Westliche Panzer stehen bereit

Die (zu) großen Erwartungen an eine ukrainische Frühjahrsoffensive

Ukrainische Soldaten fahren auf einem Panzer an der Frontlinie in Bachmut.

Ukrainische Soldaten fahren auf einem Panzer an der Frontlinie in Bachmut.

Die Temperaturen steigen, auch in Osteuropa. So verwundert es kaum, dass seit Wochen in Militär- und Politikerkreisen eine ukrainische Frühjahrsoffensive gegen die russischen Besatzer diskutiert – und beinahe schon herbeigeredet wird. Die Ukraine habe „sehr gute Chancen“, im Frühjahr eine erfolgreiche Gegenoffensive zu starten, sagte am Dienstag der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin.

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Er glaube gar, dass die Ukraine in den kommenden Monaten wahrscheinlich die „Oberhand“ gegen die russischen Streitkräfte gewinnen werde, sollten sich die Kämpfe verschärfen.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Austin wies auf die Fähigkeit der Ukraine hin, den russischen Streitkräften „erhebliche“ Verluste zuzufügen. Denn diese hätten „ihren Bestand an gepanzerten Fahrzeugen auf eine Weise erschöpft, die sich niemand hätte vorstellen können“, so Austin.

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Wunschdenken oder Realität? Richtig ist zunächst, dass die ukrainischen Streitkräfte in den letzten Wochen mit modernerer westlicher Waffentechnik verstärkt wurden. „Unsere Panzer sind wie versprochen pünktlich in den Händen unserer ukrainischen Freunde angekommen“, erklärte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag. „Ich bin mir sicher, dass sie an der Front Entscheidendes leisten können“

Die Bundesregierung hatte der Ukraine Ende Januar die Lieferung von Leopard-2-Panzern aus Bundeswehrbeständen bis Ende März zugesagt – und Wort gehalten. Die insgesamt 18 Leopard-Panzer des Typs 2 A6 sollen gemeinsam mit modernen Leopard-Panzern aus Schweden und Portugal die in der Ukraine übliche Bataillonsstärke von 31 Panzern erreichen.

Auch Polen stellte die Lieferung von Leopard-Panzern eines älteren Modells aus deutscher Produktion in Aussicht. Gemeinsam mit anderen Staaten stellt Polen seinerseits einen Gefechtsverband zusammen und hat ebenfalls erste Panzer übergeben.

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Offensichtlich hat auch die britische Regierung bereits einen Teil oder alle versprochenen 14 Challenger-2-Panzer der Ukraine übergeben. „Heute hatte ich die Ehre (...), die Neuzugänge in unseren bewaffneten Einheiten zu testen: Den Challenger aus Großbritannien, Stryker und Cougar aus den USA und den Marder aus Deutschland“, schrieb der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikow am 28. März auf Twitter. Die neue Technik werde bereits vorher angelieferten Waffensystemen „gute Gesellschaft auf dem Schlachtfeld leisten“.

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Erwartet wird, dass die neuen Panzer bei der Gegenoffensive im Frühjahr zum Einsatz kommen. Dazu gehören auch der Stryker, ein Radschützenpanzer, sowie gepanzerte Truppentransporter aus den USA, Kanada und der Türkei.

Ein, vielleicht zwei westliche Panzerbataillone sind eine gute Basis für erfolgreiche Gegenstöße, auch für größere Entlastungsangriffe. Aber als Grundlage für eine Gegenoffensive, deren Ziel die Befreiung ganzer Landstriche ist – dafür ist das meiner Meinung nach zu wenig.

Hans-Lothar Domröse,

Ehemaliger Heeresgeneral der Bundeswehr

„Ein, vielleicht zwei westliche Panzerbataillone sind eine gute Basis für erfolgreiche Gegenstöße, auch für größere Entlastungsangriffe. Aber als Grundlage für eine Gegenoffensive, deren Ziel die Befreiung ganzer Landstriche ist – dafür ist das meiner Meinung nach zu wenig“, zeigt sich der frühere Heeresgeneral Hans-Lothar Domröse im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) skeptisch. „Das reicht sicher, um punktuell einen Budenzauber zu entfachen, aber nicht um zum Beispiel die ganze Krim zu befreien“, so Domröse.

