Newsletter „Hauptstadt-Radar“

Reden ist Gold

Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, auf dem Podium.

Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, auf dem Podium.

München. Liebe Leserin, lieber Leser,

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vor 22 Jahren habe ich das erste Mal über die Münchner Sicherheitskonferenz berichtet, die weltweit wichtigste Tagung dieser Art. Damals saßen Journalistinnen und Journalisten noch im Keller des luxuriösen Tagungshotels „Bayerischer Hof“ und arbeiteten an klappbaren Biergartentischen. Jeder hatte ungefähr 40 Zentimeter Platz für Laptop und Unterlagen und jedes Mal, wenn man sich hinsetzte, stieß man sich das Knie, weil das Hotel die rustikalen Gartenmöbel der Etikette halber in weiße lange Tischdecken hüllte und man deswegen das Metallgestänge darunter nicht sehen konnte.

Der große Vorteil des Kellers war die Nähe zu den Spitzenpolitikern aus aller Welt, denen man eine Etage höher vor dem prächtigen riesigen Veranstaltungsaal im Art Decó-Stil wie selbstverständlich über den Weg laufen konnte. Vor einigen Jahren wurden die Medien ausquartiert, weil das Treffen immer größer wurde und das Hotel selbst mit seinen mehr als 300 Zimmern, darunter 74 Suiten, designt von einem Kunsthändler mit philosophischer Überzeugung, aus allen Nähten platzte.

Inzwischen reisen neben rund 700 Teilnehmern und 300 Beobachtern auch 1000 Journalisten an. Ihr Zentrum ist nun in einem großen Zelt, zehn Minuten vom Hotel. Einige wenige Medienvertreter (und -vertrerinnen) können dennoch aus dem Saal berichten. Das RND ist dabei.

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Erst ein Jahr her: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) und Wolodymyr Selensky, Präsident der Ukraine, kommen bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2022 zu bilateralen Gesprächen zusammen.

Erst ein Jahr her: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) und Wolodymyr Selensky, Präsident der Ukraine, kommen bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2022 zu bilateralen Gesprächen zusammen.

Im vorigen Jahr lief der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch weitgehend unbeobachtet in den Veranstaltungssaal. Heute würde sich eine Menschentraube um ihn bilden. Der 45-Jährige verteidigt nicht nur erbittert sein Land gegen den russischen Aggressor Wladimir Putin, sondern auch Freiheit und Demokratie in Europa. Wenn er vor internationalen Organisationen oder westlichen Parlamenten spricht, feiern ihn seine Zuhörerinnen und Zuhörer wie einen Popstar. Dieses Jahr kommt er nicht nach München. Eine Rede per Video muss reichen. Er ist im Krieg und viele der hohen Gäste hat er ohnehin längst persönlich getroffen.

Während der MSC 2022 hatten die Amerikaner vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriffskrieg Russlands gewarnt. Doch viele Länder dachten, US-Präsident Joe Biden übertreibe. So hat dieser es später selbst erzählt. Auch Selenskyj habe diesen Zivilisationsbruch nicht glauben wollen, sagt Biden. Die Sicherheitskonferenz endete am 20. Februar, vier Tage später überfiel Russland die Ukraine.

Polizisten regeln vor Beginn der Sicherheitskonferenz die Zufahrt zum Hotel Bayerischer Hof.

Polizisten regeln vor Beginn der Sicherheitskonferenz die Zufahrt zum Hotel Bayerischer Hof.

Ich erinnere mich noch gut, dass einige ukrainische Rada-Abgeordnete schon nicht mehr wie geplant von München nach Hause reisen konnten. Ihre Flüge oder Züge waren gestrichen. Sie nahmen ein Auto. Eine Bemerkung am Rande: In der Stadt trifft man in diesem Jahr auf Geflüchtete aus der Ukraine, aber auch auf auffallend viele russischsprachige Bürgerinnen und Bürger.

Die USA boten Selenskyj unmittelbar nach Kriegsbeginn an, ihn herauszuholen. Viele glaubten, er werde das Wochenende nicht überleben. Aber der Präsident ließ wissen, er brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Waffen. Er hat seither viele schwere Waffen, Panzer und Flugabwehrsysteme bekommen. Das war vor einem Jahr noch undenkbar. Inzwischen fordert Selenskyj auch Kampfjets. Aus Kreisen der Bundeswehr hören wir dazu große Bedenken. Denn dann würde die Gefahr einer Eskalation des Krieges erheblich steigen, heißt es.

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Initiiert wurde die Sicherheitskonferenz als „Wehrkundetagung“ 1963 von Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin, einem Widerstandskämpfer gegen Hitler. Von Kleist leitete die Konferenz 34 Jahre. Er wollte, dass Kriege verhindert werden. Das erste Treffen war auf 60 Teilnehmer beschränkt, darunter der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt. In diesem Jahr wird die Tagung erstmals von dem früheren UN-Botschafter Deutschlands und langjährigen Sicherheitsberater von Kanzlerin Angela Merkel, Christoph Heusgen, organisiert.

