Gelbwesten-Proteste – Frankreichs gefährliche Bewegung
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Gewalt auf den Champs-Élysées: Ein „Gelbwesten“-Demonstrant steht auf einer brennenden Barrikade vor dem Triumphbogen in Paris.
© Quelle: Foto: Michel Euler/AP/dpa
Paris. Sie spricht klar und direkt, in einem spitzen Tonfall und angetrieben vom Zorn, der spürbar in ihr brodelt. „Was, bitte, machen Sie mit der Knete der Franzosen?“, fragte Jacline Mouraud Mitte Oktober in einer Videoaufnahme, die sie ins Netz stellte und in der sie sich direkt an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron wandte.
Öffentliche Gelder gebe er für Geschirr im Élysée-Palast oder ein neues Schwimmbad in seiner Sommer-Residenz aus, während das Volk nichts davon sehe. Seit seinem Amtsantritt veranstalte er eine regelrechte „Hetzjagd auf Autofahrer“ mit steigenden Spritpreisen, höheren Bußgeldern und Radaranlagen überall. Sie fragte: „Wohin steuert Frankreich, Herr Macron?“
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Mouraud hatte wohl kaum damit gerechnet, mit ihrem Video berühmt zu werden. Doch inzwischen wurde es millionenfach geklickt – und die sorgfältig geschminkte 51-Jährige mit den silbergrauen Haaren als Gast in unzählige Fernseh-Talkshows eingeladen. Ihre Wuttiraden dienen als Begleitmusik für die Bewegung der „Gelbwesten“ („Gilets jaunes“), deren Anhänger an den drei vergangenen Sonnabenden in ganz Frankreich demonstriert und mitunter auch gewaltsam randaliert haben.
Vor allem in Paris kam es zu Ausschreitungen. Inzwischen starben drei Menschen bei Unfällen durch Straßenblockaden, Hunderte wurden verletzt, Hunderte festgenommen. Autos brannten, Häuser wurden zerstört. Am nächsten Sonnabend soll es weitergehen. Beobachtern zufolge womöglich mächtiger denn je.
Regierung zieht die Notbremse
Schließlich hat die Bewegung, die es von Youtube-Videos und Twitter-Nachrichten erstaunlicherweise auf die Pariser Champs-Élysées geschafft hat, nun auch politisch ihren ersten großen Erfolg gefeiert. Gestern kündigte die französische Regierung an, die geplante Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel für sechs Monate auszusetzen.
Keine Steuer rechtfertige es, die Einheit der Nation zu gefährden, sagte Premierminister Édouard Philippe am Dienstag in Paris in einer Fernsehansprache. „Wir sehen, wie in Frankreich eine tief sitzende Wut hochkocht, die es seit Langem gibt. Eine Wut der Franzosen, die das Gefühl haben, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, die arbeiten gehen und nicht absteigen wollen.“ Der Regierungschef kündigte zudem an, dass die Tarife für Elektrizität und Gas während des Winters nicht angehoben werden sollen. Auch von einer geplanten Verschärfung der Regeln für TÜV-Kontrollen will die Regierung nun vorerst absehen.
Es war eine Art Notbremse, die zu ziehen Präsident Emmanuel Macron auf jeden Fall verhindern wollte. Die Wut der Protestbewegung hatte sich an den für Januar geplanten Steuererhöhungen auf Kraftstoffe entzündet, die Macron und seine Regierung im Zuge einer Ökoreform durchsetzen wollten. Der Protest richtet sich aber auch ganz allgemein gegen die Reformpolitik Macrons, der von vielen als „Präsident der Reichen“ angesehen wird. Noch vor einer Woche hatte der Präsident einen Rückzieher ausgeschlossen. „Macron behält seinen Kurs bei – wir auch!“, erwiderten daraufhin die „Gelbwesten“ und kündigten für nächsten Sonnabend einen „vierten Akt“ der Proteste an.
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Eine Notbremse, die er nicht hatte ziehen wollen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
© Quelle: imago stock&people
Es geht deshalb um mehr als nur um die Einführung einer Ökosteuer, mit der Frankreich den CO2-Ausstoß reduzieren will. Es geht um Macrons Reformagenda insgesamt. Wenn diese nun durch den teils gewaltsamen Protest auf der Straße ins Stocken gerät, kann das erhebliche Folgen für Frankreich haben – und auch für ganz Europa.
Seit dem Sommer sind die Umfragewerte des Präsidenten rapide gefallen. Fast scheint es, als müsste sich auch Macron einreihen in die Reihe der Präsidenten, die vor der Macht der Straße einknickten und ihre Reformen zurücknahmen. Das alte Frankreich-Klischee, es steckt noch immer einige Wahrheit darin.
Autoritäre Versuchung
Doch wer sind die „Gelbwesten“, die den anfangs so strahlenden Macron nun derart in Bedrängnis bringen – und bereits lautstark seinen Rücktritt fordern? Die Antwort ist nicht ganz einfach, das Bündnis sehr unübersichtlich und breit gefächert.
Unter ihnen sind viele Arbeiter, auch wenn die Gewerkschaften bisher nicht offiziell dazu aufgerufen haben, die Bewegung zu unterstützen. Allerdings hat auch Macron recht, der erklärte, dass die "gelben Westen" mehr und mehr auch von Rechts- und Linksextremisten gekapert wurden. So unterstützt etwa auch die rechtspopulistische Marine Le Pen, Präsidentin des Rassemblement National, der Nachfolgepartei des Front National, die Bewegung. "Bravo den Gelbwesten, die die Flamme des unbekannten Soldaten gegen die Randalierer schützten und dabei die Marseillaise sangen. Ihr seid das Volk, das sich gegen das Gesindel erhebt." Meinungsforscher warnen bereits vor einer Bewegung, die etwa die Angst vor Einwanderern mit der Kritik an sozialer Spaltung verbinde. Auch in Deutschland versuchen rechte Gruppen, den Gelbwesten-Protest zu übernehmen.