Enormer Erwartungsdruck auf Kiew

Doch der Erwartungsdruck, der auf Kiew lastet, ist enorm: Die Ukraine muss beweisen, dass sie die gelieferten Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie und Raketen sinnvoll einsetzen kann, um ein baldiges Kriegsende, sprich die Befreiung der besetzten Gebiete, zu erreichen. Denn auch in den westlichen Geberländern stehen jene Politiker unter Druck, die für weitere Waffenlieferungen plädieren und Zugeständnisse an Russland konsequent ablehnen.

Wir können noch nicht anfangen, wir können unsere tapferen Soldaten nicht ohne Panzer, Artillerie und Langstreckenraketen an die Front schicken.

Wolodymyr Selenskyj ,

Präsident der Ukraine

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte der japanischen Zeitung Yomiuri Shimbun am 23. März gesagt, dass die Ukraine „auf die Ankunft von Munition von unseren Partnern wartet“, ehe mit der Gegenoffensive gestartet werden kann. „Wir können noch nicht anfangen, wir können unsere tapferen Soldaten nicht ohne Panzer, Artillerie und Langstreckenraketen an die Front schicken“, sagte er.

Wenige Tage später, am 28. März, teilte das bulgarische Verteidigungsministerium mit, es werde der Ukraine alte Munition im Wert von fast 175 Millionen Euro abgeben und im Gegenzug neue Munition erhalten. Auch Polen versprach, die Munitionsproduktion hochzufahren.

Die Voraussetzungen für die Ukraine sind, was Bewaffnung und Munition betrifft, besser als für Russland. Dort werden jetzt sogar uralte Panzer vom Typ T-54 und T-55, bis zu 70 Jahre alt, an die Front gebracht. Schätzungsweise 1871 Panzer hat Russland bislang im Krieg verloren, wie die niederländische Organisation Oryx dokumentiert.

Aus Moskau hieß es, monatlich verließen 20 moderne Panzer die Produktionsanlagen, mehr sei nicht möglich. „Das ist zwar mehr als Deutschland im ganzen Jahr produziert“, sagt der Ex-Nato-General Domröse, „aber natürlich zu wenig, um die enormen Verluste auszugleichen.“

Keine massiven Luftschläge

Doch wie könnte eine solche Offensive der Ukraine aussehen? Die ukrainische Armee orientiert sich, anders als die russische, an modernen strategischen Nato-Leitlinien. Und moderne Armeen des Bündnisses würden stets auf massive Luftschläge setzten, ehe motorisierte Bodentruppen zum Einsatz kommen.

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Für Kiew ist das aber keine Option, denn es verfügt weder über eine schlagkräftige Luftwaffe, noch über die Luftüberlegenheit. Anstatt die Offensive also mit einem massiven Luftangriff zu beginnen, „wird die Ukraine wahrscheinlich einen großen Angriff starten – oder mehrere kleinere Angriffe – mit bodengestützten Präzisionslangstreckenwaffen, einschließlich Raketen und Artillerie“, wie HIMARS und Haubitzen, mutmaßt das amerikanische Wallstreet Journal in einer Analyse.

Russland spricht von Vormarsch, Ukraine plant die Gegenoffensive

Kiew und Moskau liefern sich seit Monaten einen erbitterten Kampf um die inzwischen zerstörte Stadt Bachmut.

„Speed matters“, Geschwindigkeit zählt, ist Hans-Lothar Domröse überzeugt. „Ein ukrainische Vorstoß muss von den neuen, schnellen Panzern getragen werden, denen dann Infanterie folgt. Vor allem zählt das Überraschungsmoment. Ein schneller, tiefer Vorstoß zum Beispiel in Richtung Assowsches Meer im Süden der Front würde das von Russland besetzte Gebiet zerteilen. Dazu brauchen die Ukrainer aber viel Manpower, um den so entstandenen Korridor von bis zu 100 Kilometer Tiefe jeweils nach Osten und nach Süden abzusichern. Ein riskantes Unterfangen, aber sehr wirkungsvoll, wenn es denn gelingt“, so Domröse.

Nicht eine, sondern mehrere Offensiven

„Ich glaube, dass es nicht nur einen großen Vorstoß geben wird, sondern wahrscheinlich mehrere verschiedene Offensiven“, schreibt der pensionierte australische Generalmajor Mick Ryan in seinem Blogg Futura Doctrina Substack. „Das liegt daran, dass sowohl der Süden als auch der Osten Möglichkeiten für offensive Aktionen bieten. Aber es liegt auch daran, dass die Ukrainer Russland über ihre Hauptanstrengung hinwegtäuschen wollen“, wie sie es in ihrer Gegenoffensive im Herbst mit großer Wirkung getan haben.

