„Der Tag“

Es wird wieder kalt an Europas Außengrenzen

Ein polnischer Soldat bewacht in der Nähe des Ortes Usnarz Gorny die EU-Außengrenze zu Belarus.

Ein polnischer Soldat bewacht in der Nähe des Ortes Usnarz Gorny die EU-Außengrenze zu Belarus.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

der Winter, er hat Europa wieder im Griff. Und wie in jedem Jahr wird in der kalten Jahreszeit auch die Situation an Europas Außengrenzen schwieriger – und das Leid der Menschen, die dort ausharren, mitunter größer. Dass die litauische Innenministerin Agne Bilotaite gestern mitteilte, dass in ihrem Land derzeit nur noch rund 250 von 4200 Migrantinnen und Migranten verblieben sind, die im vergangenen Jahr aus dem benachbarten Belarus illegal die Grenze des baltischen EU-Landes überquerten, klingt zwar zunächst so, als habe sich die Situation etwas beruhigt. Doch zur bitteren Wahrheit der litauischen Parlamentsmitteilung gehört auch: Das EU-Land hat die Fluchtroute über Belarus praktisch dichtgemacht. Und zwar mithilfe eines vier Meter hohen Zaunes und spiralförmigen Stacheldrahts. Wer es dennoch schafft, diesen zu überwinden, der wird – wenn der Grenzschutz ihn aufgreift – zurückgedrängt in die belarussischen Wälder. Polen tat es Litauen gleich und errichtete ebenfalls eine sogenannte „physische Barriere“. Erst vor wenigen Wochen hatte die Bundestags­vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt an der polnisch-belarussischen Grenze an ebendiesem meterhohen Zaun gestanden. Die Grünen-Politikerin sagte dazu, das sei unwürdig. Das könne man so nicht lassen.

Schließlich war die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg und Verfolgung fliehen, noch nie so hoch wie heute. Der Mid-Year Trends Report des UNHCR berichtet von 103 Millionen Geflüchteten weltweit. Im Vergleich zum Winter 2021 sind das 13,6 Millionen Menschen mehr – ein Anstieg von 15 Prozent.

Doch was bedeuten diese Zahlen für Europa und Deutschland? „Einerseits sind seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar etwa eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Sie werden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – pauschal als Kriegsflüchtlinge anerkannt und müssen kein Asylverfahren durchlaufen“, wie meine Kollegen in ihrem großen Report zu Flüchtlingsrouten und ‑zahlen schreiben. Der Krieg gegen die Ukraine, er hat die Zahlen der weltweit vertriebenen Menschen in diesem Jahr in die Höhe schnellen lassen. Doch auch aus anderen Ländern und über andere Routen fliehen Menschen nach Deutschland.

Eine Sprecherin der Bundespolizei erklärt auf RND-Anfrage, es gebe vor allem drei Fluchtrouten nach Europa, die derzeit relevant seien. Die sogenannte ostmediterrane Route über die Türkei nach Griechenland, Bulgarien und Zypern sowie von dort über die Balkanstaaten. Dann die zentralmediterrane Route über Libyen und Tunesien nach Italien und die westmediterrane Route über Marokko und Algerien nach Spanien.

Gegenüber dem Vorjahr habe die Zahl der illegalen Grenzübertritte in die EU mit 281.000 um 77 Prozent zugenommen. Geht es um illegale Einreisen nach Deutschland, so hat die Bundespolizei vor allem die südlichen Grenzen zur Schweiz und Österreich sowie die östlichen zu Tschechien und Polen im Fokus, wie meine Kollegen berichten. 70.814 Menschen gelangten von Januar bis Oktober 2022 so nach Deutschland. Ein Jahr zuvor waren es noch 45.264 Frauen, Männer und Kinder. Die Bundespolizei reagiert darauf mit „Maßnahmen der verstärkten Binnengrenzfahndung“ – so heißt das im Behördendeutsch. In der Praxis werden meist in Grenznähe Kontrollstellen eingerichtet, Autos rausgewinkt, Personalien überprüft.

