Gelingt jetzt Putins Zähmung?
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Annäherung ohne Lächeln: Putin und Biden am Mittwoch in Genf.
© Quelle: imago images/ITAR-TASS
Bloß keine abschließende gemeinsame Pressekonferenz mit Wladimir Putin! Wer ihm die Bühne überlässt, hat schon verloren.
Die Warnungen der amerikanischen Russland-Expertin Fiona Hill an Joe Biden vor dem trickreichen Mann aus dem Kreml waren mehr als deutlich. Der US-Präsident hielt sich daran.
Schon lange vor dem Treffen in Genf verfügte Biden, dass es anschließend zwei getrennte Pressekonferenzen geben werde – obwohl Putin lieber einen Seite-an-Seite-Auftritt gesehen hätte.
Beraterin Hill, 55, war erleichtert. Alle US-Präsidenten, die mit Putin zu tun hatten, hatten sich schwergetan mit ihm. Bill Clinton stieß bei ihm an Grenzen, ähnlich George W. Bush und auch Barack Obama.
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Sie warnt vor Putins Dominanz auf der Bühne: Russland-Expertin Fiona Hill von der liberalen Denkfabrik Brookings beriet diesmal Joe Biden, arbeitete aber auch schon für Donald Trump, Barack Obama und George W. Bush.
© Quelle: AP
Regelrecht katastrophal wurde es mit Donald Trump, dessen intellektuelle Unterlegenheit bei einem Treffen mit Putin im Jahr 2018 auf Schritt und Tritt zu spüren war. Die gemeinsame Pressekonferenz in Helsinki wurde zu einem „schrecklichen Spektakel“, wie Hill am Mittwoch im Sender CNN sagte: „Das war eine Demütigung für die USA.“
Solche Fehler passieren Biden nicht. Ob es um Inhalte geht, um den Stil, um Details: Biden, der 78-jährige Altmeister der Außenpolitik, bewegt sich in diesen Tagen durch die europäische Szenerie wie eine schwere Lok auf Schienen, effizient und sicher.
Planvoll beschleunigte Geschichte
Der neue alte Mann im Weißen Haus sucht nicht nach Orientierung, er bietet sie. Alles ist durchdacht, bis hinein in die genaue Abfolge der Termine.
Nur so wurde möglich, was inzwischen den Rest der Welt staunen lässt: eine Art planvoll beschleunigte Geschichtsschreibung.
- Am vorigen Wochenende brachte Biden, beim Treffen im englischen Cornwall, die G7-Staaten hinter sich – auch mit dem Plan, eine Alternative zu Pekings globalen Seidenstraße-Projekten anzuschieben.
- Am Montag folgte, beim Nato-Gipfel in Brüssel, ein demonstratives Zusammenrücken der 30 Staaten der atlantischen Allianz um den neuen US-Präsidenten. Erstmals ist seither in den Nato-Dokumenten von China die Rede.
- Am Dienstag ließ Biden, Simsalabim, bei einem EU-USA-Gipfel einige alte europäisch-amerikanische Handelsstreitigkeiten von der Bühne verschwinden. Im Streit zwischen Airbus und Boeing wird von nun an erst mal die Verhängung von Strafzöllen ausgeschlossen. Biden will nicht, dass Europäer und Amerikaner untereinander hadern. Beide sollen sich auf die große Auseinandersetzung dieser Zeit konzentrieren: die Konfrontation zwischen der Demokratie und dem um sich greifenden Autoritarismus.
- Am Mittwoch schließlich trat Biden, weltpolitisch frisch gestärkt, beim amerikanisch-russischen Gipfel dem aus Moskau angereisten Präsidenten Putin gegenüber. Die Begegnung in der Villa La Grange am Genfersee schuf noch keine neuen Verhältnisse, etablierte aber einen neuen Ton zwischen den USA und Russland.
Gute Atmosphäre beim Gipfel in Genf
Putin lobte in seiner Pressekonferenz am Mittwochabend die Atmosphäre der Diskussionen mit Biden: „Ich habe überhaupt keine Feindseligkeiten gespürt.“ Ähnlich äußerte sich später Biden in seinem eigenen Auftritt vor der Presse: Ein konstruktiver Ton habe sich durch sämtliche Beratungen gezogen. Auf eine entsprechende Reporterfrage sagte Biden: „Es gab keinerlei Drohungen.“
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"Es gab keinerlei Drohungen": Joe Biden zieht am Mittwochabend in Genf eine positive Bilanz seiner Gespräche mit Wladimir Putin.
