Experte: “Bei der Corona-Hilfe wurde der gemeinnützige Sektor vergessen”
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Beutel mit Lebensmitteln hängen am Rheinufer in Düsseldorf an einen Gabenzaun. Insbesondere Obdachlose litten und leiden unter der Kontaktsperre zur Eindämmung des Coronavirus.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Berlin. Herr Rickert, mit einem fast 70-köpfigen Team beraten, analysieren und unterstützen Sie seit vielen Jahren gemeinnützige Organisationen, weshalb Sie einen guten Einblick in den zivilgesellschaftlichen Sektor haben. Wie ist der bislang durch die Corona-Krise gekommen?
Leider sehr schlecht. Man muss das so deutlich sagen: Die Not im gemeinnützigen Sektor ist groß – und zwar schon seit dem ersten Tag des Lockdowns.
So schnell?
Ja, das liegt in der Natur der Sache. Gemeinnützige Organisationen dürfen keine Gewinne machen und keine großen Rücklagen bilden. Ihnen geht deshalb schnell die Luft aus, wenn Einnahmen wegbrechen. Und das passiert in der Corona-Krise überall.
Können Sie ein Beispiel geben?
Behindertenwerkstätten können ihre Produkte nicht verkaufen, Kulturzentren verlieren Einnahmen aus der Vermietung von Räumen, Sportvereine müssen die Kursgebühren erstatten. Gleichzeitig laufen Kosten für Gebäude und Personal weiter. Das halten die Organisationen nicht lange durch.
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Andreas Rickert von Phineo
© Quelle: Phineo
Was heißt “nicht lange”?
Ganz grob gibt es bei zivilgesellschaftlichen Organisationen drei Finanzierungsmodelle. Ein Teil von ihnen übernimmt soziale Dienstleistungen vom Staat und erhält dafür Zuwendungen. Kitas oder Pflegeeinrichtungen zum Beispiel. Denen geht es noch vergleichsweise gut, weil die öffentliche Hand viele Zuwendungen in der Krise weiterlaufen lässt. Bei Organisationen, die überwiegend von gewerblichen Einnahmen leben, ist die Not am größten. Ihre Existenz ist akut bedroht. Und dann gibt es Organisationen, die auf private Kapitalgeber wie Spender oder Stiftungen angewiesen sind. Bei denen ist die Lage angespannt und wird in den nächsten Monaten deutlich schlimmer werden. Es ist eine Erfahrung vergangener Krisen, dass Spendengelder als Erstes gekürzt werden.
Aber es gibt doch all die staatlichen Rettungspakete.
Natürlich können gemeinnützige Unternehmen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken oder die Miete stunden. Das hilft aber nur vorübergehend. Die milliardenschweren Rettungspakete für die Wirtschaft gehen bislang am gemeinnützigen Sektor vorbei. Nicht zu verstehen, seine Wirtschaftskraft ist immerhin vergleichbar mit der Baubranche in unserem Land. In den 600.000 zivilgesellschaftlichen Organisationen arbeiten rund 3,7 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigte. Dennoch hatte niemand den zivilgesellschaftlichen Sektor bei der Konstruktion der Rettungsmechanismen auf dem Schirm. Man hat ihn schlicht vergessen.
Angeblich soll mit dem Konjunkturpaket ein Rettungsschirm für Nonprofitorganisationen kommen.
Der wäre dringend nötig, weil kurzfristige Zahlungsengpässe verhindert werden müssen. Aber ganz ehrlich: Kredite zum Beispiel können bestenfalls eine Übergangslösung sein. Wie soll eine Organisation, die nicht gewinnorientiert arbeitet, die Überschüsse erzielen, um einen Kredit abzubezahlen? Das geht überhaupt nicht, und wenn man darüber nachdenkt, leuchtet das auch schnell ein.
Was muss stattdessen passieren?
Der gemeinnützige Sektor ist lebendig und innovativ. Gerade in der Krise sind viele Ideen entstanden, aber für die Umsetzung fehlen die Mittel. Es braucht dringend staatliche Hilfen und direkte Zuschüsse, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Wenn es die nicht gibt, wird es eine Pleitewelle geben, die schlimme Auswirkungen für die Gesellschaft hätte. Es würden ja nicht nur viele Arbeitsplätze wegfallen, sondern auch die Dienstleistungen, die all diese Menschen für die Gesellschaft erbringen. Unser Land würde ein anderes sein. Kein besseres.
Hilfsorganisationen drohen zu verschwinden?
Die Gefahr ist sehr real. Und die Institutionen, die nun wegzubrechen drohen, werden wir in der Post-Corona-Zeit dringender denn je brauchen. Schon während des Lockdowns, als viele Organisationen wegen der Kontaktbeschränkungen ihre Dienste nicht mehr anbieten durften, haben wir gesehen, wie schmerzhaft sie vermisst werden. Obdachlose, Arme, Kinder aus schwierigen Verhältnissen – es sind die Schwächsten unserer Gesellschaft, die plötzlich ohne Unterstützung dastehen. Der Staat muss verhindern, dass das dauerhaft geschieht. Und zwar in seinem ureigensten Interesse.
Dr. Andreas Rickert, 46, ist studierter Molekularbiologe. Nach Tätigkeiten in der Wirtschaft, u.a. für die Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey, gründete er im Jahr 2010 das gemeinnützige Analyse- und Beratungsunternehmen Phineo. Das inzwischen fast 70-köpfige Team unterstützt gemeinnützige Organisationen und berät Fördernde wie Stiftungen, Unternehmen, Privatpersonen und die öffentliche Hand in ihrem sozialen Engagement. Phineo verleiht gemeinnützigen Organisationen das Wirkt-Siegel, u.a. für gesellschaftliche Wirkung, leistungsfähige Strukturen und Transparenz.
RND