Und wie reagiert die Politik beziehungsweise Europa, das seit Jahren über eine gemeinsame Asylpolitik und die gerechte Verteilung von Geflüchteten streitet? Es erfand im Sommer unter französischer Ratspräsidentschaft einen freiwilligen Solidaritäts­mechanismus. Dieser sollte all jene Länder unterstützen, in denen viele Bootsflüchtlinge ankommen – also beispielsweise Italien. Deutschland hatte sich bereit erklärt, über diesen Mechanismus binnen eines Jahres freiwillig 3500 Asylsuchende aufzunehmen. Bis Ende November wurden laut EU-Kommission allerdings europaweit grade einmal 117 Geflüchtete umverteilt. Die Zahl offenbart: Der Weg hin zu einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik ist möglicherweise weiter denn je.

Brüsseler Nächte sind lang

Turnusmäßig treffen sich heute in Brüssel die Staats- und Regierungschefinnen und ‑chefs der EU zu ihrem Dezembergipfel. Anders als geplant wird dieser aber nur einen Tag dauern. Man kann also jetzt schon davon ausgehen, dass er mal wieder in einer Nachtsitzung enden wird. Alles andere wäre ja auch kein richtiger EU-Gipfel. Denn nachdem sich die EU-Energieministerinnen und ‑minister am Dienstag erneut nicht auf einen Preismechanismus beim Thema Gas einigen konnten – unter anderem aufgrund der deutschen Vorbehalte –, wird das Thema jetzt auf die Chefebene gehoben. Bundeskanzler Olaf Scholz nahm bereits in seiner Regierungserklärung am Mittwoch im Bundestag die deutsche Haltung vorweg: „Einfache Sofortlösungen gibt es nicht. Zum Beispiel können wir nicht so in Preise eingreifen, dass dann zu wenig Gas nach Europa geliefert wird.“

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Zitat des Tages

Kein einziger von Putins Plänen ist aufgegangen.

Olaf Scholz,

Bundeskanzler

 

Leseempfehlungen

Sind die jetzt alle kriminell? Nach den bundesweiten Durchsuchungen bei Klimaaktivisten hat sich RND-Autorin Hannah Scheiwe erklären lassen, was den Klimaaktivisten juristisch droht und welche Voraussetzungen für die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ vorliegen müssen.

­Löwenbabys allein im Zug nach Odessa: In der Ukraine führt der illegale Handel mit Wildtieren im Krieg zu Problemen – plötzlich stromern etwa Löwen nach Angriffen durch Städte. Drei Babylöwen, die einfach in einen Zug gesetzt wurden, hat die Tierschutzorganisation IFAW aus dem Land gerettet. Die Mitarbeiterin Meredith Whitney berichtet RND-Redakteurin Hannah Scheiwe davon.

 

Aus unserem Netzwerk: Priesternachwuchs

Nachwuchskräfte sind rar gesät in der katholischen Kirche. Der 20 Jahre alte Lukas Klimke ist einer der wenigen jungen Männer im Erzbistum Paderborn, die das Priesterseminar besuchen, wie die „Siegener Zeitung“ berichtet. Was sind seine Beweggründe? (+)

 

Termine des Tages

EU-Gipfel: Thema sind Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Energiekrise und die wirtschaftliche Lage, Sicherheits- und Verteidigungspläne sowie die Beziehungen zur südlichen Nachbarschaft.

Neue Regierung in Dänemark soll präsentiert werden: Nach der Einigung auf ein breites Regierungsbündnis in der politischen Mitte will die seit 2019 regierende Sozialdemokratin Mette Frederiksen ihr neues Kabinett vorstellen.

 

Wer heute wichtig wird

„Aufwieglerisch“ nannte die „Times“ den Trailer für den zweiten Teil der Netflix-Doku „Harry & Meghan“, die der Streamingdienst ab heute ausstrahlt. Und auch wenn die Beliebtheit des Paares laut einer Umfrage des Meinungs­forschungs­institutes YouGov weiter absackte, darf sich Netflix mit Sicherheit erneut auf hohe Zugriffszahlen freuen.

„Aufwieglerisch“ nannte die „Times“ den Trailer für den zweiten Teil der Netflix-Doku „Harry & Meghan“, die der Streamingdienst ab heute ausstrahlt. Und auch wenn die Beliebtheit des Paares laut einer Umfrage des Meinungs­forschungs­institutes YouGov weiter absackte, darf sich Netflix mit Sicherheit erneut auf hohe Zugriffszahlen freuen.

 

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Wir wünschen Ihnen einen guten Start in den Tag,

Ihre Nora Lysk

 

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