© Quelle: Patrick Semansky/AP/dpa
Einmal mehr, dozierte Oberdiplomat Biden, habe sich in Genf der Wert persönlicher Aussprachen gezeigt.
Veränderungen im Faktischen dürften sich noch eine Weile hinziehen, doch einiges ist jetzt in Bewegung.
Die Botschafter sollen wieder ihre Posten beziehen, beide Seiten hatten sie zuletzt zurückgezogen. Zudem sollen amerikanisch-russische Expertenrunden über eine Fülle offener Fragen reden, von Cyberattacken über die Lage in Belarus bis hin zum Miteinander der Anrainerstaaten der Arktis. Auffallend lange sprach Putin im sommerlichen Genf über die Bedeutung des Polarmeers für die Schifffahrt im 21. Jahrhundert. Zum Thema Gefangenenaustausch sagte Putin, er glaube, „dass wir da Kompromisse finden werden“.
Fast schon verdächtig wurde es, als Putin sich sogar zu einer persönlichen Würdigung des US-Präsidenten aufschwang: Biden sei eine ausbalancierte, sehr erfahrene Persönlichkeit, die sich an bestimmten Moralvorstellungen orientiere, dies alles beeindrucke ihn.
Putin sieht sich aufgewertet durch den Gipfel in Genf. Freilich sagt er das nicht laut. Lange tat er so, als langweilten ihn die USA im Allgemeinen und Biden im Speziellen. „Er ließ den schlauen Jungen raushängen, der lässig grinsend irgendwo hinten im Klassenraum sitzt“, sagt ein Nato-Mann. Schon bei Bidens virtuellem Klimagipfel hatte Putin exakt diese Pose eingenommen: Der Typ, der dies alles hier eigentlich gar nicht nötig hat.
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Abreise: Wladimir Putin, Präsident von Russland, steigt in eine Limousine nach seinem Treffen mit US-Präsident Biden in Genf.
© Quelle: Alexander Zemlianichenko/AP Pool
Biden indessen waren diese Gesten ganz egal, für ihn war nur wichtig, dass der Russe beim Thema Klimaschutz überhaupt mitmachte. Es war, immerhin, endlich mal ein konstruktives Zeichen in einer ansonsten völlig heruntergekommenen Beziehung zwischen Russland und dem Westen.
Ein paar Signale der Entspannung
Auch Biden gab ein paar Signale der Entspannung. Er verzichtete auf eine neue Sanktionsrunde wegen der Nawalny-Vergiftung. Außerdem nahm er den blubbernden Nord-Stream-2-Streit fürs Erste vom Herd und sorgte für eine vorläufige Abkühlung der Debatten.
Was nun? Bislang ist das Bild sehr gemischt. Biden ließ, während er Putin im April freundlich nach Genf bat, schwere strategische Bomber in Norwegen landen. Putin wiederum gefiel es, just in der vergangenen Woche die Schlinge um Russlands Opposition noch einmal ein Stück enger zu ziehen: Die komplette Antikorruptionsstiftung des inhaftierten Putin-Kritikers Alexej Nawalny wurde offiziell zu einer extremistischen Organisation erklärt. Wer jetzt noch mitmacht, riskiert Gefängnisstrafen. Liebesgrüße aus Moskau gehen anders.
Bidens Kälte hat nicht geschadet
Im US-Sender NBC betonte Putin kurz vor dem Genfer Gipfel, der Zustand der Beziehungen zwischen den USA und Russland sei so schlecht wie selten zuvor – dass dies an der inzwischen ellenlangen Liste von russischen Verstößen gegen internationales Recht liegen könnte, von der Annexion der Krim über die Bombardierung von Krankenhäusern in Syrien bis zur Vergiftung politischer Widersacher, lässt der Kremlherr nicht gelten. Für die russische Verwicklung in Wahlkampfmanipulationen und Hackerangriffe, stänkerte Putin, wolle er erst mal Beweise sehen.
In einer für Biden beinahe beleidigenden Weise lobte Putin Trump als ungewöhnliche Persönlichkeit, „egal, ob man ihn mag oder nicht“. Jedenfalls sei er kein Mann aus dem Establishment wie Biden, der eher „ein Karrieremensch“ sei.
Allerdings gehört mit ins Bild, dass umgekehrt auch Biden Putin nie Komplimente gemacht hat. So antwortete Biden im März auf die Frage eines Journalisten, ob er Putin für einen Killer halte: „Ja, tue ich.“ Dieses eiskalte Herangehen hat, wie sich in Genf gezeigt hat, nicht geschadet.