstig?
Aber es geht auch kostengünstig. Magnus Kaminiarz hat in Berlin für eine städtische Gesellschaft einen 19-Geschosser geplant, der einen 50-prozentigen Sozialwohnungsanteil vorsieht. Das Baugrundstück gehört allerdings der Stadt. Das senkt die Kosten enorm. Denn Grundstückskosten machen mittlerweile 20 Prozent der Gesamtkosten aus.
Die neue Bundesregierung hat das erkannt. Große Hoffnung setzt das Verbändebündnis Wohnungsbau, in dem sich von der Gewerkschaft bis zum Baustofffachhandel alle Player der Branche versammelt haben, auf den Plan der Koalition, bis 2021 in Deutschland 1,5 Millionen Wohnungen neu zu bauen. Ein zentraler Punkt wird dabei sein, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) geschmeidiger zu machen. Heißt: die Kommunen sollen bevorzugt an günstiges Bauland kommen. Die Baulandpreise sind seit 1995 um 170 Prozent gestiegen.
Die Gesellschaft verwaltet und vermarktet 470 000 Hektar bundeseigene Grundstücke sowie 37 000 Wohnungen, 10 000 davon in den sieben größten Städten. Von 2013 bis 2017 hat die Gesellschaft bundesweit gerade mal 13 Grundstücke verbilligt an Kommunen abgegeben, klagt Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands Wohnungs- und Immobilienunternehmen. In Berlin hat sie dafür nach Angaben der Linken-Fraktion 2016 bei fast jeder zweiten Wohnung die Miete erhöht, und zwar drastisch um bis zu 30 Prozent in zwei Jahren.
Baut endlich, fordert daher der Deutsche Mieterbund (DMB) – wenn nötig eben auch in die Höhe. Der Verband macht eine einfache Rechnung auf: 2017 wurden 400 000 neue Wohnungen benötigt, jedoch nur 300 000 gebaut. Die Nettozuwanderung betrug mindestens 450 000 Menschen. DMB-Direktor Lukas Siebenkotten warnt: „Der Wohnungsmarkt birgt sozialen Sprengstoff.“
Von Thoralf Cleven