„Flitterwochen sind gestrichen“: Vor diesen Heraus­forderungen steht Kanzler Scholz jetzt

Der zukünftige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht vor vielen Herausforderungen.

Der zukünftige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht vor vielen Herausforderungen.

Am heutigen Mittwoch wollen die Ampel­parteien im Bundestag Olaf Scholz (SPD) zum neuen Bundes­kanzler wählen. Doch der künftige Kanzler steht vor vielen Heraus­forderungen. Er muss sich nicht nur als Corona-Krisen­manager beweisen, sondern auch den Frieden in der SPD und in der Ampel­koalition wahren.

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„Die Flitter­wochen sind gestrichen“, meint der Politik­wissenschaftler Stefan Marschall von der Universität Düsseldorf angesichts der Heraus­forderungen durch die Corona-Pandemie. „Es ist eine einmalige Situation in der Geschichte der Bundes­republik, dass eine Regierung in einer so alles umfassenden Krise antritt“. Doch Corona kann auch eine Chance sein, meint Uwe Jun, Politik­wissenschaftler an der Universität Trier. „Sollte die Pandemie abklingen, kann Scholz das als Erfolg angerechnet werden.“

Geld, sozialer Ausgleich, eine neue Rolle in der Welt

Scholz stehe aber weiter unter Handlungs­druck, da er die ökonomische Situation in Deutschland verbessern müsse, um die Finanzierung des Koalitions­programms zu gewährleisten. Dies ist zugleich die größte Heraus­forderung für Scholz, sind sich Marschall und Jun einig. „Ohne ein höheres BIP lassen sich Wohnungsbau, Klima­schutz und digitale Investitionen nicht finanzieren“, macht Jun deutlich. In der Innen­politik stehe Scholz vor der Heraus­forderung, für sozialen Ausgleich und die Integration verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zu sorgen.

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Wissing zu Scholz-Kanzlerschaft: „Ich bin sehr zuversichtlich“
Wissing

Am Mittwoch wird Olaf Scholz im Bundestag zum Kanzler gewählt. Der designierte Verkehrsminister Volker Wissing blickt zuversichtlich in die Zukunft.

Auf der internationalen Bühne müsse Deutschland jetzt seine Rolle neu finden, analysiert Marschall, nachdem Angela Merkel (CDU) das Bild Deutschlands in der Welt fast zwei Jahrzehnte geprägt habe. Zwar sieht das Koalitions­programm keine grundlegend andere Außen­politik vor. Doch es gibt Akzent­verschiebungen. Dazu zählt der Fokus auf Menschen­rechte, den Annalena Baerbock (Grüne) als Außen­ministerin legen wird. „Ihre kritische Haltung gegenüber Russland, dem Konflikt an der ukrainischen Grenze und der wirtschaftlichen und sicherheits­politischen Außen­politik Chinas könnte für neue Spannungen sorgen“, so Marschall. „Die Wert­maßstäbe der liberalen Demokratie werden stärker im Vordergrund stehen“, glaubt auch Jun. Scholz komme die zentrale Rolle als Vermittler zu, der zwischen ökonomischen Interessen und der Einhaltung von Werten abwägen müsse.

Druck aus der eigenen Partei

Dabei steht Scholz auch innerhalb der eigenen Partei vor großen Heraus­forderungen. Nachdem die SPD zuletzt Geschlossenheit demonstriert hatte, drohen nun Spannungen zwischen Regierungschef Scholz und seiner Partei: Der eher linke Kevin Kühnert als neuer General­­sekretär sei ein deutliches Signal, dass die SPD eine kritische Position gegenüber der Regierung einnehmen werde, so Marschall. Im Koalitions­vertrag fehlen zudem mit der steuerlichen Umverteilung und der Änderung des Mietrechts einige wichtige SPD-Punkte, sodass die Partei Druck machen werde. Marschall sieht noch weitere Spannungen auf die SPD zukommen, da die Scholz-Regierung mit der FDP weiter in Richtung Mitte rückt. „Mit diesem Kurs wird sich die SPD nicht vollständig identifizieren können und die Partei- und Fraktions­spitze muss um den Zusammenhalt kämpfen.“

