Gibt es den Ausschalter für die Pandemie?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LAU3LGDZRJACNDI4SG2ZAFA66A.jpeg)
Tausende junge Leute tanzten im Juli auf „Freedom Day“-Partys die Nacht durch, nachdem England fast alle Corona-Maßnahmen aufgehoben hatte.
© Quelle: Alberto Pezzali/AP/dpa
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
erinnern Sie sich noch an das Leben im März 2020? Dieses mulmige Gefühl, dass bald eine beängstigende Veränderung bevorstehen könnte, lag bereits in der Luft. Spätestens mit dem ersten Lockdown war nichts mehr wie zuvor. Wie lange würde dieser Zustand wohl andauern, fragten wir uns damals auch in der Redaktion. Ein paar Monate? Ein Jahr? Heute, mehr als eineinhalb Jahre nach Beginn der weltweiten Corona-Pandemie, ist die Diskussion um das Ende aktueller denn je.
Das Problem: Kann man eine Pandemie einfach so für beendet erklären? Großbritannien hat den Versuch gewagt. Mit der Folge, dass das Land drei Monate nach dem „Freedom Day“ am 17. Juli heute Siebentageinzidenzen jenseits der 400 hat. Auch die Niederlande, die zunächst nach einem verfrühten Lockdownende in die Delta-Welle liefen, wagten vor einem Monat den zweiten Versuch und schafften nahezu alle Corona-Regeln ab. Mittlerweile steigen die Inzidenzen auch dort wieder rasant.
Die Welt ist nicht in Ordnung, weil Minister das sagen.
Michael Hallek,
Leiter der inneren Medizin am Kölner Universitätsklinikum
Muss eine Gesellschaft also einfach lernen, mit dem Risiko zu leben? Meinen Kollegen Dirk Schmaler treibt diese Frage in seinem Leitartikel um. Immerhin fordert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn trotz einer immer noch zu niedrigen Impfquote, die „pandemische Lage nationaler Reichweite“ demnächst zu beenden.
„Mit seiner Amtszeit, so wünscht es Spahn, soll auch die Pandemie ein Ende finden.“ Gern würde man der Idee des Ministers zustimmen. Doch „vieles ist ungewiss“, gibt mein Kollege zu Recht zu bedenken. Die Impfquote in Deutschland ist zu niedrig, um endlich die Korken zum „Freedom Day“ knallen zu lassen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/I6MBVTWAHNCRJA2CI3ID34CGEA.jpeg)
Pflegeverbände halten nichts von einem baldigen „Freedom Day“ und fordern zum Teil schärfere Maßnahmen.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Hinzu kommt: Niemand weiß genau, wie viele Menschen wirklich geimpft sind – „ein bürokratisches Versagen, das auch Spahn zu verantworten hat“. Und auch Fachleute warnen davor, die Pandemie vorschnell für beendet zu erklären. „Die Welt ist nicht in Ordnung, weil Minister das sagen“, kritisiert Michael Hallek, Leiter der inneren Medizin am Kölner Universitätsklinikum.
Die Sorgen um einen weiteren Corona-Herbst nehmen zu. In den vergangenen Tagen gab es immer wieder Corona-Ausbrüche und Impfdurchbrüche in Pflegeheimen. Die Pflegebranche hält ein Ende der Corona-Notlage daher „für unverantwortlich“ und kann sich sogar eine Impfpflicht für Bewohnerinnen und Bewohner vorstellen.
Wenn die Machtverhältnisse sich verschieben
Am späten Montagabend, kurz bevor der „Spiegel“ die bis dahin zurückgehaltenen Recherchen zum Fall Julian Reichelt veröffentlichte, twitterte Juliane Löffler, Autorin der brisanten Story, die zum Sturz des „Bild“-Chefs führte: „Es gibt mehr Me-Too-Geschichten da draußen. Suchen Sie sie und erzählen Sie sie, wenn Sie können.“ Der Tweet klingt wie ein Rat an junge Kolleginnen und Kollegen, hinzusehen und zuzuhören – und immer wieder die Frage zu stellen, wo Diskriminierung anfängt.
Meine Kollegin Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin unseres RND-Hauptstadtbüros, und unser Chefkorrespondent Jan Emendörfer sind genau dieser Frage nachgegangen. Sind schon der anzügliche Spruch, das Zwinkern und der zweideutige Witz vom Chef ein Fall von Übergriffigkeit? Oder geht es hier nur um Geschmacklosigkeit? Klar ist: „Es gibt kein Liebesverbot in deutschen Unternehmen“, schreiben Dunz und Emendörfer. Aber alles hat seine Grenzen. „Problematisch wird es immer dann, wenn es Gegenleistungen gibt“, sagt Volker Rieble, Professor für Arbeitsrecht an der Universität München, im Gespräch. Wenn also ein beruflicher Vorteil versprochen werde, „dann werde es rechtlich relevant“.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat Ende 2019 übrigens in einer Studie zum „Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ beeindruckende Zahlen zutage gefördert. Demnach hatte jede elfte erwerbstätige Person in den zurückliegenden drei Jahren sexuelle Belästigung im Job erfahren. Frauen waren mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Zitat des Tages
Ich bin zutiefst besorgt.