In diesem Jahr nicht nach München eingeladen: Russlands Präsident Wladimir Putin.

In diesem Jahr nicht nach München eingeladen: Russlands Präsident Wladimir Putin.

Es gibt in München keine Beschlüsse, sondern von den allermeisten nur einen Wunsch: Frieden durch Dialog. Doch diesmal sind offizielle russische Vertreter nicht eingeladen. In der Bundesregierung stellen sich einige dazu zumindest Fragen. Das sei doch gerade das Besondere an der Konferenz, dass sich hier erbitterte Gegner unterhalten müssen, heißt es intern. Unvergessen die Kalte-Krieg-Rede von Putin 2007 in München. Aber: Hat die dort versammelte Weltelite daraus gelernt? Außerdem: Im vorigen Jahr haben die Russen die Einladung ausgeschlagen. Sie wollten keinen Dialog und keinen Frieden, sondern Krieg. Auch jetzt seien sie nicht bereit, zu reden, sagt Heusgen. Das sieht das Kanzleramt ähnlich.

Seit Putins Annexion der Krim 2014 und seinem Rauswurf aus der Gruppe der G8-Staaten beschäftigen sich G7-Gipfel, Foren, Versammlungen oft maßgeblich mit Russland. Zuletzt beim G7-Gipfel im vorigen Sommer in Deutschland und gleich zu Anfang beim G7-Gipfel 2015 ebenfalls in Deutschland. Dem Frieden ist das alles nicht näher gekommen. Die Hoffnungen auf München 2023 konzentrieren sich nun unter anderem auf einen Mann aus dem Reich der Mitte: den obersten chinesischen Außenpolitiker Wang Yi. Er reist nach seinen vertraulichen Gesprächen in München nach Moskau. Möge Peking seinen Einfluss auf Putin nutzen und mit ihm über die Beendigung des Krieges sprechen. Die Sicherheitskonferenz hätte ihren Zweck erfüllt.

Hauptstadt-Radar

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Machtpoker

Ich bitte Sie, keine weiteren öffentlichen oder internen Vorfestlegungen zu treffen, die einseitig weitere Ausgaben priorisieren.

Robert Habeck (Grüne)

Wirtschaftsminister, in einem Brief an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP)

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Die wirtschaftlichen Folgen von Russlands Krieg gegen die Ukraine treffen auch Deutschland hart. Die Bürgerinnen und Bürger müssen mehr Geld für Energie und Lebensmittel ausgeben, die Inflation ist hoch und die Bundesregierung greift zur besseren Ausstattung der Bundeswehr tief in die (Schulden-)Tasche. Um den Bundeshaushalt 2024, mit dem die Schuldenbremse wieder greifen soll, ist nun zwischen Grünen und FDP ein Streit entbrannt. Wirtschaftsminister Habeck hat Finanzminister Lindner in einem Brief „stellvertretend für die von den Grünen geführten Ministerien“ aufgefordert, keine eigene Schwerpunktsetzung mehr für Ausgaben zu treffen – etwa für eine Aktienrente, eine Umsatzsteuerermäßigung für die Gastronomie und die Bundeswehr.

Schreiben sich aktuell vor allem Briefe: Christian Lindner und Robert Habeck.

Schreiben sich aktuell vor allem Briefe: Christian Lindner und Robert Habeck.

Um die Haushaltslage zu verbessern, schlägt Habeck den Abbau umweltschädlicher Subventionen (vielleicht das Dienstwagenprivileg) sowie die Beachtung des „Ordnungsrechts“ (mögliche Verbote) vor. Solange keine vernünftigen Vorschläge auf dem Tisch lägen, könnten die Grünen jedenfalls die Eckwerte für den Etat 2024 nicht akzeptieren. Die waren aber schon im März 2022 vereinbart worden. Die Ministerien haben inzwischen jedoch zusätzliche Wünsche in Milliardenhöhe. Lindner hat Habeck zurückgeschrieben. Zu seinem Vorschlag für Einnahmeverbesserungen lässt er den Vizekanzler wissen: „Diese Anregung möchte ich nicht aufgreifen.“ Stellvertretend für die FDP-geführten Ministerien dürfe er feststellen, dass Steuererhöhungen oder sonstige strukturelle Mehrbelastungen für die Bevölkerung oder die Wirtschaft vom Koalitionsvertrag ausgeschlossen seien. Fortsetzung folgt.

