Hochmut und Fall des Erben Falk
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„Ich freue mich, dass ich endlich meine Unschuld beweisen kann“: Alexander Falk (Mitte) mit seinen Verteidigern Daniel Wölky (l) und Björn Gercke im Frankfurter Landgericht.
© Quelle: Foto: Arne Dedert/dpa
Frankfurt. Er will diesen Auftritt. Es ist Mittwochmorgen, Saal 8 des Landgerichts Frankfurt, kurz vor halb zehn, Fotografen und Kamerateams drängen hinein. Es ist dieser Moment, in dem Angeklagte, die direkt aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssaal gebracht werden, meist ihre Gesichter verstecken, hinter Aktendeckeln oder unter Kapuzen.
Nicht so Alexander Falk.
Graues Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, blaue Chinos, kurze, blonde Locken, so steht er da und beginnt, da sind die Kameras noch gar nicht eingeschaltet. „Ich freue mich, dass ich jetzt endlich meine Unschuld beweisen kann“, sagt er. Er vermisse seine Frau Nadia und seine Kinder. „Von heute an werde ich zeigen, dass der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft, der meine Familie seit Jahren erpresst hat, in Wirklichkeit auf die Anklagebank gehört.“
Punkt. Falk blickt in die Runde. Er war zu schnell. Ob er sein Statement noch mal wiederholen könne, es seien noch nicht alle Kameras bereit gewesen. Kein Problem. Falk wiederholt seine Sätze. Bis alles sitzt. Falk will kämpfen. Das ist klar.
Albtraum oder dreiste Lüge
Diese Sätze, seine Entschlossenheit, beides kann nun zweierlei bedeuten. Entweder: Er hat recht. Dann hat der Stadtplanerbe und Internetunternehmer Alexander „Sascha“ Falk, 50, der erst Star der New Economy und dann Symbol ihrer Morallosigkeit war, gerade einen Albtraum hinter sich. Ein Jahr in Untersuchungshaft, Trennung von seinen fünf Kindern, ein gewaltiger Vorwurf: Anstiftung zum Mord.
Oder er lügt. Dann wäre sein Auftritt eine Dreistigkeit.
Falks Problem ist wohl, dass es manchen gibt, der ihm Letzteres ohne Weiteres zutraut. Dass alles auch für Staatsanwälte plausibel klingt: Skrupelloser Geschäftsmann lässt Gegner kaltblütig aus dem Weg räumen. Doch eindeutig ist in diesem Fall tatsächlich wenig.In der Geschichte von Alexander Falk geht es um einen schweren Verdacht: Er, früher einer der 100 Reichsten Deutschlands, soll einen Mordanschlag auf einen gegnerischen Anwalt in Auftrag gegeben haben. So sieht es die Staatsanwaltschaft. Das Opfer, Wolfgang J., wurde im Februar 2010 von einem Unbekannten auf offener Straße angeschossen, er überlebte.
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„Hört mal, das war geil“: So kommentierte Falk die Schüsse auf den Anwalt Wolfgang J.
© Quelle: DLA Piper
Doch ihre Faszination verdankt diese Geschichte vor allem dem Umstand, dass sie scheinbar weit voneinander entfernte Welten mühelos zusammenbringt: die extrem analoge Welt dieser speziell gefalteten Stadtpläne, mit denen sein Vater zu Reichtum kam, und den digitalen Goldrausch des Neuen Marktes. Die feine Gesellschaft Hamburgs und die Halbwelt von Sankt Pauli. Die Villen von Blankenese und die Justizvollzugsanstalt Frankfurt.
Diese Geschichte ist nicht zu verstehen ohne den Rausch des Neuen Marktes um die Jahrtausendwende. Und zu dieser Geschichte gehört eben auch die Persönlichkeit des Unternehmers Falk, in dem zwei Eigenschaften früh auf besondere Art zusammenkommen: wirtschaftlicher Instinkt und Hochmut.
Als er 1995 mit seinen Schwestern den Verlag seines Vaters für 50 Millionen Mark an Bertelsmann verkauft, prophezeit er, in 20 Jahren werde niemand mehr einen Stadtplan auf Papier benutzen. Er sagte dann aber auch, dass er, wenn er doch mal den Weg nicht weiß, bei der Tankstelle hält, heimlich in den Plan schaut und ihn dann zurücklegt. Das war vielleicht ehrlich – und klang zugleich nach Spott über das Werk des Vaters, dem er selbst seinen Reichtum verdankt.
Einer seiner Anwälte in dem Frankfurter Verfahren, Professor Björn Gercke, hat am Mittwoch gesagt, er habe überlegt, bevor er das Mandat übernahm. Dann habe er Falk klar gesagt: „Mit dem Ruf, das kriegen wir nicht mehr hin.“
Den VW zum Porsche frisiert
Sein Ruf, das gehört zu den Ambivalenzen, gründet in den Zeiten des scheinbar größten Erfolgs. Mit dem Geld aus dem Verlagsverkauf sammelt Falk Internetunternehmen ein, darunter Ision. Am Tag des Börsengangs steigt die Aktie von 69 auf sagenhafte 130 Euro. Ein halbes Jahr später verkauft er Ision für 772 Millionen Euro an die britische Energis.
Es ist der ganz große Deal – und der Ursprung auch des jetzigen Prozesses gegen Falk. Energis geht bald nach dem Kauf pleite. Falk hatte Ision mit zahlreichen Scheinbuchungen aufgehübscht, hat „aus einem VW einen Porsche gemacht“, wie er es heute selbst sagt. 2008 verurteilt das Landgericht Hamburg ihn nach vierjährigem Prozess wegen Bilanzfälschung zu vier Jahren Haft. Parallel dazu läuft ein Prozess auf Schadensersatz. Falks Vermögen wird gepfändet. Einer der Anwälte in diesem Prozess: Wolfgang J.
