Ein Machtkampf mit Folgen – Was ist bei den Grünen los?
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Grünen-Chef Robert Habeck (Mitte) mit seinen Parteikollegen Anton Hofreiter (links) und Cem Özdemir (rechts) im Jahr 2019. Damals setzte sich Hofreiter gegen Özdemir als Fraktionschef durch. Nun schlug Özdemir Hofreiter im Rennen um den Agrarministerposten.
© Quelle: Arne Immanuel Bänsch/dpa
Berlin. Am Tag nach dem großen Knall setzt einer auf Friedenssignale: „Das ist ein sehr, sehr gutes Team“, sagt Jürgen Trittin im Deutschlandfunk über die grüne Ministerriege. Ruhig und bedächtig gibt er sich, als wäre da nichts passiert am Vortag. Als hätte die Parteispitze nicht über Stunden gestritten darüber, wer von ihnen denn nun die fünf grünen Kabinettsressorts in der Ampelregierung besetzen soll. Als hätten sich die künftigen Minister fröhlich winkend auf dem kleinen Parteitag, dem Länderrat, zum Gruppenfoto geschart.
Tatsächlich wurde die Namensliste am späten Abend per Email verkündet. Als würden manche bei den Grünen jetzt nicht vom „Wundenlecken“ sprechen. Trittin wählt seine sanfteste Stimme: „Es ist normal, dass in demokratischen Parteien auch über Positionen und über Personen gestritten wird“, sagt er. Wichtig sei doch, dass es am Ende „eine ordentliche Empfehlung“ gebe.
Und die habe der Parteivorstand schließlich einstimmig getroffen: Die beiden Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock sollen wie erwartet das Wirtschafts- und das Außenministerium übernehmen, die bisherige Fraktionsgeschäftsführerin Steffi Lemke wird Umweltministerin, die rheinland-pfälzische Familienministerin Anne Spiegel wechselt ins selbe Ressort im Bund. Und Cem Özdemir, Ex-Parteichef und Verkehrspolitiker, ist künftig Agrarminister. Als Kulturstaatsministerin ist die bisherige Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth vorgesehen.
Pech für Hofreiter
Die beiden Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt, die mit einem Ministerposten gerechnet hatten, müssen zurückstecken. Und das liegt an der Nominierung Özdemirs: Ein weiterer Mann im Kabinett kam dann nicht mehr infrage – Pech für Hofreiter. Und eine weitere Vertreterin des Realo-Flügels auch nicht – Pech für Göring-Eckardt. Nun kann es sein, dass Göring-Eckardt für Roth ins Bundestagspräsidium einrückt und Hofreiter einfach seinen derzeitigen Job behält.
Dafür müsste die eigentlich schon als Ersatz vorgesehene Wirtschaftsexpertin Katharina Dröge verzichten oder einen Staatssekretärinnenposten übernehmen. Statt Göring-Eckardt sollte bislang eigentlich die bisherige Fraktionsgeschäftsführerin Britta Hasselmann an die Fraktionsspitze rücken.
„Das Boygroup-Netzwerk hat funktioniert“
In Teilen der Partei hinterlässt das Postengeschiebe gehörigen Frust – und der macht sich auch an den Parteivorsitzenden fest, besonders an Robert Habeck. Der habe Özdemir durchgedrückt, heißt es aus dem linken Parteiflügel: „Das Boygroup-Netzwerk hat funktioniert.“ Hofreiter sei als Biologe deutlich besser qualifiziert gewesen als Agrarminister. Vize-Parteichefin Jamila Schäfer lobt Özdemir passend dazu im Bayerischen Rundfunk als „als starke Stimme für uns gegen Rechtsextremismus, für eine ambitionierte Klimapolitik“.
Genau registriert wurde in der Partei auch, dass sich der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz per Twitter in den Besetzungsstreit eingemischt hatte – mit einer Empfehlung für Özdemir. Es könne sein, dass es in Baden-Württemberg Interesse daran gebe, dass Özdemir im Bund zu tun habe und nicht als Nachfolgekandidat für Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Land unterwegs sei.
Gibt es bald mehr Frust oder Befriedung?
Aber steht Özdemir nicht für die für die Grünen so wichtige Vielfalt? Ein vorgeschobenes Argument, heißt es aus dem Linken-Flügel. Migrationshintergrund hätten auch andere gehabt, wie die Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger, der Außenexperte Omid Nouripour und die Familienfachfrau Ekin Deligöz. Nouripour gilt allerdings neben der Parteilinken und bisherigen Vize-Chefin Ricarda Lang auch als Anwärter auf den Parteivorsitz, den Habeck und Baerbock als Minister aufgeben werden.
In der kommenden Woche dürften sich manche Personalfragen auflösen – oder weiterer Frust geschaffen werden: Die Fraktion kommt zu einer Klausurtagung zusammen.
Eine Sorge weniger dürfte die Grünen-Spitze bereits haben: Die Spitze der gerne widerborstigen Grünen Jugend empfahl ihren Mitgliedern die Zustimmung zum Koalitionsvertrag. Es gebe „wenig Rückschritte und einige wichtige Verbesserungen“, ließen sie wissen. Die Urabstimmung der Grünen über den Vertrag läuft noch bis zum 6. Dezember. Zur Abstimmung steht auch das Personaltableau.
RND