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Doch Scholz versuche bereits, den linken Flügel mit einzubinden und „eine inner­parteiliche Opposition im Keim zu ersticken“, so Politik­wissenschaftler Jun. Scholz habe den Schulter­schluss mit dem linken Partei­flügel gesucht und ihn mit wichtigen Posten eingebunden, zum Beispiel mit Verteidigungs­ministern Lambrecht, Innen­ministerin Faeser. Nach der verlorenen Wahl zum Partei­vorsitzenden sei Scholz auch inhaltlich stärker auf die Interessen des linken Flügels eingegangen und hat den Mindest­lohn, die Renten­garantie und 400.000 Wohnungen zu den Wahlversprechen gemacht.

Wer greift die Lorbeeren ab?

Doch ob sich dieser Weg bezahlt macht und die SPD profitieren kann, sei unklar. „Mit Habeck und Lindner hat Scholz zwei kommunikativ starke Personen neben sich, die ihm den Amts­bonus streitig machen könnten“, so Jun. Der Trierer Politik­experte rechnet damit, dass FDP und Grüne jede Gelegenheit nutzen werden, um Regierungs­erfolge für sich zu reklamieren. Zumindest einen Wahrnehmungs­schub nach außen und einen Motivations­schub nach innen erhalte die SPD aber, meint Marschall. „Die Partei hat alle Chancen, sich in der prominenten Position der Kanzler­partei zu stabilisieren.“

Mit der Harmonie zwischen den Ampel­parteien dürfte es spätestens vorbei sein, wenn es um konkrete Gesetzes­vorhaben geht. Spreng­kraft berge besonders, dass die FDP das Verkehrs­ministerium und die Grünen die Umwelt- und Klima­ministerien bekommen haben, so Marschall. „Konflikte sind hier unvermeidbar“. Dabei stehen die Grünen besonders unter Zugzwang, da sie ihren Anhängern eine Klimaregierung versprochen haben. Scholz müsse immer wieder vermitteln, meint Jun und Marschall bringt eine Lösung ins Spiel: „Die FDP gönnt den Grünen das eine Thema und darf dafür ein anderes umsetzen.“

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Jun gibt zu bedenken, dass für die Anhänger der Ampel­parteien schnell erste Erfolge bei Klima­schutz und Digitalisierung sichtbar werden müssen. „Enttäuschungen sind vorprogrammiert und können zu Spannungen in der Ampel­koalition führen“, so Jun. Sobald erste Niederlagen auftreten und die Regierung in Kritik gerate, stehe die Ampel­koalition vor einer Bewährungs­probe. Für die FDP stehe immerhin die Wieder­wahl auf dem Spiel, so Jun: „Wenn sie nicht liefert, kann ihnen das erneut die parlamentarische Existenz kosten.“

Kommt es zum Zerwürfnis?

Zwischen FDP und Grünen muss sich aber auch Scholz mit SPD-Themen behaupten. Die Zukunftsthemen habe sie an die beiden kleineren Parteien gegeben, doch genau diese Themen benötigt die SPD, um bei den jungen Wählern zu punkten. Die SPD müsse daher ihren Gestaltungs­anspruch deutlich machen, um Politik­erfolge für sich verbuchen zu können, so Jun.

Mit einem Zerwürfnis der Ampel­parteien rechnet Marschall aber nicht. „Gerade in der Pandemie wird keine Partei eine Regierungs­krise provozieren und sich der Verantwortung entziehen“, so der Experte. Vielleicht werde es nach vier Jahren sogar ein neues Ampel­bündnis geben. Doch unvorhersehbare Ereignisse und unterschiedliche Problem­lösungen der Parteien könnten das Dreier­bündnis zerbrechen lassen, warnt Jun. „Dann kommt es darauf an, wie belastbar das Vertrauens­verhältnis zwischen Scholz, Habeck und Lindner ist.“

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