Europa – Das neue Reich der Rechten
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Europa? Braucht keiner! Französische Gelbwesten, heiß umworben von europäischen rechtspopulistischen Parteien, tragen bei ihrer jüngsten Demonstration eine zerteilte EU-Flagge mit sich.
© Quelle: Artur Widak/NurPhoto
Brüssel/Berlin. An einem trüben Märzmorgen sitzt Harald Vilimsky in einer Cafeteria des Europaparlaments in Straßburg und malt sich eine helle Zukunft aus. Eine Zukunft, in der rechtspopulistische Parteien wie seine Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) eine Position in der verhassten EU einnehmen, an der niemand mehr vorbeikommt.
Während er spricht, macht der FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordnete immer wieder weit ausholende Bewegungen mit den Händen. Vilimsky will Europa „aufmischen“. Denn die Europäische Union sei derzeit wie ein „Verein, der nicht auf die Interessen seiner Mitglieder eingeht“. Höchste Zeit also für den Game-Changing-Moment, sagt Vilimsky in einer eigenwilligen Mischung aus Deutsch und Englisch. Der Augenblick, der das Spiel dreht, könnte schon am Mittwoch dieser Woche gekommen sein.
Denn dann entscheidet die konservative Europäische Volkspartei (EVP), ob sie die Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán aus ihren Reihen ausschließt. Wenn das geschehen sollte, wäre das Vilimsky sehr recht. Und wenn der antieuropäische Orbán, der eine „illiberale Demokratie“ für die beste Staatsform hält, aus eigenem Antrieb aus der EVP austreten würde, dann wäre das Vilimsky auch recht. Denn so oder so braucht Orbáns Fidesz-Partei dann ein neues Zuhause im europäischen Parlament.
Der Weg wäre frei für Vilimskys Traum, für die große Allianz der Rechtspopulisten und Nationalkonservativen in Europa. Nicht zur Abschaffung der EU – aber zur Übernahme.
„Eine Aushöhlung von innen“
Die deutsche Bundesregierung ist in Alarmstimmung. „Alle Prognosen sehen Populisten und Nationalisten gestärkt aus dieser Wahl hervorgehen – politische Kräfte also, die die Funktionsfähigkeit der EU von innen aushöhlen wollen. Und zwar mit einem Frontalangriff auf die Werte, die Europa ausmachen“, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Montag auf einer Konferenz in Brüssel.
Tatsächlich trifft die Rechte in Europa Vorbereitungen für den Angriff auf Brüssel. Rechtspopulisten und Nationalkonservative nutzen die weit verbreitete EU-Skepsis in den Nationalstaaten für ihre Zwecke. In Italien, Österreich, Polen, Ungarn, der Slowakei, Dänemark und Finnland sind sie an der Regierung beteiligt. In Deutschland sitzt die AfD im Bundestag und in allen Landtagen.
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Das liegt auch daran, dass viele Bürger unzufrieden sind mit der EU. Vor allem die Migration wird als ein drängendes Thema empfunden. Aber: Die Mehrheit der Menschen in den EU-Staaten will Umfragen zufolge nicht an der Mitgliedschaft ihres Landes in der EU rütteln.
Die Rechten bedienen genau dieses Gefühlsgemisch. Das propagierte Ziel ist nicht mehr die Auflösung der EU, sondern ihr kompletter Umbau, „um das europäische Einigungswerk zu retten“. In Vilimskys Konzept sollten die Mitgliedsstaaten nur noch da kooperieren, wo es dringend geboten ist. Beim Schutz der Außengrenzen etwa. Ansonsten steht Verschlankung auf dem Programm. „Wir schaffen es auch mit einem halben Parlament, mit einer halben Kommission und einem einzigen Sitz des Parlaments.“
In seiner Wiener Heimat gilt Vilimsky als „Mann für das Grobe“. Hinter seinem Schreibtisch hängt eine Fotomontage, die seinen Kopf auf dem Körper des amerikanischen Actiondarstellers Bruce Willis zeigt. Es könnte nach der Europa-Wahl in gut zwei Monaten zu einer Blockbildung in der Mitte des Kontinents kommen, sagt er jetzt kernig. Dazu müssten sich die europakritischen Regierungsparteien in Polen, Ungarn, Österreich und Italien nur zusammentun, und schon könnte es im neuen Parlament für den zweiten Platz hinter den Konservativen reichen. Wenn sich dann noch die deutsche AfD und das französische Rassemblement National von Marine Le Pen anschließen, wäre die Internationale der Nationalisten schon perfekt.
