Greenpeace-Chef Kaiser: „Was die einzelnen Länder an Zielen eingereicht haben, reicht nicht aus“
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Martin Kaiser ist Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Berlin. Herr Kaiser, die Klimakonferenz in Glasgow neigt sich dem Ende zu. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Was die einzelnen Länder an Plänen und Zielen eingereicht haben, reicht in der Summe nicht aus, um die globale Erwärmung unter 1,5 Grad zu stabilisieren. Eine gemeinsame Verpflichtung ist notwendig, nicht mehr in fossile Energien zu investieren.
China und Indien wollen 2060 beziehungsweise 2070 klimaneutral werden. 100 Milliarden Dollar jährlich für Klimaanpassungen in Entwicklungsländern kommen bis 2023 zusammen. Wie schätzen Sie diese Ergebnisse der COP ein?
Die 100 Milliarden waren ein absolutes Muss. Die Länder, die am wenigsten mit den Ursachen der Klimakrise zu tun haben, kämpfen am meisten mit den Folgen und sollten dafür finanzielle Unterstützung erhalten. Was China und Indien angeht, waren wir sehr enttäuscht. Wir hatten uns erhofft, dass wenigstens China ab 2025 seine Emissionen senken will. Die geopolitische Situation zwischen den USA und China hat die Konferenz zunächst überschattet, dann durch eine gemeinsame Erklärung diese Woche zumindest etwas verbessert. So besteht Hoffnung, dass die Konferenz ein Ergebnis erzielen kann, aber China und die USA müssen sich bei der CO₂-Minderung und Finanzierung noch deutlich bewegen.
Ein Schlüssel war von vornherein, wie weit die Weltgemeinschaft bei der Regelung von Emissionsabrechnungen kommt. Sehen Sie da genug erreicht?
Nein, wir benötigen gemeinsame Berechnungsgrundlagen für CO₂-Emissionen. Entscheidend ist, dass eine Tonne CO₂ bei uns genauso viel ist wie in Südafrika oder in den USA. Die angegebenen CO₂-Emissionen der Staaten sollten darüber hinaus abgeglichen werden von unabhängigen Klimainstituten.
Nächste Weltklimakonferenz soll in Ägypten stattfinden
Für das Jahr 2023 wurden die Vereinigten Arabischen Emirate als Gastgeber auserkoren. In diesem Jahr findet die Konferenz in Glasgow statt.
© Quelle: Reuters
Ist es ausreichend, dass die Weltgemeinschaft alle fünf Jahre die Maßnahmen anpasst, oder müssen die Intervalle verkürzt werden?
Das Fünfjahresintervall ist ein altes, nicht mehr zeitgemäßes UN-Verhandlungsritual. Dringend notwendig sind jährliche Reportings der Länder, welche konkreten Instrumente sie anwenden und neu beschließen, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu stabilisieren. Bei den Fernzielen reicht es aus, sie alle fünf Jahre anzupassen. Beides sollte so beschlossen werden. Die am meisten verwundbaren Länder fordern ein jährliches Berichtswesen, da muss sich auch Europa bewegen. Die EU hat in der Vergangenheit ihren Emissionshandel oft auf zehn Jahre ausgerichtet, damit muss ebenfalls Schluss ein.
Glauben Sie, dass die Weltgemeinschaft das 1,5-Grad-Ziel erreicht?
Ich bin optimistisch. Mir machen die jungen Leute, die heute auf den Straßen für konsequenten Klimaschutz eintreten, Mut. Sie sind gebildet und tragen in den nächsten Jahren Verantwortung in Politik und Wirtschaft und setzen schon heute ihre Elterngeneration unter Handlungsdruck. Die sorgen dafür mit, die Welt noch zu stabilisieren.
Wie zufrieden sind sie mit der Rolle Deutschlands in den Verhandlungen?
