Gegen Kühnert war Schröder als Juso-Chef ein Nobody
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Der Juso-Chef Kevin Kühnert (SPD).
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Berlin. Es ist eine der bemerkenswertesten Szenen aus den 23 SPD-Regionalkonferenzen. „Wir werden noch nicht mal dem heiligen Kevin gehorchen, weil wir unseren eigenen Kopf haben“, wirft Gesine Schwan dem Kandidatenduo aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an den Kopf. Der „heilige Kevin“, damit ist Juso-Chef Kevin Kühnert gemeint. Und Schwan, 76 Jahre alte Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, will Esken und Walter-Borjans damit sagen: Ihr seid gar nicht richtig unabhängig, ihr macht doch im Zweifel das, was der Juso-Vorsitzende von euch verlangt.
Eines ist klar: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans – mit 53,06 Prozent die Sieger in der Stichwahl der Mitgliederbefragung gegen Vizekanzler Olaf Scholz und die Brandenburgerin Klara Geywitz – wären ohne die Unterstützung von Kevin Kühnert wahrscheinlich nicht Parteichefs geworden. Es ist das machtpolitische Meisterstück Kühnerts, zwei Kandidaten durchgebracht zu haben, die noch bis kurz vor Beginn der Regionalkonferenzen niemand auf dem Zettel hatte.
Denn viele in der Partei hatten im Sommer darauf gewartet, ob Kühnert – prominentester GroKo-Kritiker in der SPD – selbst ins Rennen zieht. Doch der Juso-Chef schreckte zurück. „Kandidieren sollte man nur mit der klaren Überzeugung, das Amt im Erfolgsfall auch mit aller Konsequenz ausfüllen zu wollen und zu können“, sagte Kühnert damals, wenige Tage bevor die Meldefrist ablief. „In erster Linie bin ich ein Mensch, und jeder Mensch muss für sich selbst bewerten, was er unter den ihm gegebenen Umständen leisten kann.“
Die Strategie des Juso-Chefs vor der Mitgliederbefragung
Ohne eine Kandidatur Kühnerts drohten die zahlreichen Kandidaturen linker Teams sich gegenseitig die Stimmen wegzunehmen. Das hätte, so damals die Analysen, bedeuten können, dass mit Scholz/Geywitz und dem Duo aus Boris Pistorius und Petra Köpping zwei vergleichsweise konservative Teams das Rennen unter sich ausmachen. Kühnert wollte das verhindern. Er erklärte seine Unterstützung für Walter-Borjans und Esken und organisierte auch eine entsprechende Empfehlung des Juso-Bundesvorstandes.
Das und die Unterstützung großer Teile der NRW-SPD brachten Walter-Borjans und Esken die Rolle des Favoritenteams auf dem linken Flügel ein. Walter-Borjans, der während seiner Zeit als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen mit gekauften Daten-CDs Jagd auf Steuersünder gemacht hatte, wurde in der öffentlichen Wahrnehmung zum Anti-Scholz. Auf den Regionalkonferenzen stellten viele Jusos Walter-Borjans und Esken freundliche Fragen – und anderen Teams kritische.
Das trug die beiden durch die Regionalkonferenzen – und das, obwohl sich auch in dem Jugendverband die Begeisterung über die Auftritte von Esken und Walter-Borjans auf den Regionalkonferenzen in Grenzen hielt. Inhaltlich sprach es ihnen zwar aus der Seele, wenn Walter-Borjans gebetsmühlenartig vortrug, der Bus SPD sei in die „neoliberale Pampa“ abgebogen und müsse da wieder raus. Doch wenn man nach den Auftritten Jusos fragte, sagten viele, sie hätten den Auftritt des favorisierten Duos eher dröge gefunden.
Der Sieg der Underdogs Walter-Borjans und Esken ist damit nicht nur Ausdruck davon, wie satt es viele Mitglieder haben, dass ihre Partei in der großen Koalition Kompromisse macht. Er ist auch ein Zeichen davon, dass es noch nie einen Juso-Vorsitzenden gab, der in seiner Amtszeit so einflussreich war wie Kevin Kühnert. Andrea Nahles, die letzte wichtige Juso-Vorsitzende vor dem Berliner, war es nicht. Der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder war als Juso-Chef machtpolitisch ein Nobody im Vergleich zu Kühnert und seinem heutigen Einfluss.
Was folgt daraus für Kühnert? Unter reinen Karrieregesichtspunkten betrachtet, wäre ein knapper Sieg von Scholz und Geywitz für den 30-Jährigen eine komfortable Sache gewesen. Der Stichwahleinzug und ein gutes Ergebnis von Esken und Walter-Borjans wären ein Achtungserfolg für ihn gewesen. Kühnert, der frühzeitig zu erkennen gegeben hat, dass er eine Kandidatur als stellvertretender Parteichef nicht ausschließt, wäre dieses Amt nicht zu nehmen gewesen. Seine Bedeutung wäre gestiegen – für alles, was schiefgelaufen wäre, wären Scholz und Geywitz verantwortlich gewesen.
Das ist jetzt Kevin Kühnerts Job
Und jetzt? Wenn Esken und Walter-Borjans scheitern sollten, stünde auch die Frage nach Kühnerts Mitverantwortung im Raum. Er wird jetzt versuchen, die neuen Vorsitzenden zu unterstützen. Das dürfte heißen, bei der Basis dafür zu werben, dass Esken und Walter-Borjans Spielraum für Gespräche mit der Union bekommen. Die beiden werden Kühnerts Hilfe brauchen, falls sie den SPD-Mitgliedern erklären wollen und müssen, dass sozialdemokratische Wunschzettel von CDU und CSU nicht eins zu eins umgesetzt werden.
Bei den Vizeposten wird es jetzt eine Priorität sein, die Verliererseite einzubinden – das wird ein kompliziertes Puzzle. Für Kühnert wäre der Griff nach einem Vizeposten aber weiterhin attraktiv – schon allein um dem Vorwurf auszuweichen, er schrecke am Ende immer davor zurück, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Im Willy-Brandt-Haus gab es am Samstagabend innige Umarmungen zwischen den Siegern und Kevin Kühnert. Die neuen SPD-Chefs werden dem Juso-Vorsitzenden zuhören. Auch wenn diejenigen, die – wie Franz Müntefering einmal sagte – „das schönste Amt neben Papst“ übernehmen, von einer Heiligsprechung Kühnerts vielleicht doch noch absehen.