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„Die Isolation ist vorbe. Ich war offiziell eingeladen ins Weiße Haus vor einigen Monaten“: FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky plant den großen Siegeszug der europäischen Rechten.
© Quelle: imago stock&people
Kaum ein FPÖ-Politiker hat so gute Kontakte zu Schwesterparteien im Ausland, namentlich der AfD, wie der 52-Jährige. Noch vor wenigen Monaten hoffte die AfD, bei der Europawahl zu ihrem Vorbild FPÖ aufschließen zu können. Parteichef und Europa-Spitzenkandidat Jörg Meuthen sagte im November: „Die Europawahl eröffnet uns die Chance, in ganz Deutschland deutlich über die 15 Prozent hinauszukommen. Wir haben, was Europa angeht, ein Alleinstellungsmerkmal, das bei vielen Menschen ankommt. Das wäre dann natürlich ein Türöffner, uns wie die FPÖ in Österreich in Bereiche zu bewegen, in denen wir dauerhaft über 20 Prozent landen. Dann sind wir ein wirklich signifikanter politischer Akteur.“
Orbán kümmert sich um Polen
In aktuellen Umfragen aber krebst die AfD um die 10 Prozent herum – deutlich unter ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017. Die Spitzenleute Meuthen und Guido Reil sind von der Spendenaffäre belastet. Zudem kommt in den Tagen des Brexit-Chaos das Kokettieren mit einem EU-Austritt nicht mehr gut an. Die AfD-Führung konnte zwar auf dem Europaparteitag den radikalen Leitantrag besonders EU-feindlicher Kreise abwenden, binnen fünf Jahren den „Dexit“ einzuleiten. Aber als generelles politisches Ziel steht der EU-Austritt Deutschlands immer noch im Programm.
Bleibt als Trost für die AfD, als Vertretung des einwohnerstärksten Mitgliedslandes in einer Anti-Brüssel-Fraktion eine wichtige Rolle spielen zu können.
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Legt für die AfD die Drähte nach Budapest und Warscahu: Jörg Meuthen, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl.
© Quelle: Matthias Balk/dpa
Meuthen und andere führen seit Monaten offizielle und inoffizielle Gespräche – auch mit Viktor Orbáns Fidesz-Partei. Die Ungarn gelten den deutschen Rechtsnationalisten schon längst als natürliche Verbündete. Und Orbán könnte die polnische Regierungspartei PiS mit ins Boot einer Rechtsfraktion holen. Denn er und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sind engste Verbündete. Kontakte zwischen PiS und AfD sind hingegen bisher nicht über ein informelles Stadium hinausgekommen. Die putinfreundliche Haltung vieler europäischer Rechtsparteien schreckt die PiS bislang eher ab.
„Jeder spricht zur Zeit mit jedem“, sagt ein wichtiger, aber lieber anonymer Vertreter der Straßburger Parlamentsfraktion, die sich Europas Konservative und Reformer nennt und aus Europa-skeptischen Parteien sowie einigen Rechtspopulisten besteht. Er bestätigt freimütig, dass die Planspiele auf Hochtouren laufen. Nicht nur zwischen Berlin, Budapest und Warschau.
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Mit dem Schwert im Logo: Matteo Salvini, rechtspopulistischer Innenminister Italiens, bei einer Wahlveranstaltung der Lega Nord.
© Quelle: Antonio Calanni/AP
Der starke Mann Italiens, der rechtspopulistische Innenminister Matteo Salvini, sucht die Nähe zu den gewaltbereiten Gelbwesten in Frankreich, die zur Europawahl antreten wollen. Er ist befreundet und verbündet mit Marine Le Pen, Chefin der rechtsextremen französischen Rassemblement National.
Da will der Österreicher Vilimsky nicht abseits stehen. „Ich möchte mich in den nächsten Tagen nach Budapest aufmachen und die Kontakte mit Fidesz zu vertiefen.“ Orbán habe ihm schließlich ein „persönliches Dankesschreiben geschickt“ – damals, als Vilimsky in der Debatte über das EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn Position für den Ministerpräsidenten in Budapest bezogen habe.
