Macron in Fernsehinterview: Rentenreform „kein Spaß, sie ist eine Notwendigkeit“
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Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich am Mittwoch in einem Fernsehinterview zu seiner Rentenreform geäußert.
© Quelle: picture alliance / abaca
Paris. Zerknirschtheit, Bedauern, gar Reue? Emmanuel Macron wäre nicht er selbst, würde er trotz der derzeitigen politischen und sozialen Krise in Frankreich solche Gefühle offenbaren oder gar einen Rückzieher machen. Selbstbewusst und unbeirrbar wie eh und je saß der französische Präsident gestern Mittag zwei Fernsehjournalisten gegenüber, die ihn zu seiner umstrittenen Rentenreform, ihrer autoritären Durchsetzung sowie zu seiner künftigen Agenda befragten.
Wie soll es nach den tumulthaften Debatten im Parlament weitergehen? Mit welcher Mehrheit will er künftige Gesetze durchsetzen, nachdem Premierministerin Élisabeth Borne die Reform schließlich ohne Votum verordnet hatte, weil ein Scheitern in der Nationalversammlung drohte? Nur knapp überstand sie am Montag ein Misstrauensvotum. Wie will der Präsident die Wut der Menschen, die sich seitdem teilweise auch gewaltsam in den Straßen ausdrückt, beruhigen und ein Ende der Streiks und Proteste erreichen?
Keine Reue: Macron versucht es mit Appellen an die Vernunft
Macrons versuchte es mit einer Kaskade an Erklärungen und Appellen an die Vernunft. „Diese Reform zu machen ist kein Spaß, sie ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit für das Land“, betonte er. Als er 2017 zum ersten Mal gewählt wurde, gab es zehn Millionen Rentnerinnen und Rentner in Frankreich, inzwischen seien es 17 Millionen und bald 20 Millionen. „Glauben Sie, dass man einfach immer mit denselben Regeln weitermachen kann?“, fragte der Staatschef, der eine kleine Grafik aus der Zeitung „Le Parisien“ mitgebracht hatte. Sie zeigte, dass Frankreich neben Schweden das einzige Land in der EU ist, in dem die Altersgrenze für den Ruhestand bei 62 Jahren liegt, überall sonst ist sie höher. Seine Reform hebt sie auf 64 an. Zeitgleich steigt die notwendige Beitragsdauer für eine volle Rente schneller als bislang geplant auf 43 Jahre.
„Diese Reform zu machen ist kein Spaß, sie ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit für das Land.“
Emmanuel Macron, französischer Präsident
Er habe nur ein Bedauern, so Macron, nämlich dass es ihm nicht gelungen sei, die Menschen von der Unverzichtbarkeit der Maßnahmen zu überzeugen. Die einzigen Alternativen seien eine Senkung der Bezüge oder die Steigerung der ohnehin hohen Arbeitskosten. Die Opposition habe als Lösung lediglich das wachsende Defizit, weil sie das System auf Pump finanzieren will. Die Gewerkschaften wiederum hätten keinerlei Kompromissvorschläge gemacht. Macron erschien als ein Mann, der sich völlig im Recht fühlt.
Kein Streik mehr erlaubt: Pariser Müllabfuhr zwangsverpflichtet
Doch das Gefühl bei einer Mehrheit der Menschen in Frankreich ist ein anderes. 70 Prozent lehnen die Rentenreform ab, die vor allem all jene benachteiligt, die früh begonnen haben zu arbeiten. Auch die Art, wie sie am Parlament vorbei verordnet wurde, schockierte viele.
Sollte der Verfassungsrat, der angerufen wurde, das Gesetz oder Teile davon nicht mehr kassieren, tritt es noch in diesem Jahr in Kraft. Am heutigen Donnerstag findet ein neuerlicher Streik- und Protesttag statt. Inzwischen wurde das Personal von Ölraffinerien, aber auch der Pariser Müllabfuhr zwangsverpflichtet, damit die Situation nicht völlig außer Kontrolle gerät.
Trotz massiver Proteste: Macron will Rentenreform bis Jahresende in Kraft setzen
Macrons Regierung hat die Reform in der vergangenen Woche auf den Weg gebracht - durch einen Verfahrenskniff unter Umgehung einer Abstimmung im Parlament.
© Quelle: Reuters
Spekulationen, die Regierungschefin Borne zu entlassen oder gar Neuwahlen auszurufen, trat der Präsident entgegen. Stattdessen richtete er den Blick in die Zukunft: Er wolle über bessere Arbeitsbedingungen und Löhne diskutieren, die Industrialisierung des Landes vorantreiben. „Ich lebe von Willenskraft und Hartnäckigkeit“, so Macron. Dass er allein damit den derzeitigen Konflikt beruhigen kann, erscheint unwahrscheinlich.