Der deutsch-französische Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit warnt bereits vor der Protestbewegung – und ihren Revolutionsanleihen. Die Franzosen erlebten keine revolutionäre Zeit, sondern die Demonstranten gäben sich vielmehr einer „autoritären Versuchung“ hin, sagte er mit Blick auf die „Gelbwesten“-Proteste.
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“Eine autoritäre Versuchung“: Der deutsch-französische Publizist und frühere Grünen-Europaabgeordnete, Daniel Cohn-Bendit.
© Quelle: dpa
Gewalttätig jedenfalls ist ein Teil der Demonstranten. Ein für gestern geplantes Treffen des Premierministers mit Vertretern der „Gelbwesten“, die sich für einen konstruktiven Dialog mit der Regierung ausgesprochen hatten, war am Vorabend abgesagt worden, nachdem diese Morddrohungen aus Reihen der Demonstranten erhalten hatten.
Macrons Versuch, die Proteste als Werk von Radikalen zu brandmarken, ist allerdings nicht aufgegangen. Trotz der gewaltsamen Zusammenstöße und radikalen Tendenzen unterstützen Umfragen zufolge fast drei Viertel der Franzosen weiterhin die Demonstranten, die sich als Erkennungszeichen Sicherheitswesten überziehen.
Bewegung ohne Kopf
Was sie von bisherigen Protestbewegungen unterscheidet und den Behörden den Umgang mit ihnen so schwer macht, ist ihre dezentrale Organisation. Sie bleiben auf Abstand zu den Gewerkschaften und Oppositionsparteien, auch wenn diese eifrig ihre Unterstützung zusichern – handelt es sich doch um eine Allianz gegen Macron. Anstatt wie bei traditionellen Demonstrationen ihre Aktionen und Straßenblockaden vorher anzumelden, mobilisierten die „Gelbwesten“ Mitstreiter über die sozialen Netzwerke.
Viele von ihnen leben wie die Bretonin Mouraud in abgelegenen Regionen, wo sie mangels ausreichender öffentlicher Verkehrsanbindung auf ihre Autos angewiesen sind. Weil sie oft nur schwer über die Runden kommen, treffen sie die steigenden Diesel- und Benzinpreise besonders empfindlich, die zumindest teilweise auf eine Ökosteuer zurückgehen.
Es war der 33-jährige Lastwagenfahrer Eric Drouet, der als Erster auf einer Facebook-Seite zum Protest gegen die Steuererhöhung aufrief. Er tat sich dafür mit der 32-jährigen Priscilla Ludosky, Betreiberin einer Onlineboutique für Kosmetikartikel, zusammen, die im Mai eine äußerst erfolgreiche Internet-Petition lanciert hatte. Zu deren Forderungen gehörten der „sofortige Stopp der Steuererhöhungen“ und die „Aufteilung der Steuern auf alle verschmutzenden Akteure (Luft, Wasser, Straße)“.
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Zerbrochene Scheiben im Stadtzentrum von Paris: Die Krawallen in der französischen Hauptstadt haben viel Schaden angerichtet.
© Quelle: imago stock&people
In das Gefühl einer ungleich verteilten Belastung mischt sich eine allgemeine Wut auf hohe Lebenshaltungskosten – und auf Macron, der die Not der „kleinen Leute“ übergehe.
Vielen erscheint der 40-jährige Präsident als typischer Vertreter einer abgehobenen Elite, der mit flapsigen Aussprüchen viel Porzellan zerbrochen hat: Dass er einem arbeitslosen Gärtner empfahl, dieser brauche doch „nur über die Straße zu gehen“, um einen Job im Gastronomie- oder Hotelleriegewerbe zu finden, haben viele Franzosen Macron nicht verziehen. Sein Versprechen, er werde mit seinen Reformen Frankreichs Wirtschaftskraft und damit die Situation aller verbessern, führte bislang nicht zu spürbaren Entlastungen.
Der Protest geht weiter
Und dennoch ist es keinesfalls sicher, ob den teilweise radikalisierten Aktivisten die nun angekündigte Aussetzung der Steuererhöhungen genügen. In ersten Reaktionen nannten einige Vertreter die Maßnahmen „völlig unzureichend“ und forderten eine Generalüberholung der Steuerpolitik sowie Gehaltserhöhungen.
In der vergangenen Woche listeten die „Gelbwesten“ in einer Mitteilung 42 Forderungen auf. Vieles zielt auf eine Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen. Unter anderem wollen sie Post und Bahn ausbauen, von denen einige Regionen abgeschnitten sind. Die Protestbewegung verlangt zudem eine Anhebung von Renten und Mindestlohn. Aber auch eine radikale Demokratisierung samt Volksabstimmungen und mehr Einflussmöglichkeiten der „einfachen Leute“ werden gefordert.
Für Macron, der im Mai 2017 angetreten ist, um Frankreich mit wirtschaftsliberalen Reformen auf einen neuen Wachstumskurs zu bringen, werden diese Forderungen nicht erfüllbar sein. Die Proteste werden deshalb so schnell nicht enden. Am Sonnabend wollen die „gelben Westen“ wieder auf der Straße stehen.
Von Birgit Holzer