Es ging damals für Falk um viel. Um sein Vermögen. Und die geliebte Jacht „Flica II“, die gepfändet ist.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt glaubt: Falk hat zu dieser Zeit einen perfiden Plan gefasst. An einem Tag im September 2009, so steht es in der Anklage, habe er sich mit zwei Brüdern aus dem Hamburger Kriminellenmilieu, die er aus dem Gefängnis kannte, im Restaurant Block House im Stadtteil Rotherbaum getroffen und ihnen 200 000 Euro übergeben, dazu den Auftrag: „Ali, du weißt von der Bazille, es reicht mir. Ich möchte, dass diese Bazille nicht mehr existiert.“ Dazu habe er mit der Hand eine „schneidende Geste am Hals“ gezeigt. Ein halbes Jahr später fällt der Schuss auf Wolfgang J.
Das Wissen um dieses Treffen verdankt die Staatsanwaltschaft einem Zeugen, der im Block House dabei gewesen sein will und sich im Oktober 2017 an die Ermittler wendet: Etem E., früherer Helfer eines der Gangster. Im Gepäck hat er einen Mitschnitt: eine Aufnahme eines Gesprächs zwischen Falk und den Gangstern, aufgenommen am 28. Juni 2010 in einem Restaurant in Istanbul, gut acht Minuten lang. Zu hören ist darauf Falk, wie er über den Schuss auf den Anwalt sagt: „Hört mal, das war geil. (…) Da hab ich natürlich echt gejubelt.“ Es sei „die einzig richtige Konsequenz gewesen, ihm mal ins Bein zu ballern“, sagt Falk auf diesem Band, das im Saal 8 vorgespielt wird. Und: „Ich habe gejubelt, als hätte ich einen Elfmeter reingeschossen.“
„Wir haben uns über Herrn J. lustig gemacht“
Es ist eine sehr eindeutige Aufnahme. Einerseits. Andererseits: Es ist kein Auftrag für einen Mord darauf zu hören.
Und Falk? Man könnte, wenn solche Sätze öffentlich in einem Prozess vorgespielt werden, vor Scham im Boden versinken. Sich entschuldigen. Mitleid mit dem Opfer äußern. Alles das tut er nicht. Er sagt: „Die Schadenfreude war keine Glanzleistung von mir.“ Er habe damals kein Mitleid mit J. gehabt. „Ich habe an mich gedacht.“ Aber für ihn ist das Teil einer anderen Geschichte.
Sein Prozess um die aufgebauschten Bilanzen sei ein Kampf gegen mächtige Gegner, Wirtschaftsberatungsgesellschaften und große Anwaltskanzleien gewesen, das Opfer dagegen nur ein subalterner Anwalt, „für mich nicht auf Augenhöhe“. Seine Verteidigerbank habe sich „regelmäßig über Herrn J. lustig gemacht“.
Es braucht kein feines Gehör, um da wieder Hochmut herauszuhören.
Aber ein Motiv, darauf besteht Falk, habe er nicht gehabt.
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Die erste Haftstrafe: Im April 2008 wird der smarte Angeklagte Alexander Falk wegen Bilanzfälschung zu vier Jahren Haft verurteilt.
© Quelle: Patrick Lux/dpa
Folgt man ihm, ging die Geschichte so: Im Gefängnis lernte er die Brüder B. kennen – an die er sich später erinnerte, als er illegal an Daten im Besitz der gegnerischen Anwälte gelangen wollte, die ihn entlasten sollten. Der Plan ging schief. Die Geister jedoch, die Falk rief, wurde er nicht mehr los. Fortan hätten sie ihn erpresst, ihn zu Hause aufgesucht, ihn bedroht – auch Etem E., der Belastungszeuge.
Tatsächlich ist es ein Prozess voller offener Fragen. Warum sollte ein Killer jemandem ins Bein schießen, wenn er ihn töten will? Was sollte es bringen, den Anwalt zu töten?
Schweigen – für die Familie?
Falk hat ein ganzes Team renommierter Anwälte an seiner Seite. Vor dem Gerichtssaal brieft ein Medienanwalt die Journalisten mit Infomappen, im Saal dominiert Falks Anwalt Gercke den Tag. Als ihn der Vorsitzende Richter bei seinem Eröffnungsvortrag unterbricht, fragt er zurück: „Wovor haben Sie Angst, Herr Vorsitzender?“ Er und sein Team legen Widersprüche der Anklage offen, auch durch eigene Ermittlungen. Der Belastungszeuge? Ein mehrfach vorbestrafter Krimineller, dem es vor allem um die 100 000 Euro Belohnung gegangen sei, die J.s Arbeitgeber für Hinweise ausgelobt hatten. Das Tonband? An mehreren Stellen geschnitten. „Von den Beweisen bleibt nichts übrig“, resümiert Gercke schon zu Beginn.
So handelt diese Geschichte womöglich gleichermaßen von den Nachteilen der Prominenz, vom Malus des schlechten Rufs, wie von den Vorteilen des Reichtums, der Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen.
Aber warum hat sich Falk mit den Erpressungen nicht an die Polizei gewandt? Falk sagt, er habe die Öffentlichkeit gefürchtet. Er und seine Familie wüssten, wie es ist, „mehrmals auf der Titelseite der größten Tageszeitung zu erscheinen“. Das wollte er nicht wieder.
Reicht das als Erklärung? Auch das muss das Gericht entscheiden. Fragen möchte Falk an diesem Tag nicht beantworten. Erst, so sagt er, wenn Etem E. ausgesagt habe. Die Regeln, so viel ist sicher, möchte er immer noch selbst bestimmen.
Von Thorsten Fuchs