Macrons lose Zunge: kein Diplomat, aber Präsident
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Emmanuel Macron ist seit dem 14. Mai 2017 Staatspräsident von Frankreich.
© Quelle: Ian Langsdon/EPA POOL/AP/dpa
Paris. Mit allen über alles sprechen, auch mit seinen Gegnern über Meinungsverschiedenheiten – das hat Emmanuel Macron stets als seine Devise ausgegeben. Authentisch bleiben, offene Ansagen machen, ohne Furcht oder falsche Rücksichtnahme.
Doch mit seinen mitunter allzu direkten Botschaften empörte der französische Präsident schon mehrmals – als er etwa 2019 der Nato den „Hirntod“ bescheinigte oder kürzlich in einem inoffiziellen Gespräch mit Jugendlichen algerischer Abstammung sagte, die Staatselite in Algier gebe Frankreich pauschal Schuld an allen Missständen im Land und ruhe sich auf ihrem Hass auf die ehemalige Kolonialmacht aus. Daraufhin wurde der französische Botschafter einbestellt – ein ungewöhnlicher Vorgang. Diplomatisches Geschick sieht anders aus. Doch Macron zeigt keine Furcht anzuecken.
Rollenaufteilung als Good Cop, Bad Cop
Gemäß seinem Ehrgeiz für Frankreich und die EU, sich mit den großen Mächten der Welt zu messen, legt er oft virile Härte an den Tag – und verstärkt so manche Auseinandersetzung noch. Das tut er auch für das heimische Publikum, erwarten die Franzosen von ihrem Präsidenten doch ein selbstbewusstes Auftreten auf der Weltbühne.
Merkel in Frankreich mit Großem Kreuz der Ehrenlegion geehrt
„Danke, dass Du mir so viel beigebracht hast“: Der französische Präsident Macron hat die scheidende Bundeskanzlerin mit dem Großen Kreuz der Ehrenlegion geehrt.
© Quelle: AFP
Eine Form der Rollenaufteilung mit Kanzlerin Angela Merkel, bei der sie eine nachgiebige und er eine kompromisslose Position einnahmen, ließ sich beispielsweise während der Verhandlungen um den Brexit oder bei Konflikten mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beobachten.
Macrons rigorose Haltung gegenüber Großbritannien führte neben einem nicht weniger eigensinnigen Vorgehen der britischen Regierung zum Fischereistreit, der sich in den vergangenen Wochen zu einer ernsthaften Krise zwischen beiden Ländern aufgeschaukelt hat. Handelt es sich eigentlich um einen verhältnismäßig unbedeutenden Wirtschaftszweig, so wurden die Fischer zum Symbol für den Bruch zwischen zwei Nachbarn, die sich historisch lange als „Erbfeinde“ betrachteten – und in dieser Linie fortzufahren bereit schienen.
Paris warf London vor, französische Fischer bei der Erlaubnis zum Fang in britischen Gewässern zu benachteiligen, indem diesen nicht die garantierten Lizenzen erteilt wurden, und drohte mit scharfen Gegenmaßnahmen. Macron ließ seine Minister harte verbale Geschütze auffahren und die Situation mit der Bestrafung zweier britischer Schiffe in französischen Gewässern weiter eskalieren – um schließlich im Vorfeld eines Treffens am Freitag doch noch Kompromissbereitschaft zu signalisieren.
Schon jetzt lässt sich voraussagen, dass sich am Ende dieses Kräftemessens sowohl der britische Premierminister Boris Johnson als auch Macron als Gewinner präsentieren werden.
Macrons Überraschungen? Sie kommen nicht unerwartet
Es ist nicht der einzige Konflikt, in den Frankreich derzeit verstrickt ist. Zu Recht fühlte er sich hintergangen, als im September das Vereinigte Königreich, die USA und Australien eine heimlich vorbereitete indopazifische Sicherheitsallianz „Aukus“ ankündigten, in deren Rahmen Atom-U-Boote an Australien geliefert werden – was ein längst vereinbartes U-Boot-Geschäft mit Frankreich in Höhe von 56 Milliarden platzen ließ.
Nun gelangte eine kurz zuvor versendete SMS Macrons an den australischen Premierminister Scott Morrison in die Presse, welche vermuten lässt, dass der französische Präsident möglicherweise bereits Zweifel an einem Scheitern des Deals hatte, also weniger überrascht war, als von ihm vorgegeben. Paris reagierte – einmal mehr – erzürnt über diese Indiskretion, und Macron antwortete auf die Frage eines australischen Journalisten, ob er denke, Morrison habe ihn belogen: „Ich denke es nicht, ich weiß es.“
Gesucht: Ein ausgleichender Partner für Macron
Angesichts des jüngsten Vertrauensbruchs und auch der USA als unzuverlässiger gewordenem Partner kann er sich in seiner Forderung nach mehr „strategischer Autonomie“ der EU, die er während der EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs ab Januar vorantreiben will, bestätigt fühlen. Doch Macron wandelt auf einem schmalen Grat zwischen einem selbstbewussten Auftreten und der Gefahr, andere mit einer losen Zunge vor den Kopf zu stoßen.
Und manchmal rutscht er von diesem schmalen Grat ab. Ein ausgleichender Partner, wie es Deutschland unter Angela Merkel war, würde der EU auch in Zukunft gut tun. Das gehört zu den Herausforderungen an Merkels Nachfolger.