Hohenzollern setzen sich vor Gericht gegen Historiker durch
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Georg Friedrich Prinz von Preußen, hier als Botschafter der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in der Potsdamer Friedenskirche (Archivbild).
© Quelle: Ralf Hirschberger/zb/dpa
Berlin. Das Gerichtsgebäude am Tegeler Weg in Berlin wurde ab 1901 als königlich preußisches Landgericht erbaut. Gegenüber auf der anderen Spreeseite liegen Park und Schloss Charlottenburg, die einstige Sommerresidenz der Hohenzollern. In diesem preußengesättigten Ambiente setzten sich die Nachfahren der einstigen deutschen Kaiser am Donnerstag gegen den Historiker Winfried Süß vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam durch. Das Gericht bestätigte eine einstweilige Verfügung. Der Historiker darf weiterhin nicht behaupten, die Hohenzollern hätten die Idee eines „Mitspracherechts bei der historischen Darstellung der Familie“ bei Ausstellungen öffentlicher Institutionen. Gefallen ist die Äußerung bei einem Interview im Oktober 2019.
Die Verhandlung vor dem Landgericht war nur ein Zwischenschritt im Streit zwischen Süß und der Familie von Preußen. Dieser Streit wiederum ist ein Nebenarm einer Auseinandersetzung, bei der es seit Jahren um Kunstschätze von unschätzbarem Wert geht, um Millionenforderungen – und eben immer wieder um die deutsche Geschichte.
Haben die Kaisernachfahren dem Nationalsozialismus „erheblich Vorschub geleistet“?
Seit 2014 verhandeln die Hohenzollern mit dem Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg um eine Reihe von Kunstobjekten. Einige wurden nach 1945 enteignet, andere gehören unzweifelhaft der Familie und sind als Leihgaben in staatlichen Museen ausgestellt. Die Verhandlungen ruhen, nachdem Brandenburg einen seit 2015 laufenden Prozess um enteignete Immobilien wieder aufgenommen hat. Das Land hatte eine Entschädigung auf Basis des Einigungsvertrages abgelehnt. Dagegen klagen die Hohenzollern, es geht um 1,2 Millionen Euro. Laut Gesetz bekommt keinen Ausgleich, wer dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub geleistet hat“.
In dieser Frage sind sich Historikerinnen und Historiker inzwischen relativ einig. Zuletzt sagte der renommierte australische Preußen-Forscher Christopher Clark, dass der Sohn des abgesetzten Kaisers Wilhelm II., Ex-Kronprinz Wilhelm von Preußen (1882–1952), den Aufstieg der Nazis erheblich mit befördert habe.
Ein Rückschlag für die Hohenzollern: Gerade auf Clark ruhten in den vergangenen Jahren ihre Hoffnungen. Dessen ursprüngliche Auffassung aus seinem Gutachten von 2014 sei gewesen, der Kronprinz habe zwar versucht, sich den Nazis anzudienen, der Kaisersohn habe aber letztlich „keine Schalter gehabt, um Menschen und Sachen in Bewegung zu setzen“. Im Lichte der neuen Erkenntnisse allerdings müsse man dies anders beurteilen. Der Kronprinz habe dem Nationalsozialismus wohl „Vorschub erheblicher Art“ geleistet, sagt der Historiker, der in Cambridge lehrt.
Eine Art Drohung – oder ein Bluff?
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sagte jetzt, es gebe dazu keinen Historikerstreit, sondern einen „einhelligen Konsens in der Fachwissenschaft“. Was die Hohenzollern betrieben, sei der Versuch, „sozusagen Deutungshoheit über die deutsche Geschichte zu bekommen“. Das sei „nun gar keine geeignete Grundlage“.
Zuletzt hatte der Verhandlungsführer der Ex-Monarchenfamilie, Jürgen Aretz, eine Art Drohung ausgesprochen und einen Abzug von Leihgaben aus öffentlichen Museen in Berlin und Brandenburg ins Spiel gebracht. Ein Bluff? Von konkreten Angeboten weiß niemand etwas. Aber natürlich haben auch die staatlichen Kulturverwalter in Berlin und Potsdam größtes Interesse daran, dass die Kunstschätze bei ihnen bleiben. Die Geschichte Preußens erstrecke sich nicht nur auf die beiden Länder. Es sei keine Frage, dass die Kulturgüter ebenso außerhalb dieser Länder ausgestellt werden könnten.
Ministerin: Keine Gesprächsgrundlage
Manja Schüle (SPD) ist Ministerin für Wissenschaft und Kultur in Potsdam und insofern in einer Doppelrolle: Sie muss an die Kunstschätze denken, eine Debatte über die Geschichte ermöglichen – und sich schützend vor die Forscher im Land stellen. Ihre Position ist klar: „Ich als Kultur- und Wissenschaftsministerin möchte nicht mit jemandem verhandeln, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Klagen einzuschüchtern versucht. Bei dem Thema ist ein freier offener Diskurs nötig – die Debatte gehört in die Öffentlichkeit und nicht in die Hinterzimmer.“
ZZF-Direktor Martin Sabrow hatte nach der Klage gegen Süß in einem offenen Brief an Georg Friedrich Prinz von Preußen eine „Unkultur der Einschüchterung“ beklagt. Nach der Verhandlung sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): Die Kammer lege Süß „fälschlich eine Tatsachenbehauptung in den Mund, die er gar nicht getan hat“. Er habe „lediglich die Idee eines Mitspracherechts der Hohenzollern in historischen Darstellungen ihrer Familie in öffentlichen Einrichtungen für hochproblematisch erklärt“. Sabrow warnt: „Ich sehe hier einen eklatanten Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit und warne vor den Folgen, die das hat.“ Öffentliche Diskussionen mit den Hohenzollern seien so nicht möglich: „Wir Wissenschaftler sprechen nur mit Personen, die uns nicht gleichzeitig vor Gericht zerren. Solange diese Klagen laufen, haben die Hohenzollern und ihre Vertreter in unseren Podien keinen Platz.“
Hohenzollern-Anwalt Markus Hennig sagte nach dem Gerichtstermin, die Familie stehe Diskussionsrunden und Gesprächen aufgeschlossen gegenüber. Eine vorherige Rücknahme von Klagen käme allerdings nicht infrage.: „Solche Gespräche kann es nur ohne Vorbedingungen geben.“
Georg Friedrich Prinz von Preußen ließ verlauten, er „schätze ausdrücklich die wissenschaftliche Arbeit von Winfried Süß und seinen Kolleginnen und Kollegen vom Potsdamer Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung“. Er wolle die Sache „auf sich beruhen lassen“ und „keine weiteren Schritte unternehmen“. Die einstweilige Verfügung bleibe jedoch bestehen.
ZZF-Direktor Sabrow kündigte an, in die nächste Instanz zu ziehen. Zum Statement der Familie sagte er dem RND: „Ich finde es eine bemerkenswerte Doppelsinnigkeit, sich vor Gericht erstinstanzlich mit einem aus meiner Sicht fehlgehenden Verständnis der ‚richtigen Darstellung von Fakten‘ durchzusetzen und dies mit einem Verzicht auf weitere Schritte zu verknüpfen. In der Sache geht es nicht allein um die Hohenzollern und ihre Ansprüche, sondern um den Raum freier fachlicher Erörterung, den Wissenschaft zu ihrer Entfaltung braucht. Auf die Freihaltung dieses Raums werden wir vor Gericht in der nächsten Instanz bestehen müssen, damit wir zu der ruhigen wissenschaftlichen Arbeit zurückkehren können, die auch das Haus Hohenzollern schätzt.“