Gefoltert in Guantanamo: Häftling Nummer 760

Mohamedou Ould Salahi saß 14 Jahre in Guantanamo ein.

Mohamedou Ould Salahi saß 14 Jahre in Guantanamo ein.

Schwabe wahrscheinlich. Oder Badener. Manchmal jedenfalls, wenn sich Mohamedou Ould Slahi vorstellt, er wäre Deutscher, dann hat er auch eine klare Idee von seiner Heimat: Baden-Württemberg. Immer schon habe er von einem eigenen Haus geträumt, sagt er auf Deutsch. „Dieses ‚Schaffe, schaffe, Häusle baue‘, das fand ich immer faszinierend.“

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Er lacht, wie nach einem Scherz. Dabei war zumindest der Wunsch immer echt.

Mohamedou Ould Slahi besitzt jetzt tatsächlich ein Haus. Nicht in Baden-Württemberg, sondern in Nouak­chott, Mauretanien. Doch in diesem Haus bewohnt er nur ein einziges Zimmer. „Ich muss Wände um mich haben, weil ich keine Überraschungen mag“, sagt er. „Ich muss immer sehen, wer durch die Tür kommt. Wie in einer Zelle.“ Die Zelle sei irgendwann seine Basis geworden. Der Ort, „in dem ich Ruhe fand, weil sie so klein war“. Seit Guantanamo braucht Mohamedou Ould Slahi die Enge zum Leben.

50 Jahre ist er alt. 14 davon hat er in dem US-Militär­gefängnis auf Kuba verbracht. Ohne Anklage. Ohne Verurteilung. Slahi wurde zum Versuchs­objekt jener Verhör­qualen, die das Pentagon für die Insassen genehmigte, laut internen Dokumenten galt er zeitweise als der meist­gefolterte Häftling. Hitze, Kälte, Isolation, Drohungen, Prügel, gezielte Demütigung, sexuelle Belästigungen, alles hat Slahi ertragen müssen. Doch obwohl den Ermittlern und Ermittlerinnen schon bald Zweifel kamen, dass er mit den Anschlägen vom 11. September etwas zu tun hatte, dauerte es, bis 2016, bis Häftling Nummer 760 frei­gelassen wurde.

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Slahi ist ein schmaler Mann, beim Video­interview trägt er ein hell­blaues Gewand über einem beige­farbenen Hemd und eine Brille mit schwarzem Rand. Er sitzt in der Firma eines Freundes, für den er tageweise als technischer Berater arbeitet. Seit der Frei­lassung ist er in Mauretanien ein berühmter, anerkannter Mann.

Bekanntheit hat Nachteile

Doch die Bekannt­heit hat auch Nachteile. Mehr Trink­geld müsse er geben, sagt er, „und auch wenn ich mich mal schlecht benehmen möchte – es geht nicht“. Wieder lacht Slahi. Wie er es geschafft hat, nach all dem wieder zu dieser Leichtig­keit und Stabilität zu finden? Daraufhin wird sein Gesicht schlagartig ernst. „Die Prämisse der Frage ist falsch“, sagt er. „Ich bin nicht stabil.“

Der Tag, an dem Slahi festgenommen wird, ist der 20. November 2001. Er lebt in Nouak­chott, der Haupt­stadt Mauretaniens, nach der Arbeit ist er bei seiner Mutter, als zwei Geheim­­dienst­­offiziere klingeln. Sie hätten nur ein paar Fragen, er möge mitkommen. „Im Rück­spiegel sah ich, wie meine Mutter betete“, sagt er. Es ist das letzte Mal, dass er sie sieht. Als er 2016 freigelassen wird, ist sie längst tot.

Slahi wird nach Jordanien gebracht, dann auf einen US-Stützpunkt in Afghanistan, schließlich nach Guantanamo. Und tatsächlich haben die US-Ermittler und -Ermittlerinnen zu diesem Zeitpunkt, kurz nach dem 11. September, sehr gute Gründe, ihm viele unangenehme Fragen zu stellen.

