Generaldebatte im Bundestag: Herr Merkel und Alice im Wunderland
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Friedrich Merz (r-l), CDU-Bundesvorsitzender, spricht, während Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck, und Finanzminister Christian Lindner im Bundestag in der Generaldebatte der Haushaltswoche auf der Regierungsbank zuhören.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Berlin. Wenn im Bundestag in der Haushaltswoche der Etat des Bundeskanzlers aufgerufen wird, schlägt die Stunde der Opposition. Unionsfraktionschef Friedrich Merz nutzte am Mittwoch die Gelegenheit. Er durfte als erster zum insgesamt 476 Milliarden Euro schweren Bundeshaushalt für das kommende Jahr sprechen und warf der Ampel-Koalition ein „handwerklich miserables Regierungshandeln“ vor. Der Kanzler konterte mit einer langen Liste an Eigenlob, die von Investitionen in die Infrastruktur bis zu Entlastungen für die Bevölkerung reichte. „Fast 100 Gesetze in elf Monaten“, bilanzierte er. Die Höhe- und Tiefpunkte der vierstündigen Debatte im Überblick:
Gezielteste Kritik Oppositionsführer Merz erinnerte den Kanzler an sein Versprechen, Jahr für Jahr 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung ausgeben zu wollen. Entgegen dieser Zusage sinke der Verteidigungsetat 2023 um 300 Millionen Euro. Merz warf der Regierung vor: „Das ist grober Wortbruch“. Zugleich beklagte er, dass das Parlamentarische Gremium für die Verwendung der 100 Milliarden Euro Sondervermögen der Bundeswehr erst einmal getagt habe. Die nächste Sitzung finde erst im Februar statt und es gebe noch keinen Wirtschaftsplan für die Beschaffungsvorhaben bei der Bundeswehr. In den Reihen der Union kam die sezierende Kritik gut an. „Hört, hört“ und „unglaublich“, tönte es von ihren Bänken.
Scholz: „Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen“
Fantasievollster Konter Bei diesem Rundumschlag des Oppositionsführers, der der Regierung eine verfehlte Krisenbewältigung vorwarf, während es Millionen von Menschen immer schlechter ginge, sah sich Scholz in die Geschichte von „Alice im Wunderland“ versetzt. „Was groß ist reden Sie klein und umgekehrt“, hielt er Merz entgegen. Dann listete der Kanzler ausführlich auf, dass die Regierung „in wenigen Wochen“ Flüssiggasterminals gebaut habe, 200 Milliarden Euro zur Krisenbewältigung einsetze, Kindergeld und Kinderzuschlag erhöhe und trotz Krieg und Inflation die Modernisierung des Landes vorantreibe. Applaus erhielt Scholz von der Union, als er an die Worte von Friedrich Merz vom CDU-Parteitag erinnerte. Dort hatte dieser gesagt, dass nicht 16 Jahre CDU sondern 16 Wochen Ampel-Regierung das Problem seien. Scholz setzte nach: „Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen.“
Lustigster Versprecher FDP-Fraktionschef Christian Dürr erklärte trotz der schuldenfinanzierten Sondervermögen und weiteren 46 Milliarden Euro Neuverschuldung wortreich und emotional, dass die Ampelregierung die Schuldenbremse einhalte. Im Eifer der Rede sprach er den Oppositionsführer mit „Herr Merkel“ an. Der angesprochene Friedrich Merz bekam einen roten Kopf. Am Ende von Dürrs Rede sah sich Bundestagspräsidentin Bärbel Bas genötigt, den Versprecher aufzuklären und sagte: „Ich gehe davon aus, dass beide, Frau Merkel und Herr Merz, das von sich weisen würden.“ Ausnahmsweise weitgehende Einigkeit im Parlament an diesem Mittwochvormittag.
Wichtigste Frage Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch war ganz gut in Fahrt. Dreiviertel der Bürgerinnen und Bürger seien unzufrieden seien mit der Bundesregierung, sagte Bartsch. „Nur ihre Selbstzufriedenheit kann die Unzufriedenheit im Land noch toppen“, hielt er der voll besetzten Regierungsbank vor. Dann beklagte er die Millionengewinne der Energieriesen inmitten der Krise. In Richtung Regierung fragte er: „Wann schöpfen Sie die Zufallsgewinne denn mal ab?“ Und schickte einen ironischen Stoßseufzer hinterher: „Energiekonzern müsste man sein.“
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Offensichtlichstes Ablenkungsmanöver Wenn die AfD im Plenum das Wort bekommt, tippen die Vertreterinnen und Vertreter der übrigen Fraktionen auf ihren Handys rum, rascheln mit ihren Redemanuskripten, studieren Akten oder führen leise Gespräche. Den Auftritt von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, die der Regierung Lüge, Dekadenz und Zerstörung des Industriestandorts Deutschland vorwarf, überbrückte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit einem Spaziergang durchs Plenum. Demonstrativ blieb er bei Grünenchef Omid Nouripour stehen. Während Weidel Vorwürfe wie „hirnrissiges Gegendere“ und „totalitäres Experiment Ihrer Corona-Politik“ in den Plenarsaal rief, lachten die beiden miteinander.