Berlin und Brüssel reagieren empört auf Gewalt gegen Migranten in Kroatien
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Bosnien-Herzegowina: Das Archivfoto zeigt Flüchtlinge, die nachts durch die Berge im Nordwesten des Landes gehen, um über die EU‑Außengrenze nach Kroatien zu gelangen.
© Quelle: Manu Brabo/AP/dpa
Berlin. Mit Entsetzen und Empörung haben Politiker in Berlin und Brüssel auf das Vorgehen maskierter Uniformierter gegen Flüchtlinge an der kroatischen Grenze zu Bosnien reagiert. Bilder eines Recherchenetzwerks zeigen, wie Migranten verprügelt und gewaltsam zurück über die Grenze gebracht werden.
„Das sind unerträgliche Bilder“, sagte Gyde Jensen, Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion für Menschenrechte, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Ich erwarte von der EU und den Mitgliedsstaaten, dass sie die Aufklärung nicht allein der kroatischen Regierung überlassen.“ Diese Menschenrechtsverletzungen müssten von einer unabhängigen Untersuchungskommission überprüft werden. Die EU habe viel zu lange ignoriert, wie an der kroatischen Grenze mehr und mehr das Recht des Stärkeren gelte, sagte Jensen.
Zu einer neuen EU‑Asyl- und -Migrationspolitik müssten zwingend auch wirksame Überwachungs- und Beobachtungsmechanismen zur Einhaltung von Menschenrechten an den EU‑Außengrenzen gehören. „Dafür, dass in dieser Sache in den vergangenen Monaten quasi überhaupt nichts mehr voranging, tragen alle EU‑Mitgliedsstaaten Verantwortung, auch die deutsche Bundesregierung“, kritisierte Jensen.
Es scheint überzeugende Belege zu geben, dass EU-Gelder missbraucht werden.
Ylva Johansson,
EU-Innenkommissarin
Auch die EU‑Kommission zeigte sich sehr besorgt: „Diese Berichte sind schockierend. Das muss aufgeklärt werden“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. „Es scheint überzeugende Belege zu geben, dass EU-Gelder missbraucht werden. Das werde ich heute Abend beim Treffen mit dem griechischen und dem kroatischen Innenminister ansprechen.“
Umfangreiches Beweismaterial
Filmaufnahmen eines Rechercheverbundes belegen schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen an der kroatischen Grenze zu Bosnien. Die Bilder zeigen, wie Flüchtende mit Schlagstöcken über die Grenze aus der EU hinausgeprügelt werden, damit sie in Kroatien keinen Asylantrag stellen können. Weitere Aufnahmen belegen, dass Flüchtende von Kleintransportern aufgegriffen und illegal über die Grenze zurück nach Bosnien gebracht werden.
Allein zwischen Mai und September 2021 filmte das Rechercheteam elf solcher illegalen Pushbacks an fünf verschiedenen Orten an der kroatisch-bosnischen Grenze. Insgesamt sind 38 Polizisten zu sehen und 148 Menschen, die zum Teil unter Einsatz erheblicher Gewalt über die grüne Grenze zurückgetrieben werden.
Anhand der Uniformen und der Ausrüstung lassen sich die Männer als Mitglieder der kroatischen Interventionspolizei identifizieren, die dem Innenministerium untersteht. Sechs kroatische Beamte bestätigten, dass es sich um die kroatische Interventionspolizei handele. Weitere Beamte berichteten anonym von den Pushbacks. Intern werde die Operation „Korridor“ genannt. Zur Recherchekooperation gehören neben der ARD und dem „Spiegel“ auch Lighthouse Reports, SRF-Rundschau, Novosti, RTL Kroatien, Liberation und Pointer.
„Kroatien muss die systematischen und brutalen Pushbacks sofort beenden. Flüchtende an der EU‑Außengrenze müssen die Möglichkeit bekommen, einen Asylantrag zu stellen und ein rechtsstaatliches Verfahren zu durchlaufen“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt dem RND. Die EU-Kommission müsse aufhören, die kroatischen Grenzbeamten finanziell zu unterstützen.
Frontex unterstützt Litauens Grenzschutz zu Belarus
Die EU-Agentur teilte am Montag mit, sie werde 60 Beamte nach Litauen schicken, da ungewöhnlich viele Migranten über Belarus in die EU kommen wollen.
© Quelle: Reuters
Die EU unterstützt einen Grenzüberwachungsmechanismus in Kroatien mit mehr als 14 Millionen Euro. Das Geld ist eigentlich für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gedacht, die das Grenzregime beobachten und bewerten sollen. Marquardt sagte zu diesem Monitoringmechanismus: „Das ist ein reines Feigenblatt. Das Geld für diesen Mechanismus fließt an das kroatische Innenministerium, das ja nun mehrfach gezeigt hat, dass es gar kein Interesse an Menschenrechtsbeobachtung hat.“
Der Europarechtler Thomas Giegerich von der Uni des Saarlandes sagte: „Kroatien begeht Verstöße gegen elementare Verpflichtungen, sowohl aus dem Unionsrecht als auch aus dem Völkerrecht.“ Allerdings kann die EU-Kommission nur Empfehlungen geben, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Täter muss die kroatische Justiz führen.