Wenn Bundespolitiker an den Tücken der Provinz scheitern
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Ein Wahlplakat von Norbert Röttgen (CDU) steht nach der verlorenen NRW-Landtagswahl in Oberhausen fest verschnürt zum Abtransport neben dem Plakat von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).
© Quelle: picture alliance / dpa
Berlin/Wiesbaden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will als Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der nächsten Landtagswahl in Hessen antreten. Die 52-jährige gebürtige Südhessin, der in Berlin von allen Seiten beschieden wird, bislang einen ordentlichen Job gemacht zu haben, bleibt allerdings vorerst Innenministerin des Bundes - und kündigte auch gleich an, dass sie bei einer Wahlniederlage in Hessen am 8. Oktober im Bundeskabinett bleiben wolle.
Fälle, in denen Politikerinnen und Politiker der Bundespolitik den Rücken kehrten und zurück in die Landespolitik strebten, lassen sich an zwei Händen abzählen. Manch Rückkehrwilliger musste am Ende gar seine politische Karriere quittieren.
Walter Wallmanns kurzes Gastspiel in Bonn
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Der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) sticht am 21. Juli 1990 auf dem Erbacher Wiesenmarkt ein Fass Bier an.
© Quelle: picture-alliance / dpa
Zugegeben: Ein waschechter Bundespolitiker war der Christdemokrat Walter Wallmann eigentlich nie. Und sein kurzes Gastspiel im ersten Kabinett von Kanzler Helmut Kohl verdankte der damalige Frankfurter Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetags lediglich der Tatsache, dass im damals noch sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl ein Reaktor explodierte. 1986 war das.
Kohl reagierte auf den Vorfall indem er seinen Vertrauten Wallmann zum ersten Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit berief. Ein Amt, das Wallmann zwar antrat, aber nie wirklich annahm und dessen Sinnhaftigkeit sich ihm auch nie wirklich erschloss.
Bereits nach wenigen Monaten im Amt erklärte er seine Bereitschaft, für das Amt des hessischen Ministerpräsidenten kandidieren zu wollen, um gleich noch einmal Geschichte zu schreiben – und seiner wahren Berufung zu folgen: Der erzkonservative CDU-Politiker wollte die bundesweit erste rot-grüne Landesregierung unter SPD-Ministerpräsident Holger Börner und dem grünen Umweltminister Joschka Fischer beerdigen.
Was ihm auch tatsächlich gelang. Wallmann wechselte nach nicht einmal elf Monaten im Amt von Bonn nach Wiesbaden – als erster CDU-Ministerpräsident. Sein damaliger Kanzleichef war übrigens ein gewisser Alexander Gauland, heute AfD-Ehrenvorsitzender.
Klaus Töpfer: Zweimal gescheitert am dunkelroten Oskar
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Der ehemalige Umweltminister und UNEP-Chef Klaus Töpfer im April 2017
© Quelle: Foto: Britta Pedersen, dpa
Walter Wallmanns Nachfolger als Bundesumweltminister wurde ein junger, hoffnungsvoller Landespolitiker aus Rheinland-Pfalz, der wie sonst vielleicht nur Heiner Geißler und Norbert Blüm als Begründer eines neuen Zeitgeists, einer neuen Kultur in der konservativen Kohl-Partei galt. Anders als sein Vorgänger nahm der damals 48-jährige Klaus Töpfer seine Aufgabe als Umweltminister sehr ernst – was unweigerlich dazu führen musste, dass es zu Reibereien mit seinem Chef kam, Bundeskanzler Helmut Kohl.
Doch Töpfer war zu wichtig: Seine Umweltpolitik band wichtige Stimmen, die die Konservativen sonst an die erstarkenden Grünen verloren hätten. Töpfers vielleicht wichtigste Hinterlassenschaft, die es noch heute gibt: der gelbe Punkt, das duale System.
Doch dann beging er den verhängnisvollen Fehler, aus seinem Bonner Ministeramt heraus 1990 und 1994 gleich zweimal den Hut ins Rennen um die saarländische Landesregierung zu werfen. Töpfer, der eigentlich aus der rheinland-pfälzischen Landesregierung in Kohls Kabinett gestoßen war, scheiterte als Umweltpolitiker im damals noch von der Kohle- und Stahlindustrie dominierten Saarland – und das ausgerechnet gegen den damaligen SPD-Politiker Oskar Lafontaine, der später in die Linkspartei wechselte.
