Virtueller Grünen-Parteitag: Und jetzt alle!

Die Partei will auf ihrer bis zum Sonntag dauernden Bundesdelegiertenkonferenz ein neues Grundsatzprogramm verabschieden.

Berlin. Die Grünen stimmen sich auf eine Regierungsbeteiligung im Bund ein. Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat ihre Partei zu mehr Offenheit gegenüber anderen Parteien und neuen Wählerschichten aufgefordert. „Wir müssen ehrlich sein: Wir Grünen können eine sozial-ökologische Marktwirtschaft nicht alleine bauen – nicht mit 20 Prozent, auch nicht mit 30”, sagte Baerbock zum Auftakt des Grünen-Bundesparteitags am Freitagabend.

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„Dazu braucht man in einer Demokratie Mehrheiten, eine grundsätzliche Akzeptanz und die Bereitschaft der Menschen mitzumachen.”

Ausgerechnet die Grünen, die sich seit jeher ihrer Toleranz rühmen, werden von ihrer Parteichefin zu mehr Aufgeschlossenheit aufgefordert. „Wir müssen die Gewinnerinnen des Wandels genauso sehen wie die potenziellen Verliererinnen”, mahnte Baerbock.

Sie warb um Verständnis für Menschen, die dem ökologischen Umbau der Wirtschaft misstrauen: „Die Menschen in den Industriestandorten Wolfsburg, Cottbus, Duisburg oder Bitterfeld denken ja nicht weniger an die Zukunft ihrer Kinder.” Die Grünen wollten ein Angebot machen – „für Sie, für Dich, für uns alle”, so Baerbock.

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Eigentlich wollten sich die Grünen in Karlsruhe auf das Superwahljahr 2021 einstimmen. Dann wird nicht nur im Bund gewählt, sondern unter anderem auch in Baden-Württemberg – dem einzigen Bundesland, in dem die Grünen mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten stellen.

Nun aber kommt pandemiebedingt lediglich die Parteiführung in einer Berliner Konzerthalle zusammen – und rund 800 Delegierte schalten sich zum dreitägigen Digitalparteitag dazu. Ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte.

Auf eine stabile Technik kommt es an. Denn im Kern des Parteitags stehen Debatten und Abstimmungen über das neue Grundsatzprogramm, in dem sich die Partei Leitlinien für die nächsten Jahrzehnte geben will. Das aktuelle Programm stammt noch aus dem Jahr 2002.

Ein Zeichen der Geschlossenheit nach innen und der Anschlussfähigkeit nach außen soll von diesem Parteitag ausgehen. Beides gelang Habeck und Baerbock bisher. Kein anderes Führungsduo war in der Grünen-Geschichte beliebter als das jetzige. Was wiederum daran liegt, dass die Grünen nie zuvor konstant Zustimmungswerte von rund 20 Prozent erreichten, wie es ihnen unter Baerbock und Habeck gelingt.

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Grüne zeigen Machtwillen

Baerbock unterstreicht den Gestaltungsanspruch ihrer Partei: „Jede Zeit hat ihre Farbe. Und diese Zeit ist grün“, sagt sie und gibt das Motto dieses Parteitags wieder.

Das Harmonie-Image könnte allerdings an diesem Wochenende Risse bekommen. Denn trotz zweieinhalbjähriger, intensiver parteiinterner Beratungen zum Grundsatzprogramm ist der Parteiführung nicht gelungen, in einigen besonders strittigen Punkten zu schlichten.

So stehen an diesem Wochenende eine ganze Reihe von Kampfabstimmungen an, in denen die Basis der Spitze querkommen könnte. Einiges davon gilt manch Grünem als Tabubruch.

So rebelliert ein Teil der Basis gegen das von der Parteiführung geforderte Ja zu neuen gentechnischen Verfahren, etwa um die Ernährungssicherung in dürregeplagten Regionen zu ermöglichen. Strittig ist auch die Absage der Parteiführung an ein bedingungsloses Grundeinkommen – eine Forderung, die in der Pandemie neuen Auftrieb erhalten hat.

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Und auch in puncto Mitbestimmung fürchten viele Grünen-Mitglieder einen Bruch mit den basisdemokratischen Grundsätzen der Partei. So will die Parteispitze die Hürde für das Einreichen von Anträgen und Änderungsanträgen erhöhen. Und entgegen des weit verbreiteten Wunsches ihrer Basis lehnt sie ein Bekenntnis zu Volksentscheiden auf Bundesebene ab und schlägt stattdessen die Einrichtung von Bürgerräten mit beratender Funktion vor.

Beim Klima drohen Kontroversen

Besonders kontrovers dürfte es beim Kernthema der Grünen zugehen: bei der Klimapolitik. Vielen jungen Klimaaktivisten gehen die Worte und Taten der in elf Ländern mitregierenden Grünen nicht weit genug.

Vertreter von Fridays for Future werfen den Grünen vor, nicht genug für die Begrenzung der Erderwärmung zu tun, wie es das Pariser Klimaabkommen vorschreibt. In Baden-Württemberg treten einige ihrer Vertreter sogar mit einer eigenen Wahlliste an. Bei den Grünen ist die Sorge groß, dass deshalb ein paar Prozentpunkte die Wiederwahl Kretschmanns gefährden könnten.

Parteichefin Baerbock ruft die jungen Kritiker zu mehr Realismus und größerer Rücksichtnahme gegenüber Modernisierungsverlierern auf. Zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels brauche es parlamentarische Mehrheiten. „Zu sagen, ich bin am schnellsten klimaneutral – damit kommt man vielleicht gut durch den Wahlkampf”, sagte Baerbock. „Aber ich komme damit nicht gut durch mein Leben.”

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