EKD-Flüchtlingsbeauftragter Stäblein fordert Ukraine-Krisenstab im Kanzleramt
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/CVZUXDU3JFA7DDHOXPRVFGMNIU.jpg)
Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Christian Stäblein, ist Flüchtlingsbeauftragter der EKD.
© Quelle: EKBO
Berlin. Christian Stäblein (54) ist seit September 2019 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Der Rat der EKD ernannte ihn am 25. März 2022 zum Beauftragten für Flüchtlingsfragen. Der Theologe begann als Pastor in Lengede im Kirchenkreis Peine und war ab 2008 Studiendirektor des Predigerseminars der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers im Kloster Loccum. Im November 2014 wurde er zum Propst der EKBO und stellvertretenden Bischof gewählt.
Bischof Stäblein, Sie sind gerade zum Flüchtlingsbeauftragten der EKD ernannt worden. Was sollte die evangelische Kirche verbessern in der Arbeit mit Geflüchteten?
Im Moment geht es allein darum, für die Menschen da zu sein, die zu uns kommen. Die Ukrainer, die vor dem Krieg in der Heimat flohen, erleben in Deutschland eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft. Als Kirchen aktivieren wir unsere Strukturen aus den Jahren nach 2015. Ich finde es beeindruckend, wie schnell das geht – und dass die Helfer von damals und viele neue einfach wieder dabei sind.
Worin sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen im Umgang mit den Geflüchteten?
Durch die Kriegssituation kommen vor allem Frauen und Kinder aus der Ukraine. Wir brauchen also Schulen, Kita-Plätze und angemessene Unterbringungen. Und wir müssen für die vulnerablen Gruppen sorgen. Kranke Menschen oder Geflüchtete mit körperlichen Beeinträchtigungen benötigen ebenfalls kleinere Unterkünfte und eine andere Versorgung.
Krieg gegen die Ukraine: Große Schäden in ukrainischer Stadt Irpin
Aufnahmen zeigen das Ausmaß der Zerstörungen, nachdem die Stadt bei Kiew von der ukrainischen Armee zurückerobert wurde.
© Quelle: Reuters
Die Kirchen betreiben Kitas und Schulen. Können sie flexibler als der Staat oder Private auf diese Bedürfnisse reagieren?
Zunächst ging es darum, den Geflüchteten aus der Ukraine ein Dach über dem Kopf anzubieten. Nun, nachdem Bund und Länder begonnen haben, die Unterbringung in die Hand zu nehmen, sollten wir uns auf Angebote konzentrieren, in denen wir gut sind und die bei der Integration helfen. Tatsächlich können die Kirchen in Kitas und Schulen sehr flexibel sein. Wir wollen aber auch Räume für Gemeinschaft schaffen, um Austausch oder erste Sprachkurse zu ermöglichen. Kirchengemeinden richten Ukraine-Cafés ein. Es muss Möglichkeiten geben, miteinander zu reden – über die Welt, das Warum, über Gott, der bei den Menschen ist.
Auch 2015 sind die Menschen anfangs mit offenen Armen empfangen worden. Was muss dafür getan werden, dass es diesmal so bleibt?
Alle in Deutschland haben aus den Erfahrungen von 2015 und den Folgejahren gelernt, dass mit Realitätssinn und Pragmatismus an die Aufgabe herangegangen werden muss. Sie erfordert langen Atem. Wir müssen von Anfang an prüfen, welche Strukturen länger tragen und wo Menschen früh überfordert werden. Wichtig ist, der Integrationsaufgabe höchste Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu gehören Wohnungen, Arbeit und Ehrlichkeit im Besprechen der wechselseitigen Perspektiven. Gerade Letzteres ist sehr wichtig, um nicht in Enttäuschungen zu laufen.
Die EU hat sich bislang nicht auf einen verbindlichen Verteilungsschlüssel für Geflüchtete aus der Ukraine einigen können. Halten Sie solch ein Instrument für nötig?
Ja, ich glaube, es ist eine Aufgabe, die wir auf Dauer nur europäisch bewältigen können. Die Polen und die Ungarn leisten im Moment Enormes bei der Aufnahme von Geflüchteten, viel mehr als wir. Wir können die Nachbarländer auf Dauer nicht mit dieser Aufgabe alleinlassen.
Die Grünen fordern einen Krisenstab im Kanzleramt, der die Erfordernisse durch die Flucht Zehntausender aus der Ukraine für Bund und Länder koordiniert. Halten Sie solch ein Gremium ebenfalls für notwendig?
Ein Koordinierungsgremium auf höchster Regierungsebene ist sehr sinnvoll. Die Herausforderung durch den Flüchtlingsstrom aus der Ukraine wird noch eine ganze Weile bleiben. Selbst bei einem raschen Kriegsende oder einer Friedensordnung, die den Namen verdient. Ein zentraler Stab kann auch dazu beitragen, dass der Konsens, sehr offen zu sein für eine große Zahl ankommender Menschen, Bestand hat.
Gleichzeitig ertrinken weiterhin Flüchtende im Mittelmeer und bleibt der Migrationsdruck auf Europa insgesamt sehr hoch. Die Frage ist: Schaffen wir das?
Wir stehen in der Pflicht, die gesamte Herausforderung von Flucht und Vertreibung im Blick zu behalten. Jetzt steht selbstverständlich das Leid der Menschen aus der Ukraine für uns im Vordergrund. Doch auch der Krieg in Syrien geht ebenso unvermindert weiter wie die Flucht über das Mittelmeer. Es gilt weiter: Man lässt niemanden ertrinken. Punkt. Solange wir Schiffe zur Rettung Flüchtender auf dem Mittelmeer brauchen, so lange sind die Herausforderungen der Migration nicht gelöst.