Beauftragter für Bosnien: „Nur mit besseren Straßen geht es für den Balkan Richtung Brüssel“

Christian Schmidt, der Hohe Beauftragte der internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina (Archivbild).

Christian Schmidt, der Hohe Beauftragte der internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina (Archivbild).

Brüssel. Christian Schmidt (64) ist Hoher Beauftragter der internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina und nimmt am EU-Westbalkangipfel am Mittwoch in Slowenien teil. Der CSU-Politiker ist seit August im Amt. Er ist zuständig für die zivile Seite des Dayton-Abkommens. Damit wurde 1995 der Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina beendet. Schmidt hat viel Macht. Er kann Amtsträger in der früheren jugoslawischen Teilrepublik absetzen.

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Herr Schmidt, wagen Sie eine Vorhersage: Wann wird Bosnien-Herzegowina Mitglied der EU sein?

Manche, auch sehr proeuropäische bosnische Politiker sprechen vom Jahr 2030 für alle sechs Westbalkanstaaten. Ich verstehe die strategische Ungeduld. Ich halte das für sehr ambitioniert, denn die Beitrittsreife der einzelnen Länder ist doch sehr unterschiedlich. Deswegen nennen die Staats- und Regierungschefs der EU in der Abschlusserklärung ihres Gipfeltreffens am Mittwoch in Slowenien wohl auch kein genaues Datum. Es wird nicht ohne Zwischenstufen gehen.

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Fühlen sich die Menschen in Bosnien-Herzegowina von der EU im Stich gelassen? Seit bald 20 Jahren wird ihnen ein Beitritt avisiert, aber passiert ist wenig.

Die Menschen beginnen, ungeduldig zu werden. Aber es ist durchaus etwas geschehen. In den Jahren 2015 und 2016 ist ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen worden. Das Problem liegt im Übrigen weniger auf Seite der EU, sondern in den Strukturen in Bosnien-Herzegowina.

Was meinen Sie damit?

Das politische System ist kompliziert. Die Vertreter der bosnischen Serben, bosnischen Kroaten und bosnischen Muslime kommen zu keiner gemeinsamen Entscheidung. Das war schon mal besser. Die Politiker in Bosnien-Herzegowina müssen sich endlich zusammenraufen. Sonst wird die Annäherung an die EU weiter auf die lange Bank geschoben.

Kann es wieder zum Krieg kommen, weil sich die Vertreter der Volksgruppen misstrauisch beäugen?

Mein persönlicher Eindruck ist: Die Menschen in Bosnien-Herzegowina pflegen im Alltag einen guten Umgang miteinander. Ich kann das beurteilen, ich bereise die Region seit 30 Jahren und habe das auch noch anders erleben müssen. Das Problem sind jene Kräfte im Land, die von Grenzverschiebungen oder gar der Auflösung Bosnien-Herzegowinas reden. Das ist gefährliches Gerede. Ich sage klar: An der territorialen Unversehrtheit des Landes darf sich nichts ändern. Wir dürfen doch nicht zulassen, dass die Fehler wiederholt werden, die vor 30 Jahren in die Katastrophe geführt haben.

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Merkel mahnt Fortschritte im EU-Beitrittsprozess von Westbalkan an
dpatopbilder - 13.09.2021, Serbien, Belgrad: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, M) geht in Begleitung von Aleksandar Vucic (r), Pr��sident von Serbien, an einer Ehrengarde vorbei. Im Mittelpunkt des zweit��gigen Besuchs in Serbien und Albanien stehen nach Angaben der Bundesregierung ��Fragen der regionalen Zusammenarbeit��. Foto: Marko Drobnjakovic/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die Kanzlerin spricht über ein „absolutes geostrategisches Interesse” der EU in dieser Region.

In der EU gibt es Staaten wie Deutschland, die eine Erweiterung der Union unterstützen, aber eben auch Staaten wie Frankreich, die sehr zurückhaltend sind. Was muss in Bosnien-Herzegowina geschehen, damit die Kritiker in der EU vom Nutzen einer Erweiterung überzeugt werden?

Es gibt in Bosnien – wie in fast allen Ländern des Westbalkans – Rechtsstaatsdefizite, die dringend behoben werden müssen. Außerdem muss die Blockade der Gesetzgebung aufhören. Ein Beispiel: Mein Vorgänger im Amt des Hohen Repräsentanten hat die Leugnung von Massenmorden und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter Strafe gestellt. Die Folge: Vor allem in der Republika Srpska, dem bosnisch-serbischen Landesteil, wird jetzt aus Protest dagegen jede gesamtbosnische Gesetzgebung blockiert. So kann ein Staat nicht funktionieren und nicht erfolgreich in Richtung EU marschieren. Das ist unverantwortlich.

Und wie sieht es in den anderen Staaten des Westbalkans aus?

Es gibt inzwischen recht gute regionale Kooperationen. Das ist auch ein Erfolg des sogenannten Berliner Prozesses, den Bundeskanzlerin Angela Merkel 2014 angestoßen hat. Serbien, Albanien und Nordmazedonien haben sich auf die Bildung eines Mini-Schengen-Raums geeinigt. Sie wollen Verkehrshindernisse abbauen und die Verwaltungsabläufe im zwischenstaatlichen Umgang vereinfachen. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich auch Bosnien-Herzegowina daran beteiligt.

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Ist eine Mitgliedschaft der Westbalkan-Staaten für die EU überhaupt noch wichtig? Es geht doch auch ohne, wie die letzten 25 Jahre zeigen.

Das sehe ich anders. In den letzten Jahren hat die internationale Gemeinschaft nicht mehr so genau auf den Westbalkan geschaut. Die weit verbreitete Haltung in den EU-Hauptstädten war: Der Balkan kommt sowieso zu uns. Das hat sich nun zum Glück geändert, wie das Gipfeltreffen an diesem Mittwoch zeigt. Die EU, aber auch die USA haben die geostrategische Bedeutung der Region erkannt. Staaten wie China und Russland, aber auch die Türkei wollen auf dem Balkan mitspielen und ihren Einfluss vergrößern. Das ist nicht zum Vorteil der Region. Der Westbalkan gehört zu Europa.

Kann es sich Europa vor diesem geostrategischen Hintergrund noch lange leisten, die Balkan-Länder zappeln zu lassen?

Für mich steht fest, dass die EU dem Westbalkan weiter eine klare Beitrittsperspektive geben muss. Natürlich sind die meisten Staaten in der Region noch lange nicht bereit für einen Beitritt. Aber wir müssen ihnen von EU-Seite auch neue Anreize geben, bis es dann einmal so weit ist.

Was heißt das genau?

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Die Menschen in der Region müssen spüren, dass sie einen Vorteil von der Zusammenarbeit mit der EU haben. Das sind zum Beispiel Straßenbauprojekte und bessere Eisenbahnlinien, die von der EU mitfinanziert werden. Wenn Sie so wollen: Nur mit besseren Straßen und Eisenbahnen geht es für den Balkan Richtung Brüssel.

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