Von Russland angegriffenes Land

Informiert und leidenschaftlich: die Ukraine-Versteher

Rebecca Harms 2019 bei einem Parteitag der Grünen.

Rebecca Harms 2019 bei einem Parteitag der Grünen.

Berlin. „Es ist immer auch ein bisschen zufällig, an welchem Land das Herz haften bleibt“, sagt Rebecca Harms am Telefon, daheim im niedersächsischen Wendland. Im Fall der langjährigen grünen Europaabgeordneten war das Land die Ukraine. Vor nun bald einer Woche wurde es auf Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin von dessen Armee angegriffen. Das sei „ein Moment, der die Zeit teilt“, sagt Harms – in ein Vorher und ein Nachher.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ralf Fücks, früher Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und heute des von ihm mit gegründeten Zentrums Liberale Moderne, geht es ähnlich. Täglich kommuniziert er mit Menschen in der Ukraine, neun Mitarbeiter des Zentrums kommen von dort. Manche, mit denen sie kommunizieren, kämpfen jetzt in der Armee, andere sitzen in Bunkern.

„Deutschland zahlt einen Preis“

Während in Deutschland ein Netzwerk von eher Putin-nahen Politikern gewachsen ist, das sich über Altkanzler Gerhard Schröder, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (beide SPD) und den sächsischen Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) bis zur einstigen Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht erstreckt, sind Harms, Fücks und dessen Frau, die frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, das ebenso informierte wie leidenschaftliche Gegenmodell dazu.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Sie sei 1988 erstmals in die Ukraine gefahren – das war zwei Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl – und seither weit über 50-mal, sagt Harms. Die 65-Jährige hat die Unabhängigkeit 1992 ebenso begleitet wie später die Demokratisierung des Landes. Sie sagt: „Die Ukraine ist ein sehr gastfreundliches Land und eines mit einer sehr reichen Kultur.“ Heruntergewirtschaftet zu Sowjetzeiten, habe es sich seither bewundernswert entwickelt.

Dabei macht die einstige Parlamentarierin der deutschen Politik schwere Vorwürfe. Sie beklagt „Naivität ohne Abschreckungsbereitschaft“. Mehr noch: „Schröder hat sich verkauft“, sagt Harms. Und die von Schwesig gegründete angebliche Klimastiftung zur Unterstützung der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2, die die Sozialdemokratin jetzt auflösen will, sei „ein Tarnmanöver, wie man es in der Politik selten erlebt hat“. Für all das zahle auch Deutschland heute „einen Preis“.

Harms sagt im Übrigen: „Ich möchte die jüngsten Entscheidungen über Sanktionen nicht schmälern. Sie waren überfällig. Ich wünsche mir aber, dass sie konsequent durchgehalten werden. Die Unterstützung für die Ukraine darf nicht nur einmal robust sein. Sie muss robust bleiben.“

Fücks war 2014 auf dem Maidan in Kiew und in der von russischen Separatisten besetzten Ostukraine. „Seitdem ist die Ukraine für uns ein großer Schauplatz für die Auseinandersetzung zwischen Autoritarismus und Demokratie“, sagt er.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Marieluise Beck, die während der jüngsten Bundestagsdebatte zur Ukraine neben dem einstigen Bundespräsidenten Joachim Gauck saß, wollte mit anderen in Odessa ein Denkmal für die ermordeten Juden errichten. Die Arbeiten hätten gerade erst begonnen, sagt ihr Mann. Daraus wird nun vorerst nichts mehr. Das Zentrum Liberale Moderne betreibt dafür unverändert eine Website: „Ukraine verstehen“.

„Lage spitzt sich zu“: Tausende Ukrainer flüchten nach Lwiw – Versorgung wird knapp

In Lwiw im Westen der Ukraine kommen seit dem Beginn der russischen Angriffe viele Binnenflüchtlinge an. Über die Lage vor Ort berichtet Reporter Cedric Rehman.

„Das macht mich fassungslos“

Über die deutschen Debatten zwischen der Annexion der Krim 2014 und dem Kriegsbeginn sagt Fücks: „Es hat sich enorm viel verändert. Damals herrschten gegenüber der Ukraine eine kühle Distanz und ein großrussischer Blick auf das Land als Pufferstaat, es kursierten Zerrbilder der Verhältnisse.“ Dies sei einem empathischen Blick gewichen. Dann fährt er fort: „Da schwanke ich zwischen dem Wort ‚endlich‘ und der Verzweiflung darüber, dass es so spät kommt. Das macht fassungslos.“

Viele ehemalige oder noch aktive Politiker sagen heute, sie hätten den Krieg nicht kommen sehen. Auf Rebecca Harms, Ralf Fücks und Marieluise Beck trifft das ganz gewiss nicht zu.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken