Regierung fährt Integrationsprogramm zurück

Geflüchtete verlieren in Griechenland ihre Wohnungen

Geflüchtete, die in Griechenland eine Wohnung gestellt bekommen haben, müssen nach dem Willen der griechischen Regierung wieder in Asylunterkünfte umziehen (Archivbild).

Geflüchtete, die in Griechenland eine Wohnung gestellt bekommen haben, müssen nach dem Willen der griechischen Regierung wieder in Asylunterkünfte umziehen (Archivbild).

Athen. Mit dem Wort Estia bezeichnet man im Griechischen den heimischen Herd. Übertragen bedeutet es so viel wie Wohnsitz, Heimat. Estia hieß das Programm, das die Uno-Flüchtlingsagentur UNHCR 2015 auf den Weg brachte, um Geflüchteten in Griechenland eine Unterkunft zu bieten. Damals, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, kamen an manchen Tagen mehr als 10.000 Menschen über die Türkei zu den griechischen Inseln. Das Programm Estia sollte besonders gefährdeten und schutzbedürftigen Asylsuchenden, wie Familien mit kleinen Kindern und chronisch Kranken, eine Unterkunft in angemieteten Wohnungen bieten. 2020 übernahm das griechische Migrationsministerium das Programm Estia – um es schrittweise zurückzufahren und dann ganz einzustellen. Die letzten Bewohner und Bewohnerinnen mussten Ende Dezember die ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungen räumen. Sie wurden in Unterkünften für Asylbewerber untergebracht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Plötzlich Hunderte Kilometer von Athen entfernt

Zu den Betroffenen gehören der 34-jährige Jean und seine Familie aus der Demokratischen Republik Kongo. Mit seiner Frau und zwei Kindern floh er vor 18 Monaten nach Griechenland. Im Rahmen des Estia-Programmes wurde der Familie eine Zweizimmerwohnung im Athener Stadtteil Acharnon zugewiesen. Anfang Dezember mussten sie ausziehen, berichtet Jean Mitarbeitern der Hilfsorganisation Griechischer Flüchtlingsrat (GCR). „Ich hatte gerade eine Arbeit gefunden, meine Frau besuchte einen Sprachkurs, die Kinder gingen in die Schule“, sagt Jean. Jetzt lebt die Familie in einem Wohncontainer der Flüchtlingsunterkunft beim nordgriechischen Ioannina, 460 Kilometer von Athen entfernt. „Alles, was wir uns aufgebaut hatten, ist zerstört, wir müssen ganz von vorn anfangen“, klagt der Familienvater.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das griechische Migrationsministerium begründet das Ende des Estia-Programmes unter anderem damit, die EU habe die Finanzhilfen für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten in den vergangenen Jahren „drastisch gekürzt“. Deshalb müsse man die vorhandenen Gelder effizienter einsetzen, heißt es im Migrationsministerium. Weil es zahlreiche freie Plätze in den Flüchtlingsunterkünften gebe, seien die hohen Kosten für die Anmietung der Wohnungen nicht mehr vertretbar. Hilfsorganisationen argumentieren dagegen. Es habe Vorteile, Geflüchtete in Wohnungen unterzubringen, weil das ihre Selbstständigkeit fördere und die Integration erleichtere.

Ein junger Migrant hängt eine Decke im Geflüchtetenlager Ritsona auf (Symbolbild).

Ein junger Migrant hängt eine Decke im Geflüchtetenlager Ritsona auf (Symbolbild).

Zahl der Geflüchteten ohne Unterkunft gesunken

Zeitweilig waren im Rahmen des Programmes Estia rund 25.000 Menschen in 21 griechischen Städten in Wohnungen untergebracht. Im November 2022 belief sich ihre Zahl nach Angaben des Ministeriums noch auf 1500. In den griechischen Flüchtlingslagern, die noch vor einigen Jahren völlig überbelegt waren, gibt es inzwischen viele freie Plätze. Während vor drei Jahren noch 92.000 Geflüchtete in 121 Unterkünften lebten, sind es heute nur noch 15.000 in 33 verbliebenen Lagern. Die Entlastung der Lager ist vor allem auf die Beschleunigung der Asylverfahren zurückzuführen.

Kein Asylsuchender, der jetzt seine Wohnung habe räumen müssen, sei von Obdachlosigkeit bedroht, alle hätten neue Unterkünfte zugewiesen bekommen, unterstreicht man im Migrationsministerium. Aber auch bei der Uno-Flüchtlingsagentur UNHCR sieht man das Ende des Estia-Programmes kritisch. Es sei zwar nachvollziehbar, dass die griechischen Behörden die Kapazitäten für die Unterbringung von Asylbewerbern dem Bedarf anpassen. Es sei aber sinnvoll, „eine Anzahl von Wohnungen in den Städten bereitzuhalten, um gefährdeten Familien eine sichere Unterkunft und Zugang zu den sozialen Dienstleistungen zu bieten“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Diese Erkenntnis scheint sich nun auch im Ministerium für Migration und Asylpolitik durchzusetzen. Minister Notis Mitarakis reagiert offenbar auf die Kritik der Hilfsorganisationen. Noch ist nichts offiziell, aber in Ministeriumskreisen heißt es, man arbeite an Plänen für ein neues Unterbringungsprogramm. Etwa 300 bis 400 vom Ministerium angemietete Stadtwohnungen sollen Asylbewerbern angeboten werden, die „besonders schutzbedürftig“ sind.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Top Themen

Krieg in der Ukraine
 

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken