EU-Bericht zur Rechtsstaatlichkeit: Eklatante Mängel in Ungarn und Polen

Mateusz Morawiecki (r.), Premierminister von Polen, begrüßt Viktor Orbán, Premierminister von Ungarn (l.).

Mateusz Morawiecki (r.), Premierminister von Polen, begrüßt Viktor Orbán, Premierminister von Ungarn (l.).

Brüssel. Müssen Rechtsstaatssünder wie Ungarn und Polen künftig damit rechnen, dass sie weniger Geld von der EU in Brüssel bekommen? Das will zwar inzwischen eine Mehrheit der EU-Staaten. Doch ob der Plan aufgeht, ist weiter unklar. Die Fronten sind verhärtet. Der Streit könnte auch den Start des Corona-Hilfspakets in der EU verzögern.

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In der Runde der EU-Botschafter lehnten die Vertreter Ungarns und Polens am Mittwoch in Brüssel erwartungsgemäß einen Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab. Die Regierungen in Budapest und Warschau weisen seit Jahren die Vorwürfe der EU-Kommission zurück, wonach sie gegen Grundwerte der Union verstoßen, weil sie ihre Justizsysteme umbauten und Druck auf Medien ausübten.

Der Mehrheitsbeschluss vom Mittwoch ist brisant, weil Ungarn und Polen mit einer Blockade von wichtigen Entscheidungen zum langfristigen Gemeinschaftshaushalt drohen, sollte der neue Rechtsstaatsmechanismus eingeführt werden. Das könnte dazu führen, dass das geplante Corona-Konjunkturprogramm in Höhe von 750 Milliarden nicht am 1. Januar 2021 starten kann.

Bericht zeigt eklatante Mängel bei Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen auf

Die Vorwürfe gegen Ungarn und Polen finden sich auch im ersten sogenannten Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit, den die EU-Kommission am Mittwoch vorstellte. Darin analysiert die Behörde systematisch den Zustand von Gewaltenteilung, Medienvielfalt und der Unabhängigkeit der Justiz in allen 27 EU-Staaten.

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Demnach weist die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen eklatante Mängel auf. Die Brüsseler Behörde kritisiert in dem Report Versuche, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden, und beklagt staatlichen Druck auf Medien und jene Teile der Zivilgesellschaft, die der Regierung kritisch gegenüberstehen. Auch müsse der Kampf gegen die Korruption verstärkt werden.

Der Rechtsstaats-TÜV wurde auch eingeführt, weil sich andere Instrumente der EU bislang als wenig wirksam erwiesen haben. So laufen gegen Ungarn und Polen wegen mutmaßlicher Verletzung von EU-Grundwerten bereits Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Diese kommen seit Jahren aber kaum voran.

Vermittlungsversuch nur teilweise erfolgreich

Zudem soll der jährliche Bericht auch als Grundlage für die Entscheidung dienen, ob Mitgliedsstaaten weniger Geld aus Brüssel erhalten. Zunächst müssen sich allerdings die EU-Mitgliedsstaaten untereinander einigen, welchen Schärfegrad der Rechtsstaatsmechanismus bekommen soll.

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Zwar versuchte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, den Streit mit einem Kompromissvorschlag zu entschärfen. Dabei kam sie Ungarn und Polen entgegen. Demnach sollte es für die Kürzung von Zuwendungen nicht mehr ausreichen, wenn generell Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien festgestellt würden. Künftig sollten nur solche Verstöße in den einzelnen Ländern geahndet werden, die einen “direkten Einfluss” auf die EU-Finanzen haben.

Doch der Vermittlungsversuch war nur teilweise erfolgreich. Ungarn und Polen lehnen die Idee weiter ab. Und den Regierungen in den Niederlanden, Finnland, Schweden, Dänemark und Belgien geht der deutsche Kompromissvorschlag nicht weit genug. Auch das Europaparlament muss seine Zustimmung erst noch geben. In den nächsten Wochen sind also hitzige Debatten zu erwarten.

Der deutsche Kompromissvorschlag zum Rechtsstaat ist schwach.

Daniel Freund, Europaabgeordneter der Grünen

Der deutsche Vorschlag mache es praktisch unmöglich, Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien nachzuweisen, monieren Kritiker. “Es ist mir unverständlich, warum die deutsche Ratspräsidentschaft in ihrem Kompromiss derart starke Zugeständnisse an beide Staaten gemacht hat. Der deutsche Kompromissvorschlag zum Rechtsstaat ist schwach”, sagte der Europaabgeordnete der Grünen, Daniel Freund, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Bundeskanzlerin Angela Merkel habe im Juli im Europaparlament die Einhaltung der Grundwerte noch zur obersten Priorität erklärt, sagte Freund. “Davon ist jetzt nichts mehr übrig.” Es brauche aber dringend “einen Rechtsstaatsmechanismus, der wirkt”.

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Ähnlich äußerte sich die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD). Es müsse eine wirksame Bindung von EU-Mitteln an die Einhaltung der Grundwerte geben. Barley sagte: “Es ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln, dass sich Antidemokraten mit europäischem Geld die Taschen vollmachen.”

Richterbund: Wirksamer Rechtsstaatsmechanismus gebraucht

Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, nannte die Einführung eines jährlichen Prüfberichts zur Rechtsstaatlichkeit zwar einen großen Fortschritt für die EU, weil sie so Verstöße gegen ihre Grundwerte in einzelnen Ländern klar benennen könnte. Allerdings würden Berichte und Appelle allein Länder wie Polen oder Ungarn kaum beeindrucken.

“Es braucht einen wirksamen Rechtsstaatsmechanismus mit scharfen Zähnen, um notorischen Rechtsstaatssündern notfalls auch EU-Gelder streichen zu können”, sagte Rebehn dem RND. "Wenn Regierungen die Unabhängigkeit der Justiz, die Gewaltenteilung und die Medienfreiheit in ihren Ländern mit immer neuen Gesetzen untergraben, muss Brüssel dem mit aller Entschlossenheit entgegentreten.”

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