„Ein Habsburger Reich der Populisten“
Vilimskys Ziel ist eine gemeinsame Fraktion mit den Gleichgesinnten aus Ungarn, Polen und Italien. Gelingt das Vorhaben, wäre es eine Art „Habsburger Reich der Populisten“.
Ziemlich klar ist indes, dass Österreich das Imperium nicht anführen wird. Wer aber darf die Rolle des obersten EU-Skeptikers übernehmen darf: Viktor Orbán? Matteo Salvini? Bislang sind die Populisten und Nationalkonservativen im Europaparlament auf mehrere Fraktionen verteilt. Ihr Einfluss auf die Gesetzgebung ist marginal.
„Das bleibt auch so“, glaubt Daniel Caspary, der Chef der deutschen Abgeordneten von CDU und CSU im Europaparlament. Er sitzt in einer Gesprächskabine vor dem Plenarsaal des Parlaments in Straßburg und stellt eine rhetorische Frage: „Sie glauben doch nicht, dass die polnische PiS zusammen mit der AfD in eine Fraktion geht?“ Das könne allein schon wegen der völlig unterschiedlichen Haltung gegenüber Russland nicht funktionieren. Casparys Prognose: „Die Rechtspopulisten werden auch im neuen Europaparlament bleiben, was sie heute sind: eine bedeutungslose Randgruppe.“
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Zu radikal für die Radikalen? Marine Le Pen, Chefin der französischen Rassemblement National.
© Quelle: Michel Euler/dpa
Das könnte sich als Wunschdenken erweisen. Harald Vilimsky, der Österreicher fürs Grobe, setzt darauf, dass sich die Dinge mit der Zeit verändern. Die FPÖ sei zehn Jahre lang in Österreich als Paria behandelt worden, aber: „Die Isolation ist vorbei“, sagt Vilimsky. Heute sitze die Partei in der Bundesregierung. „Und wir sind bis in die USA hinein als Gesprächspartner anerkannt. Ich war offiziell eingeladen ins Weiße Haus vor einigen Monaten.“
Und: Die rechte Allianz braucht für ihr Werk keine absolute Mehrheit. Wenn sie nur die stärkste Fraktion bilden würde, könnte sie die EU-Gesetzgebung und damit die Union an sich lahmlegen.
Fragen, ob auch Marine Le Pen in einer Fraktion der Europaskeptiker willkommen wäre, umschifft der Österreicher. Die FPÖ sitzt derzeit mit Le Pens Rassemblement National und der Lega aus Italien in der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“. Vilimsky erhebt kurz die Stimme und sagt: „Ich sehe keine Elemente der extremen Rechten in unserer Fraktion.“ Meuthen sagt Ähnliches, meint aber nur Faschisten wie die griechische Goldene Morgenröte. In einer neuen Gruppierung seien all jene willkommen, „die sich zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bekennen“.
Was hat Steve Bannon noch vor?
Auch Mischaël Modrikamen benutzt diese Worte. Der Chef der belgischen Kleinpartei Parti Populaire ist Statthalter eines Mannes, um den es in den vergangenen Wochen ruhiger wurde: Steve Bannon, US-amerikanisches Enfant terrible der globalen Neuen Rechten. Seinen vollmundigen Ankündigungen, die Europawahlen aufzumischen, folgte bisher nichts. Sein Statthalter Modrikamen aber treibt den gemeinsamen Rechtspopulisten-Club „The Movement“ weiter voran. Ein „europäischer Gegengipfel“, für März geplant, ist auf Mai verschoben. Dann soll Bannon auch einmal nach Brüssel kommen. Ob FPÖ und AfD dabei sind? „Noch unklar“, sagt der Pressesprecher. Und Orbán? Man spreche miteinander. Inoffiziell, hinter verschlossenen Türen.
Die Grafik zeigt die mögliche Sitzverteilung im Europäischen Parlament laut einer Umfrage (2019) und die tatsächliche Sitzverteilung seit den vergangenen Wahlen (2014)
Von Damir Fras und Jan Sternberg