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Ein brillanter Schüler

Aufgewachsen ist Mohamedou Ould Slahi mit elf Geschwistern als Sohn eines Kamel­treibers südlich von Nouak­chott. Als sein Vater stirbt, ist er zehn, die Familie zieht in die Hauptstadt. Mohamedou ist ein brillanter Schüler, mit 17 erhält er ein Hoch­begabten­stipendium der Carl-Duisberg-Gesellschaft, um in Duisburg Elektro­technik zu studieren. Doch widmet er sich hier nicht nur der Universität. Zweimal fliegt er von hier aus nach Afghanistan, um sich in einem Trainingscamp von Al-Kaida ausbilden zu lassen. Zu dieser Zeit kämpfen die Mudschaheddin noch gegen die sowjetischen Besatzer, mit dem Segen und der Unterstützung der USA.

Sieben Jahre später, 1999, inzwischen arbeitet er in Duisburg als Elektro­techniker, übernachten drei junge Männer für eine Nacht bei ihm, die auf dem Weg nach Afghanistan sind, um in das zu ziehen, was sie den Dschihad nennen. Zwei Jahre später werden sie zu den Attentätern des 11. September gehören.

Das Gefangenenlager Guantanamo, aufgenommen im Jahr 2002.

Das Gefangenenlager Guantanamo, aufgenommen im Jahr 2002.

Und ebenfalls in dieser Zeit, Ende der Neunzigerjahre, erhält Slahi einen Anruf eines Cousins und Schwagers. Früher war Slahi mit ihm zur Schule gegangen, jetzt gehört dieser Cousin als dessen Scharia-Berater Abu Hafs al-Mauritani zum engsten Kreis von Al-Kaida-Führer Osama bin Laden. Der Anruf wird von der CIA registriert. Kurz darauf gehen auf Slahis Konto mehrere Tausend D-Mark ein. Absender: ebendieser Abu Hafs.

Mohamedou Ould Slahi ist jetzt auch auf dem Radar der deutschen Geheimdienste.

Für alles das hat er eine Erklärung. „Als ich jung war, wollte ich Rache“, sagt er heute. „Und ich habe gedacht, dass Leute wie die Taliban uns Frieden bringen.“ Doch als er sah, wie die Islamisten bei der Einnahme Kabuls 1992 auch Frauen und Kinder töteten und einander abschlach­teten, habe er sich abgewandt. „Ich dachte: What the fuck mache ich in diesem Land?“

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Die Beziehung zu seinem Cousin schließlich habe er nicht abbrechen können, daher der Anruf, in dem es darum ging, dessen Vater Geld zukommen zu lassen. Und die drei jungen Männer wiederum habe er nur aufgenommen, weil ein Bekannter, der selbst zur Spät­schicht musste, ihn darum bat. „Ich kannte ihre Namen nicht“, beteuert er.

Sehr viele Verdachtspunkte

Dennoch sind das sehr viele Verdachts­punkte auf einmal. Zumal bald darauf noch ein weiterer dazukommt. Slahi zieht nach Kanada, als er in Deutschland zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden ist, nachdem er eine Firma nicht angemeldet und weiter Arbeits­losen­geld bezogen hatte. Die Firma sei noch gar nicht angelaufen, habe nicht einen Cent Umsatz gemacht, sagt er. Kanada sei freier, offener, denkt er nun. Doch als die USA einen Mann festnehmen, der ein Attentat in Los Angeles verüben wollte und zuvor in derselben Moschee wie Slahi ein- und ausgegangen war, da rückt er erneut in den Fokus. Wenn es um Attentate und Islamismus geht, ist Slahi irgendwie immer schon da. Einen „Forrest Gump des Dschihadismus“ hat ihn ein Ermittler später genannt.

Als die Amerikaner nach dem 11. September die Kartei möglicher Verdächtiger durchgehen, markieren sie seinen Namen mit dickem Stift. Für den Chef­rekrutierer halten sie ihn. Den Mann, der die Attentäter engagierte. Nur zählen in einem Rechts­staat nicht Verdachts­momente, sondern Beweise. Und die finden die Ermittler nicht.

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In Slahis Zelle drehen sie die Klima­anlage auf, bis er in Schweiß zerfließt – oder kühlen den Raum so herunter, dass er permanent friert. Ob es Tag oder Nacht ist, versucht er am Licht­schein in der Klo­spülung zu erkennen. Er wird beschallt mit dröhnender Metal­musik, „Let the Bodies Hit the Floor“. Doch erst als er zusammen­geschlagen wird und man droht, seine Mutter zu vergewaltigen, fängt er an zu reden, nennt Namen, Anschlags­pläne, zeichnet Organigramme. Nur dass den Ermittlern bei der Überprüfung selbst Zweifel kommen. Weil die Angaben nicht stimmen können.