Happy End: Durch die Niederlagen fand Töpfer später als weltweit gefeierter Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Nairobi seine wahre Berufung.
Norbert Blüm, ein Kandidat auf der Durchreise
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Arbeitsminister Norbert Blüm (Deutschland/CDU) beim Krafttraining
© Quelle: imago images/Dieter Bauer
1990 muss die Luft im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl besonders unerträglich gewesen sein. Denn neben Klaus Töpfer strebte auch der sehr populäre Bundesarbeitsminister Norbert Blüm („Die Rente ist sicher“) in die Landespolitik seines nordrhein-westfälischen Landesverbandes. Ausgerechnet das SPD-Schwergewicht Johannes Rau – damals bereits seit zwölf Jahren Ministerpräsident in Düsseldorf, zudem zu diesem Zeitpunkt letzter SPD-Kanzlerkandidat – wollte er vom Thron stoßen.
Blüm galt als Kohl-Gegenspieler, hatte sich zudem als liberales Gewissen der Konservativen einen bundesweiten Namen gemacht, indem er zum Beispiel die Unrechtsregime in Chile und Südafrika öffentlich anprangerte, während sich Parteifreunde dort gern hofieren ließen. Am Ende erwies sich die Aufgabe als zu groß, das rote Stammland sollte weitere 15 Jahre in SPD-Hand bleiben. Blüm blieb in Kohls Kabinett, schied bei dessen Abwahl 1998 als einziger Minister aus dem Amt, der dem Altkanzler während dessen 16-jähriger Amtszeit nie von der Seite gewichen war.
Friedbert Pflüger: alles auf die Berliner Karte
Der gebürtige Niedersachse Friedbert Pflüger.
© Quelle: privat
Innerhalb der CDU galt der gebürtige Niedersachse Friedbert Pflüger lange Zeit als Rebell, als „junger Wilder“: Früh distanzierte sich der ehemalige Pressesprecher des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom System Kohl und dessen schwarzen Kassen.
Das ausländerfeindliche Grundrauschen im traditionell konservativen hessischen Landesverband prangerte er öffentlich an. Pflüger galt als einer der ersten waschechten „Merkelianer“, zu einem Zeitpunkt, als sich die neue CDU-Chefin und Kanzlerin in der eigenen Partei einer breiten Skepsis und Ablehnung gegenübersah. Doch was Pflüger fehlte, war die Machtbasis, die Hausmacht, ein Regierungsamt. Und so kam er auf die verhängnisvolle Idee, sich als Spitzenkandidat für das Bürgermeisteramt in Berlin aufstellen zu lassen, in einem der kompliziertesten, weil zerstrittensten CDU-Landesverbände.
Dafür verzichtete Pflüger 2006 auf sein Amt als Staatssekretär im Verteidigungsministerium, ebenso auf sein Bundestagsmandat. Alles setzte er auf die Berliner Karte. Am Ende scheiterte er in diesem selbstzerstörerischen Landesverband – vor allem aber am populären SPD-Kandidaten Klaus Wowereit („arm, aber sexy“). 2010 schied Pflüger ernüchtert aus der Politik aus.
Renate Künast: keine Lust auf Rathausopposition
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Renate Künast bei der 163. Sitzung des Deutschen Bundestages 2020.
© Quelle: imago images/Future Image
Anders als Pflüger war die Bündnisgrüne Renate Künast trotz ihrer bundespolitischen Prominenz stets mit einem Fuß in der Berliner Landespolitik verwurzelt geblieben. Und so verwunderte es kaum, dass die ehemalige Bundesagrarministerin und Parteichefin im Herbst 2010 bekannt gab, erneut für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kandidieren zu wollen.
In Umfragen hat die Grünen zu diesem Zeitpunkt die SPD des Amtsträgers Klaus Wowereit als stärkste Partei überflügelt. Und dann beging Künast den Fehler, dem viele Bundespolitiker bei „Ausflügen“ in die Landespolitik erlagen: Sie stellte klar, dass sie nur als Regierende Bürgermeisterin zur Verfügung stünde – nicht jedoch für niederrangige Funktionen in der Berliner Landespolitik.
