SPD warnt vor Aufweichung des Gas-Vorrangs für Privathaushalte
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Sorge vor der Gasmangellage: Laut Bundeswirtschaftsministerium sollen alle Verbraucher zum Energiesparen beitragen (Symbolbild).
© Quelle: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Berlin. Im Falle einer Gasmangellage müssen aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums alle Verbraucher Beiträge zum Energiesparen leisten. Dies habe Minister Robert Habeck (Grüne) deutlich gemacht, sagte eine Sprecherin am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.
Eine europäische Verordnung, auf der der deutsche Notfallplan Gas basiert, definiere geschützte Kunden und diese Vorgabe gelte, so die Sprecherin. „Das heißt Kindergärten, Krankenhäuser, private Verbraucher sind geschützte Verbraucher und diese werden auch im Fall einer Gasmangellage weiter versorgt und beliefert und nicht abgeschaltet.“ Klar sei aber auch, „dass im Fall einer Gasmangellage alle Verbraucher einen Beitrag zum Energiesparen leisten müssen.“ Dafür brauche es dann auch Standards zum Energiesparen.
Vorgaben zu Mindesttemperaturen beim Heizen möglich
Habeck hatte am Dienstag in Wien deutlich gemacht, dass er auf europäischer Ebene Handlungsbedarf sieht. Die europäische Verordnung sehe den Schutz von kritischer Infrastruktur und Verbrauchern vor, aber nicht den von Wirtschaft und Industrie. Das mache nur Sinn bei einer kurzfristigen Störung, sagte Habeck. „Das ist aber nicht das Szenario, das wir jetzt haben.“ Es gelte, die Folgen einer langfristigen Unterbrechung von industrieller Produktion zu berücksichtigen. Es gehe darum, wie private Kunden einen Beitrag leisten könnten zur Einsparung von Gas.
Über das Energiesicherungsgesetz könnte die Bundesregierung Verordnungen zur Energieeinsparung erlassen. Dabei könnte es zum Beispiel darum gehen, Vorgaben zu Mindesttemperaturen beim Heizen abzusenken.
Esken: Priorität für „Privathaushalte und systemrelevante Einrichtungen“ bei Gasmangellage
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken betonte den Vorrang vor Privathaushalten vor der Industrie. „Privathaushalte und systemrelevante Einrichtungen müssen in einer Gasmangellage ganz klar eine Priorität haben“, sagte sie der Düsseldorfer „Rheinischen Post“(Mittwoch). „Das ist auch so im Gas-Notfallplan festgeschrieben, Privathaushalte und soziale Einrichtungen sind dort besonders geschützt. Für mich zählen Schulen ebenso dazu.“
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht die Hauptverantwortung nicht bei den Bürgern, sondern bei Politik und Wirtschaft. „Man darf durchaus darauf hinweisen, dass auch Verbraucherinnen und Verbraucher eigene Möglichkeiten und Vorstellungen zum Energiesparen haben und so auch Einfluss auf die Lage der Energieversorgung ausüben können“, sagte Mützenich der Deutschen Presse-Agentur. „Aber am Ende müssen die wichtigsten Entscheidungen von Politik und Wirtschaft getroffen werden.“
Generell gelte zugleich: „Alles, was wir jetzt nicht verbrauchen, hilft uns, über den Winter zu kommen.“ Über seine eigenen Anstrengungen zum Energiesparen wollte Mützenich nicht sprechen. „Ich möchte meine persönlichen Gewohnheiten nicht medial zu Markte tragen.“ Bekannt ist, dass der 63-Jährige in Berlin meist mit dem Fahrrad unterwegs ist.
Brandenburgs Wirtschaftsminister: Vorrang nicht aufweichen
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach lehnt es ebenfalls ab, den Vorrang für Privathaushalte aufzuweichen. „Ich bin der Meinung, die bisherige Priorisierung, die wir haben, also zunächst die schützenswerte Infrastruktur, dann die privaten Haushalte und dann die Wirtschaft, ist richtig“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Inforadio des RBB. „Und wir sollten aus meiner Sicht auch dabei bleiben.“
Sollte endgültig kein Gas mehr nach Deutschland fließen, werde ein „Optionierungsmechanismus“ greifen, sagte Steinbach. Dabei werde es darum gehen, mit den reduzierten Gasmengen gegenseitig auszukommen. „Das heißt, man wird den Unternehmen Anreize bieten, aktiv zu sparen, und damit insgesamt das Kontingent so zu gestalten, dass es ausreichend ist“, erläuterte er. Über staatliche Eingriffe „sollten wir im Augenblick alle nicht diskutieren“, fügte Steinbach hinzu. Denn es müsse alles getan werden, um dies zu vermeiden.
„Das ist unterkühlte Politik“
Berlins SPD-Chef Raed Saleh kritisierte Habeck (Grüne). „Es ist richtig, die Industrie und Arbeitsplätze zu sichern. Habeck will aber die zu befürchtenden Kostenexplosionen von bis zu 500 Prozent auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen“, sagte Saleh dem „Tagesspiegel“ (Mittwoch). „Das ist unterkühlte Politik.“
Der Bund müsse sich bei der Abfederung der explodierenden Energiekosten stärker beteiligen, forderte Saleh, der auch Fraktionschef der SPD im Abgeordnetenhaus ist. Schließlich habe der Bund durch gestiegene Kosten in vielen Lebensbereichen zwischen 2021 und 2023 „rund 50 Milliarden Euro ungeplante Mehreinnahmen aus genau diesen Kostenentwicklungen bei der Mehrwertsteuer“, sagte er.
Kritik an Entlastungspaketen
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnt: „Gerade Menschen mit geringen Einkommen müssen ja jetzt schon 150, 200 Euro mehr im Monat für Lebensmittel, für Energie – gerade für Gas auch – zahlen.“ Vor dem Hintergrund der Debatte sagte er: „Wir brauchen gar nicht erst warten auf das Problem. Wir haben schon jetzt eine Krise.“
Die Politik tue noch nicht genug, um Menschen, die wirklich Hilfe benötigten, zu entlasten, kritisierte Fratzscher. Bei den bisherigen Entlastungspaketen seien „nicht wirklich die Menschen am unteren Ende gezielt entlastet“ worden, sondern es sei nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen worden. „Menschen, die Hartz IV, die eine Grundrente erzielen, die haben keinen Schutzmachanismus“, warnte der DIW-Präsident. „Die Menschen, die brauchen jetzt dringend Geld in die Tasche, denn die Situation wird nicht besser, sondern eher in den kommenden Monaten nochmal deutlich schlechter.“
RND/dpa