„Das richtige Timing wird entscheidend sein“, ist Mick Ryan überzeugt – und das betrifft vor allem das Wetter. Denn die ukrainische „Schlammsaison“, Rasputiza genannt, kann all die Vorteile Kiews, also die Geschwindigkeit der neuen Panzer und gepanzerten Fahrzeuge, entscheidend mindern.

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„Der ukrainische Geheimdienst wird Faktoren wie Stärke und Moral der russischen Truppen, die Bestände an Munition, die Zahl der Reservisten und andere Dinge genau auf Anzeichen von Schwäche hin analysieren, um diese dann ausnützen zu können“, glaubt Ryan. Das „bedeutet, dass eine ukrainische Offensive früher kommen könnte, als wir angesichts der nachlassenden russischen Offensiven an Orten wie Bachmut denken.“ Falls das Wetter mitspielt.

Die Ukraine wird im Idealfall in Richtung Südosten durch Saporischschja in Richtung Melitopol und zum Asowschen Meer vordringen.

Phillips O‘Brien,

Universität St. Andrews in Schottland

„Die Ukraine wird im Idealfall in Richtung Südosten durch Saporischschja in Richtung Melitopol und zum Asowschen Meer vordringen, Russlands Landbrücke zur Krim durchtrennen und die russischen Versorgungsleitungen zu weiter westlich gelegenen Stellungen unterbrechen“, glaubt Phillips O‘Brien, Professor für strategische Studien an der Universität St. Andrews in Schottland, im Wallstreet Journal. Russland hat weit im Hinterland Verteidigungslinien aufgebaut. Ein direkter Angriff auf die Krim, die dann abgeschnitten wäre, ist gar nicht nötig.

Ukraine kann Großoffensiven

„Wie die Ukrainer in Kiew, Cherson und Charkiw gezeigt haben, wissen sie – im Gegensatz zu den Russen – wie man erfolgreiche Großoffensiven plant und durchführt“, schreibt der Australier Ryan auf Futura Doctrina Substack. Dieses Mal müssen die Ukrainer allerdings „dichtere Hindernisgürtel überwinden, die die Russen im Osten und Süden errichtet haben, die vor allem darauf ausgerichtet sind, die Angriffe zu verlangsamen und zu entzerren“, um so Verbände aufzuspalten.

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Während Kiews Streitkräfte motivierter und in einigen Fällen besser bewaffnet sind als die russischen Truppen, hatte Russland Monate Zeit, um sich auf einen ukrainischen Angriff vorzubereiten, ist zudem skrupelloser, was das Opferbereitschaft eigener Truppen betrifft.

Hans-Lothar Domröse,

Ehemaliger Heeresgeneral der Bundeswehr

„Während Kiews Streitkräfte motivierter und in einigen Fällen besser bewaffnet sind als die russischen Truppen, hatte Russland Monate Zeit, um sich auf einen ukrainischen Angriff vorzubereiten, ist zudem skrupelloser, was das Opferbereitschaft eigener Truppen betrifft.

Allerdings hat Russland im Fall Cherson auch bewiesen, dass es in der Lage ist, unter militärischem Druck bis zu 30.000 Soldaten auf die östliche Seite des Dnipro zu bringen, ohne nennenswerte Verluste. Das war schon beachtlich“, so der ehemalige General Hans-Lothar Domröse.

Kiew nicht glücklich über die Debatte

Über die Spekulationen eine mögliche Frühjahrsoffensive betreffend, ist man in Kiew alles andere als begeistert: „Bitte hören Sie auf, Expertenanfragen zu einer Gegenoffensive zu stellen. Bitte hören Sie auf, Blogs und Beiträge zu diesem Thema zu schreiben. Bitte hören Sie auf, die militärischen Pläne unserer Armee öffentlich zu diskutieren“, äußerte die Vize-Verteidigungsministerin Hanna Malyar in den sozialen Medien.

Denn nur drei Personen hätten das Recht, militärische Pläne öffentlich zu machen: der militärische Oberbefehlshaber General Waleri Saluschni, Verteidigungsminister Olexij Resnikow – und Präsident Wolodymyr Selenskyj.

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