Nach EZB-Urteil: Deutschland steckt in der Bredouille
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“Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg”: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.
© Quelle: Etienne Ansotte/European Commiss
Brüssel/Berlin. Nur wenige Wochen vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft findet sich die Bundesregierung in Europa in einer ausgesprochen heiklen Lage wieder. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in der vergangenen Woche das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank im Zuge der Euro-Krise in Teilen für rechtswidrig erklärt und sich damit über ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes hinweggesetzt hatte, sucht die Bundesregierung nun nach einem Weg, der sowohl den Erfordernissen Brüssels genügt als auch den Vorgaben aus Karlsruhe.
Das umstrittene Urteil des obersten deutschen Gerichts war in einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums am Montag Thema. Kanzlerin Angela Merkel habe Teilnehmerangaben zufolge auf eine mögliche Instrumentalisierung des Urteils durch andere EU-Staaten hingewiesen. Damit wäre mitten in der Corona-Krise ein Kerngedanke der Europäischen Union infrage gestellt, wonach europäisches Recht nationales Recht bricht.
Thema im CDU-Präsidium
Jedoch habe sich Merkel dem Vernehmen nach auch zuversichtlich über eine mögliche Beilegung der Konflikts gezeigt, etwa wenn die EZB ihre Kaufentscheidungen transparent begründe.
Erschwerend kommt für die Kanzlerin hinzu, dass die europäische Kommission Druck auf Berlin ausübt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drohte der Bundesregierung jetzt mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens. „Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg“, schrieb von der Leyen. Das ist eine klare Kampfansage der Kommission.
Die EU sei eine Werte- und Rechtsgemeinschaft, die die EU-Kommission jederzeit wahren und verteidigen werde, schrieb von der Leyen. Nach EU-Recht ist das die Zuständigkeit der Brüsseler Behörde: Sie ist “Hüterin“ der EU-Verträge und muss Verstöße ahnden. Leitet sie ein Verfahren wegen Verletzung der Verträge ein, kann dies wiederum vor dem EuGH landen.
Brüssel sieht sich herausgefordert
Aus der EU-Kommission hieß es am Montag, das Karlsruher Urteil gehe “direkt an das Fundament der EU“. Bis zur formalen Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens kann es noch dauern. Karlsruhe verlangt von der EZB, die Anleihenkäufe binnen drei Monaten nachträglich auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Und auch danach gibt es nach Kommissionsangaben noch Raum für den Dialog.
Merkels Sprecher Steffen Seibert bemühte sich am Montag, eine konstruktive Haltung Berlins gegenüber Brüssel zu vermitteln. Seibert äußerte Verständnis für die Drohung aus Brüssel: “Es ist unzweifelhaft die Aufgabe und das Recht der Europäischen Kommission, darüber zu wachen, dass das europäische Recht in der gesamten EU durch die Mitgliedsstaaten korrekt angewandt und umgesetzt wird”, sagte er. “Es ist auch verständlich, dass das Karlsruher Urteil aus Sicht der Europäischen Kommission Fragen aufwirft.” Diesen Fragen werde sich Bundesregierung stellen und sie beantworten.
CDU ist gespalten
Die Androhung von der Leyens, gegebenenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland anzustrengen, sorgte für Dissens innerhalb ihrer Partei, der CDU. “Ein Vertragsverletzungsverfahren ist unverhältnismäßig“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper der Funke-Mediengruppe.
Sein Fraktionskollege Daniel Caspary beschwichtigte wiederum: “Es klingt auf den ersten Blick spektakulär, wenn die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland prüft“, so Caspary. Es gehöre aber zu den alltäglichen Aufgaben der EU-Kommission, als “Hüterin der Verträge“ tätig zu sein: “Also erst mal die Sachlage prüfen und dann weitersehen.“
Videografik: So arbeitet die EZB
Wie funktioniert die Europäische Zentralbank, der Verteiler des Geldes innerhalb der EU, eigentlich genau? Das erklärt diese Videografik.
© Quelle: AFP
Verständnis für von der Leyen
Dagegen signalisieren CDU-Bundestagsabgeordnete klare Unterstützung für von der Leyen. Das Karlsruher Urteil stelle die Entscheidungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs infrage – er halte dies für “problematisch”, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. “Dafür wird es Beifall von all denen geben, die die europäische Integration zurückdrehen wollen”, betonte Hardt auch mit Blick auf europaskeptische Regierungen von EU-Mitgliedsstaaten, die EU-Rechtsstandards den Rücken kehren wollten.
“Deshalb hätte ich großes Verständnis dafür, wenn die EU-Kommission im Rahmen der EU-Verträge jetzt handelt. Am Ende wird das zu mehr Klarheit über das Verhältnis von EU-Recht zu nationalem Recht schaffen”, sagte Hardt.
Ähnlich hatte sich zuvor die Unions-Europaexpertin Katja Leikert geäußert: “Ein Verfahren sollte aber niemanden in Berlin oder Karlsruhe überraschen”, sagte die Bundestagsabgeordnete der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Vorbild für Polen
Das Urteil aus Karlsruhe wurde derweil in Polen begrüßt. Es sei “eines der wichtigsten Urteile in der Geschichte der Europäischen Union“, schrieb der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Es sei vielleicht zum ersten Mal in dieser Klarheit gesagt worden: “Die Verträge werden von den Mitgliedsstaaten geschaffen und sie bestimmen, wo für die Organe der EU die Kompetenzgrenzen liegen.“
Gegen die Polen, deren Regierung das Justizsystem umbaut, hat die EU-Kommission erst kürzlich ein Verfahren eingeleitet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die nationalkonservative Regierung in Warschau nun auch damit liebäugeln könnte, ein mögliches EuGH-Urteil nicht zu akzeptieren. Damit wäre nach Einschätzung des EuGH das europäische Justizsystem gefährdet.