So feminin ist der ukrainische Widerstand
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Eine Frau hält ein Gewehr in der Hand, während sie an einer Schulung für Kampfsanitäter in Kiew teilnimmt.
© Quelle: Vasilisa Stepanenko/AP/dpa
Seit zehn Monaten leistet die Ukraine den russischen Invasoren erfolgreich Widerstand. Was vor allem der anfänglich kleinen und unterschätzen Armee des Landes sowie westlicher Hilfe gutgeschrieben wurde, ist auch einem beinahe übermenschlichem Kraftakt der ukrainischen Frauen zu verdanken. In keiner der postsowjetischen Gesellschaften spielen Frauen eine so zentrale Rolle wie in der Ukraine. Eine Reaktion auf Wladimir Putins Überfall? Nicht nur, das politische Fundament wurde früher gelegt.
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„Die ukrainischen Frauen verteidigen gemeinsam mit Männern das Heimatland und erfüllen die wichtigsten Aufgaben. Die ukrainische Armee war und bleibt einer der Armeen, in welchen die meisten Frauen dienen“, schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj jüngst auf Twitter. Selenskyj ergänzte, dass 22 Prozent der ukrainischen Militärangehörigen weiblich seien.
Andere Quellen gehen von einem Frauenanteil von etwa 15 Prozent aus, was etwa 56.000 Soldatinnen entspräche, die Teil der ukrainischen Streitkräfte sind. 8000 davon sind im Offiziersrang, mindestens 5000 Frauen sind derzeit im vordersten Fronteinsatz. Nach offiziellen Angaben gelten bislang 151 Soldatinnen als getötet oder vermisst. Doch solche Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, weil eigene Verluste in der Regel nicht angegeben werden, um das eigene Lager nicht zu demotivieren oder den Gegner zu bestärken.
Nur 13 Prozent Frauenanteil in der Bundeswehr
Zum Vergleich: 22 Jahre nach ihrer Öffnung auch für Frauen leisten in der Bundeswehr fast 23.500 Soldatinnen ihren Dienst - was aber lediglich einem Anteil von und 13 Prozent entspricht.
Natürlich ist der hohe Anteil ukrainischer Frauen im Militär auch das Ergebnis der anhaltend hohen Motivation, mit der die ukrainische Bevölkerung insgesamt auf den russischen Angriffskrieg und die zahllosen dokumentierten Kriegsverbrechen reagiert. Sie ist nicht unbedingt Ausdruck einer modernen Gesellschaft, denn auch die Ukraine ist wie viele sowjetische Nachfolgegesellschaften von patriarchalischen und sexistischen Strukturen durchzogen. Allerdings hat die Politik diesen schon früh den Kampf erklärt.
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Denn bereits vor Beginn des Angriffskrieges im Februar 2022 durchlief die ukrainische Gesellschaft in ihrem Bestreben, europäischen Normen zu genügen, eine Modernisierung im Zeitraffer, auch was die Rolle von Frauen im gesellschaftlichen Leben betrifft. Und das hat auch viel mit dem demokratischen Regierungswechsel 2019 und dem neuen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu tun. Der damals 41-Jährige verkörperte im Unterschied zu seinem Vorgänger Petro Poroschenko ein viel moderneres, weniger machohaftes Politikerbild, auch wenn er seit Kriegsbeginn nur noch im Armee-T-Shirt auftritt.
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Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maliar bei einem ihrer täglichen Briefings.
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Frauen wie First Lady Olena Zelenska, Selenskyjs Ehefrau, wie die frühere Präsidentensprecherin Juliia Mendel, die UN-Botschafterin Oksana Markarova oder Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maliar sind allgegenwärtig und zu Ikonen des Widerstands geworden.
Wir müssen unsere Kinder verteidigen ... wenn nicht wir, wer sonst?
Mariia Stalinska,
Freiwillige Soldatin
Doch die eigentliche Last des Widerstands schultern Frauen wie die 41-jährige Mariia Stalinska, die in der New York Times schildert, wie sie sich als Buchhalterin nach Beginn der Invasion umgehend freiwillig genmeldet hat - Tochter und Enkelkind zurücklassend. „Wir müssen unsere Kinder verteidigen“, sagt sie, „wenn nicht wir, wer sonst?“
„Ich werde nicht irgendwo in einem Büro sein“, sagte die 45-jährige Liliia Fedorenko. „Ich werde in den Schützengräben sein, schießen, Aufklärung betreiben. Ich bin eine gute Schützin“, fügt sie hinzu. Viele Frauen halfen während der russischen Besatzung, den Feind auszukundschaften und die Informationen an die ukrainischen Truppen zu melden. „Sie haben Frauen nicht verdächtigt“, so eine Gemeindevorsteherin in der Region Charkiw. Sie möchte nicht ihren Namen nennen, falls die Russen eines Tages doch zurückkehren.
„Ich wollte wirklich, dass dieses Gebiet befreit wird“, begründet die 33-jährige Albina Strelets und erklärte, warum sie russische Streitkräfte ausspionierte und Informationen an die ukrainische Seite übermittelte. Sie wurde festgenommen, 16 Tage lang eingesperrt und landete in einer der berüchtigten Folterkammern.
Ihrem Vernehmer, einem Tschetschenen, habe sie unverblümt ins Gesicht gesagt, dass sie die ukrainische Seite im Krieg unterstütze. Das habe ihr sogar so etwas wie Respekt eingebracht: „Du hast Eier aus Stahl, anders als die meisten Männer“, sagt er daraufhin - sie überstand die Haft unverletzt. Andere gefangene Frauen seien aber gefoltert, vergewaltigt und getötet worden, ergänzt sie.
Geschichten wie diese gibt es viele. Aber auch solche, wo freiwillige Kämpferinnen von Vorgesetzten ausgebremst wurden - von ukrainischen Männern, die den alten patriarchalischen Ungeist noch nicht überwunden haben. „‚Du bist eine Frau, du musst Babys machen, geh nach Hause‘“, wurde die 26-jährige Anastasia Blyshchyk von einem Vorgesetzten angeblafft. Sie ließ das nicht zu, beschwerte sich, fand an höherer Stelle einen Offizier, der moderner dachte.
Lassen sich traditionelle sexistische Vorurteile nachhaltig aufbrechen?
Viele Ukrainerinnen fragen sich jetzt, was nach dem Krieg kommt - ob sich die traditionellen sexistischen Vorurteile tatsächlich nachhaltig aufbrechen lassen oder ab das nur ein kurzer Frühling der Emanzipation unter dem Eindruck der russischen Invasion war?
Ein erster Hinweis auf grundlegende Veränderungen könnte sein, dass fast die Hälfte aller neu entstehenden Kleinunternehmen von Frauen gegründet werden. Alla Kuznietsova, die die Russen während der Besetzung von Izium ausspionierte und der ukrainischen Seite regelmäßig Bericht erstattete, gibt sich zuversichtlich: „Die Rolle der Frau in der Gesellschaft - sie wird sich verändern.“