Deutschland war mit einer geschäftsführenden Bundesregierung eine „Lame Duck“ auf der Klimakonferenz. Die Bundesregierung ist zwar engagiert, aber sie kann eben nur in dem durch die große Koalition gesetzten Rahmen agieren. Wir befinden uns immer noch in der Politik von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der vier Jahre lang wenig für den Klimaschutz geleistet hat. Das wurde bei der Erklärung zum Aus für Verbrennungsmotoren deutlich, die Deutschland nicht unterzeichnet hat.
Welche Impulse wünschen Sie sich von einer Ampelregierung?
Wir brauchen einen Ruck für den massiven Ausbau erneuerbarer Energie, da müssen auch die Bundesländer in die Pflicht genommen werden. Außerdem müssen nun klare Entscheidungen für das Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 und die Transformation des Verkehrsbereiches fallen. Und wir benötigen im Bereich der Massentierhaltung, die ja auch für wesentliche Emissionen verantwortlich ist, einen beschleunigten Abbau von Tierbeständen bei gleichzeitiger Garantie guter Preise für Bäuerinnen und Bauern.
Mich beschleicht das Gefühl, dass der Klimaschutz immer noch von einigen als eines von vielen Politikfeldern betrachtet wird.
Greenpeace-Deutschland-Geschäftsführer Martin Kaiser
Deutschland als Klimaschutzvorbild?
Niemand sollte Deutschlands Rolle beim Klimaschutz überschätzen, aber eben auch nicht unterschätzen. Auf europäischer Ebene muss die Bundesrepublik beweisen, dass sie Motor der Klimaambition und -umsetzung ist. Europa kann ambitioniertere Wege beschreiten als bislang, wenn die soziale Frage eine wichtige Rolle spielt – das wird auch die Osteuropäer motivieren, mehr zu tun. Angestrebt werden muss eine strategische Allianz Europas mit den USA und China. Dann entsteht eine neue Dynamik beim Klimaschutz.
Trauen Sie der Ampel diese progressive Rolle zu?
Ich glaube, es ist noch ein weiter Weg, die Vorstellungen der drei Parteien in den Koalitionsverhandlungen in einer progressiven Programmatik umzusetzen. Mich beschleicht das Gefühl, dass der Klimaschutz immer noch von einigen als eines von vielen Politikfeldern betrachtet wird, auf dem man die Physik wegverhandeln kann.
Das war jetzt ein Jein?
Genau. Klarer kann ich nichts erkennen.
„G20 hat versagt“: Was Jürgen Trittin nun vom Glasgow-Gipfel erwartet
Jürgen Trittin spricht im exklusiven Videointerview über Enttäuschungen beim G20-Gipfel, die Klimakonferenz in Glasgow und die laufenden Ampelverhandlungen.
© Quelle: RND
Beim Klimaschutz wird viel über Technologien geredet. Was ist eigentlich mit dem Verlust der Artenvielfalt?
Ich bin selbst Förster. Unsere Landschaft und die Natur sind extrem stark belastet durch die Landwirtschaft, mit Pestiziden, mit Dünger, eine intensive Forstwirtschaft und aber auch durch Neubauprojekte wie Autobahnen oder Industrieflächen. Wir riskieren, dass unsere Ökosysteme kollabieren. Die Katastrophe im Sommer im Ahrtal war ein Warnschuss. Es muss also gelingen, Naturschutz und Artenschutz zu stärken, indem wir den Druck durch schädliche Infrastrukturen reduzieren. Das schafft im Übrigen auch mehr Akzeptanz für erneuerbare Energien.
Gerade wird im Rahmen der EU-Taxonomie über die Nachhaltigkeit von Investitionen in Atomkraft geredet. Kann sie Brückentechnologie sein, bis die Erneuerbaren ausgebaut sind?
Nein. Und das nicht nur, weil das Risiko von Super-GAUs viel zu hoch und bis heute die Entsorgung völlig ungeklärt ist. Die Erzeugung von Atomenergie ist auch ökonomisch unsinnig. Atomkraft ist am teuersten. Die Herstellung erneuerbarer Energien ist am günstigsten. Der Vorschlag der EU-Kommission muss vom Tisch, da Atomenergie oder Gas nicht als nachhaltige Energieformen eingestuft werden dürfen und damit auch noch mit Geld gefördert.