Immer „höflich und zugänglich“

„Sie haben mich gefoltert, da habe ich gesagt, was sie hören wollten“, sagt er. Als er an den Lügen­detektor angeschlossen wird, nimmt er die Geständnisse zurück. „Ich wusste ja, wie der funktioniert. Dass ich nicht lügen konnte. Ich bin ja Natur­wissen­schaftler.“ Der Detektor blieb stumm. 2010 ordnet ein US-Bundes­richter seine Frei­lassung an. Doch die Regierung legt Berufung ein, Slahi bleibt in Guantanamo. Zum Entsetzen mancher Ermittler.

„Ich habe ihn immer als höflich und zugänglich erlebt“, schreibt der ehemalige Chef­ankläger von Guantanamo, Morris D. Davis, 2016 über seine Verhöre mit Slahi in den Jahren 2006 und 2007. „Ich habe nicht wahrgenommen, dass er eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten darstellt.“ Es habe auch einen Unter­schied zwischen Slahi und den anderen Häft­lingen gegeben. Diese hätten nach ihm und den Wärtern gespuckt und geschrien – Slahi nicht. „Die Ironie ist, dass die meisten anderen nicht mehr in Guantanamo sind – und Mr. Slahi schon.“

Erst in diesem Jahr, 2016, ordnet eine Untersuchungs­kommission seine Freilassung an. Slahi sagt, er empfinde keinen Hass auf seine Folterer. Er habe ihnen vergeben. Es ist seine Art, sich seiner Geschichte wieder zu bemächtigen. Vom Miss­handelten zum Handelnden. Vergebung ist in diesem Sinne ein fast egoistischer Akt. „Sie ist wichtig für mich, nicht für ihn, für Mister X“, wie er einen seiner Folterer nennt.

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Doch paradoxer­weise ist es genau seine Freund­lich­keit, seine fast über­menschliche Nach­sicht, die einen für ihn einnimmt – und die anderen miss­trauisch macht. Slahi sei der wahrscheinlich schlaueste Mensch, den er je getroffen habe, sagte dieser Mister X in einem Gespräch für die „Zeit“. So schlau, dass er es schaffe, Millionen von Menschen vorzuspiegeln, dass er unschuldig sei. „Die USA betrachten diese Person noch immer als böse“, warnte ein US-Beamter im vergangenen Jahr europäische Kollegen. „Wir haben gehört, dass er möglicher­weise in Europa medizinische Behandlung in Anspruch nehmen möchte, also tun Sie mit dieser Information, was Sie wollen.“ Tatsächlich haben deutsche Spezialisten für Folter­opfer ihm Hilfe angeboten. Bislang hat er kein Einreise­visum erhalten.

„Ich habe ein sehr gutes Leben“, sagt Slahi dennoch in Nouak­chott, im Grunde lebt er jetzt von seiner Geschichte. Er hat über seine Zeit im Lager ein Buch geschrieben, das „Guantanamo-Tage­buch“, ein zweites soll demnächst erscheinen, und vor allem wurde seine Geschichte verfilmt, als „Der Mauretanier“, mit Jodie Foster und Benedict Cumber­batch. Mit dem Geld konnte er sich das Haus kaufen.

Aber der Zweifel verfolgt ihn noch immer. „Wenn Amerika sagt, dass du ein böser Mensch bist, dann bist du es.“ Und so, wie er gegen die Zweifel ankämpfen muss, kämpft er auch gegen die Erinnerungen. Vor einigen Monaten, als ihn jemand angriff, sei er wieder tief in sie hineingefallen, er musste in die Klinik. „Ich habe nicht gegessen, nicht getrunken, ich war wie gelähmt“, sagt er. Von wegen stabil.

Nach Guantanamo hat Mohamedou Slahi wieder geheiratet. Eine Menschen­rechts­anwältin, die er per Mail kennen­gelernt und die ihn in Mauretanien besucht hatte. Sie würden gern in Deutsch­land zusammen­leben, weil auch ihr Heimat­land nicht für ein gemeinsames Leben infrage kommt: die USA. Zusammen haben sie einen Sohn, Ahmed, den er seit fünf Monaten nicht gesehen hat. Er hat die amerikanische Staats­bürger­schaft. „Das“, sagt Slahi, „ist die Ironie der Geschichte.“

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