 

Wie unsere Leserinnen und Leser auf die Lage schauen

An dieser Stelle geben wir Ihnen das Wort:

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Lukas Pieplow aus Köln zum Kommentar von Tim Szent-Ivanyi zum Abtreibungsparagrafen 218:

„Dass der Kommentator sich als Frauenversteher versucht, ist natürlich nicht verwerflich. Leider ist es verfassungswidriger Unsinn, dass die Rechte ungeborenen Lebens hinter das Körperbestimmungsrecht der Frau „zurücktreten“. So einfach sind diese Fragen dann doch nicht.“

Hans-Jürgen Telschow aus Bad Oldesloe zum selben Thema:

„In Ihrem Kommentar scheinen Sie dafür zu plädieren, dass eine Frau das Recht erhalten soll, ihr Kind noch bis zum letzten Tag vor der Geburt abtreiben zu lassen. Ich habe beim ersten Durchlesen gehofft, irgendetwas missverstanden zu haben. Andererseits sind Ihre Ausführungen so klar, dass diese Hoffnung wohl unbegründet ist. Wer ein lebensfähiges Kind abtreiben lässt, handelt grundsätzlich nicht verantwortungsvoll, sondern vernichtet ein vollwertiges Menschenleben. Das ist verantwortungslos, grausam und barbarisch. Solche Taten sollten daher strafbar bleiben.

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Demonstrantinnen sprechen sich für eine Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 aus.

Demonstrantinnen sprechen sich für eine Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 aus.

Manfred Köhler aus Sehnde zu „Baupanne der Bahn löst Chaos bei der Lufthansa aus“:

„Das wegen Baggerarbeiten ab und an einmal Strom- oder Datenleitungen beschädigt werden, gehört quasi schon zum Alltag. Das jedoch durch eine derartige Beschädigung produktionsrelevante Systeme komplett lahmgelegt werden, zeugt von mangelnder Sachkenntnis oder Planung. Jeder gut ausgebildete ITler lernt, dass sensible EDV-Systeme besonders geschützt werden müssen. Doch wie kommen die Daten aus dem beziehungsweise in das Rechenzentrum? Heutzutage über Glasfaserleitungen. Und hier lernt jede IT-Fachkraft, die sich mit der Planung von Rechenzentren beschäftigt, dass man nicht nur eine „dicke“ Glasfaserleitung vom Rechenzentrum zur Firmenzentrale oder den Standorten legt, sondern auch noch mindestens eine sogenannte Backup-Leitung vorsieht.

Laut Angaben der Telekom soll wohl auch in diesem Fall eine Backupleitung vorhanden gewesen sein. Wenn diese jedoch im selben Kabelschacht wie die Hauptleitung verlegt wird, nützt das bei mechanischen Beschädigungen gar nichts! Gerade nach den Anschlägen auf die Datenleitungen der Bahn weiß man, wie sensibel diese Infrastruktur ist. Den Baggerfahrer trifft hierbei nur ein Bruchteil der Schuld. Hauptverantwortliche sind die Planer der Leitungsverlegung.“

Ramsan Kadyrow, Machthaber der russischen Provinz Tschetschenien, spricht vor etwa 10.000 Soldaten in der tschetschenischen Regionalhauptstadt.

Ramsan Kadyrow, Machthaber der russischen Provinz Tschetschenien, spricht vor etwa 10.000 Soldaten in der tschetschenischen Regionalhauptstadt.

Jürgen Berndt zu Russlands Krieg gegen die Ukraine:

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„Mir wird gruselig, wenn der Tschetschenchef Kadyrow mit Bezug auf die sowjetische Besatzungszeit in Deutschland in einem Interview im russischen Staatsfernsehen ausspricht, was Putin vielleicht schon gedacht hat oder noch denkt – nämlich: „Wir müssen zurückkehren, das ist unser Territorium“. Der meint doch nicht nur die Ukraine, sondern das ganze frühere Sowjet-„Reich“.

 

Das ist auch noch lesenswert

Meinen Kollegen Markus Decker kennen Sie ja gut als Newsletter-Autor. Ich lege Ihnen an dieser Stelle gern auch andere Texte von ihm ans Herz. So wie seinen Kommentar zum geplanten Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation. Um eine klare Meinung nie verlegen, erklärt er, warum es nicht gut ist, dass dieses Zentrum eher eine ostdeutsche und keine gesamtdeutsche Veranstaltung ist. Der Wessi Decker kennt sich aus. Er hat nach der Wende von 1992 bis 2001 in Sachsen-Anhalt gearbeitet – in Bernburg, Wittenberg und Halle. Bücher kann er übrigens auch schreiben: „Zweite Heimat – Westdeutsche im Osten“ und „Ostfrauen verändern die Republik“.

Felix Huesmann hat sich ausführlich und mit vielen Fakten der neuen Allianz der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer mit ihrer Petition gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gewidmet.

Und Jan Emendörfer hat wunderbar die Geschichte über die Verwandlung von Moskau in Kiew – und wieder zurück – aufgespießt. Das Ganze spielt sich aber nur in einem Café ab und das auch noch im Ostteil Berlins.

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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!

Herzlich

Ihre Kristina Dunz

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