Ursula von der Leyen,
EU-Kommissionspräsidentin, bei der Debatte mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki über ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind
Leseempfehlungen
Was geschah im Westin-Hotel? Vor zwei Wochen ging der Musiker Gil Ofarim mit einer Aussage an die Öffentlichkeit, die für eine Empörungswelle sorgte: Er sei in der Hotellobby antisemitisch angefeindet worden. Auf Überwachungsvideos ist dann aber nicht der vermeintliche Auslöser für den Vorfall zu sehen: die Kette mit dem Sternsymbol. Eine Übersicht über das, was wir über den Fall wissen – und was bisher nicht.
Gesundes Klangerlebnis: Kopfhörer erfreuen sich einer immer größer werdenden Beliebtheit, vor allem bei jungen Menschen. Schnell in oder auf den Ohren platziert, bieten sie ihren Trägern und Trägerinnen ein intensives Klangerlebnis. Doch werden Kopfhörer falsch angewendet, können sie schnell zum Problem werden.
Aus unserem Netzwerk
Tampons und Monatsbinden sollen in Potsdam künftig kostenlos erhältlich sein. Einen entsprechenden Antrag zu Hygieneprodukten für die Menstruation legten vier Fraktionen in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung vor. Ähnliche Projekte gibt es bereits in anderen Städten, wie die „Märkische Allgemeine“ (MAZ) berichtet.
Termine des Tages
Die zunehmenden Grenzübertritte an der Grenze zwischen Belarus und Polen treiben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) um. Um 9 Uhr will er bei einer Sitzung des Bundeskabinetts Vorschläge dazu machen, wie man mit der Situation umgehen könne. Anschließend soll es um 11.30 Uhr eine Pressekonferenz geben.
In der Fußball-Champions-League treten am Abend gleich zwei deutsche Klubs auswärts an. Um 18.45 Uhr ist Anpfiff in Salzburg, wo der VfL Wolfsburg zu Gast ist. Der FC Bayern München spielt ab 21 Uhr bei Benfica Lissabon.
Was heute wichtig wird
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KHJLHYZ6HFD5VGDHBKUZ35PGYQ.jpeg)
In Frankfurt am Main beginnt heute die 73. Frankfurter Buchmesse. Gastland ist in diesem Jahr Kanada. Unter dem Motto „Re:Connect“ findet die Bücherschau mit gedeckelter Besucherzahl und weniger Ausstellern statt. Insgesamt 2000 Verlage und Unternehmen aus 80 Ländern werden erwartet. Mehr als 300 Autorinnen und Autoren stellen ihre Bücher vor.
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Der Podcast des Tages
Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben ist der erste Gast der neuen Staffel von „Klima und wir“. Der Naturschützer und Sachbuchautor („Das geheime Leben der Bäume“) spricht darüber, wie er die Hochwasserkatastrophe in der Eifel erlebt hat, über den Zustand des deutschen Waldes und darüber, warum es seiner Meinung nach keine nachhaltige Forstwirtschaft geben kann.
„Der Tag“ als Podcast
Die News zum Hören
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in den Tag,
Nora Lysk und Nils Thorausch
Abonnieren Sie auch:
Crime Time: Welche Filme und Serien dürfen Krimifans nicht verpassen? Mit unserem Newsletter sind Sie up to date. Alle zwei Wochen neu.
Hauptstadt-Radar: Der RND-Newsletter aus dem Regierungsviertel mit dem 360-Grad-Blick auf die Politik im Superwahljahr. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
What’s up, America? Der wöchentliche USA-Newsletter liefert Hintergründe zu den Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur – immer dienstags.
Die Pandemie und wir: Die wichtigsten Nachrichten der Woche, Erkenntnisse der Wissenschaft und Tipps für das Leben in der Krise – jeden Donnerstag.
Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix und Co. – jeden Monat neu.
Mit RND.de, dem mobilen Nachrichtenangebot des RedaktionsNetzwerks Deutschland, dem mehr als 60 regionale Medienhäuser als Partner angehören, halten wir Sie immer auf dem neuesten Stand, geben Orientierung und ordnen komplexe Sachverhalte ein – mit einem Korrespondentennetzwerk in Deutschland und der Welt sowie Digitalexperten und ‑expertinnen aller Bereiche.
Falls Sie Anregungen oder Kritik haben, melden Sie sich gern direkt bei unserem Chefredakteur Marco Fenske: marco.fenske@rnd.de.