In einer Stadt, die schon damals unter Geldmangel litt und aufgrund vieler ungelöster Probleme als gigantische Baustelle galt, galt das als abgehoben und arrogant. Die Quittung dafür gab es bei der Wahl am 18. September 2011: Künasts Grüne stürzten auf 17,6 Prozent ab, fielen noch hinter die CDU (23,3 Prozent), während Wowereits SPD mit 28,3 Prozent triumphierte.
Julia Klöckner, im Zweifel Mainz statt Berlin
Klöckner will gegen Dumpingpreise bei Fleisch vorgehen
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will eine Tierwohlabgabe einführen und verstärkt gegen Dumpingpreise beim Fleisch vorgehen.
© Quelle: Reuters
Wer politisch als „Greenhorn“ gilt, also noch keine 40 Jahre alt ist, zudem attraktiv ist und in einer von Männern dominierten Öffentlichkeit ständig das Label „Weinkönigin“ angeheftet bekommt, der darf sich keine Fehler erlauben. Als Julia Klöckner, immerhin die Gewinnerin des ersten CDU-Bundestagsdirektmandats im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach, erstmals 2011 gegen Ministerpräsident Kurt Beck von der SPD antrat, schloss sie mit ihrer kurzen bundespolitischen Karriere ab – vorerst.
Sie verzichtete auf ihr Bundestagsmandat, blieb später auch als Wahlverliererin auf den harten Mainzer Oppositionsbänken. In einem neuen Anlauf unterlag Klöckner vier Jahre später auch gegen Becks Nachfolgerin und Parteifreundin Malu Dreyer, sodass sie am Ende dann doch wieder die „Berlin-Karte“ zieht und in Merkels letztes Bundeskabinett als Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft eintritt.
Norbert Röttgen, mit halber Kraft Richtung Düsseldorf
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Norbert Röttgen, heute ein passionierter Außenpolitiker, wollte einst NRW-Ministerpräsident werden.
© Quelle: Micael Kunz
Geht es um Bundespolitiker, die auf dem Weg in die Landespolitik scheiterten, fällt den meisten stets Norbert Röttgen und das Jahr 2012 ein: Der damalige Bundesumweltminister, ein intelligenter Politiker, Merkel-Unterstützer und Pro-Europäer, reihte im Wahlkampf gegen die amtierende nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus der SPD Fehler an Fehler.
Zunächst verkündete er öffentlich, die Landtagswahl zu einer Abstimmung über den Europakurs von Kanzlerin Merkel machen zu wollen. Die CDU tobte, Röttgen musste zurückrudern, schließlich bewarb er sich um das Regierungsamt im einwohnerstärksten Bundesland.
Ich meine, ich müsste eigentlich dann Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber.
Norbert Röttgen,
2012 im Interview mit der ZDF-Journalistin Dunja Hayali
Dann antwortete er auf die Frage der ZDF-Journalistin Dunja Hayali, ob er in NRW im Falle einer Niederlage auch in die Opposition gehen würde: „Ich meine, ich müsste eigentlich dann Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber.“ Der Wähler als Störfaktor? Röttgen versuchte, das als Satire zu verklären.
Zudem ließ der Bundesumweltminister die Frage nach seinem Verbleib nach der Wahl unbeantwortet. Die Quittung dafür gab es am Wahltag: Die CDU erhielt mit 26,3 Prozent ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis in NRW. „Das hatte viele Ursachen, zum Beispiel, dass man sich nicht voll für dieses Land entschieden hat“, kommentierte bissig CSU-Chef Horst Seehofer.
Und wie befürchtet bestätigte Röttgen am Ende alle, die ihm unterstellten, er habe es mit seinem NRW-Engagement nie ernst gemeint. Nach der Wahl verzichtete auf sein Landtagsmandat, kündigte seinen Rücktritt als Landesvorsitzender an – und fokussierte sich wieder auf die Bundespolitik. Doch jetzt kam von da Gegenwind: Kanzlerin Merkel schlug Röttgens Entlassung als Bundesumweltminister vor. Röttgen hatte sich verpokert.