Es braucht mehr als eine Verlängerung des Lockdowns
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Im Frühjahr stand das Land wirklich still. Der aktuelle Lockdown wird unterlaufen.
© Quelle: Rene Traut/dpa
Es ist ernüchternd: Das Land ist seit zwei Wochen im harten Lockdown und die Kurve mit den Zahlen der Neuinfektionen will sich einfach nicht nach unten bewegen. Schon jetzt ist klar, dass, wenn die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am 5. Januar zusammentreten, sie eine Verlängerung der Schutzmaßnahmen beschließen werden.
Es braucht aber mehr als nur eine einfache Verlängerung des Lockdowns. Es muss endlich eine Analyse auf den Tisch, warum Deutschland im Kampf gegen das Virus auf der Stelle tritt. Eine einfache Erkenntnis dabei könnte sein, dass die Gesellschaft insgesamt die Dringlichkeit der Schutzmaßnahmen weniger ernst nimmt.
Im Frühjahr stand das Land tatsächlich für mehrere Wochen still. Nun gibt es einen Lockdown, bei dem zu viele Menschen versuchen, für sich zu viel an Normalität zu wahren: in den öffentlichen Verkehrsmitteln herrscht weiter munteres Treiben, die wenigen Geschäfte, die zum Jahreswechsel geöffnet hatten, waren viel zu voll, und in den Schneegebieten herrscht ein Andrang, als gäbe es keine Pandemie. Auch in vielen Büros werden Abstands- und Hygieneregeln sowie die Maßgabe, möglichst viel Homeoffice umzusetzen, zu wenig beachtet.
Pflegeheime im Fokus
Der Blick muss sich auch auf die Pflegeheime richten: Aus dem Frühjahr wurde die Lektion gezogen, dass man nicht mehr – auch nicht bei hohem Infektionsgeschehen – Menschen sterben lassen möchte, ohne dass sich die Angehörigen verabschieden können. Nun aber werden die Pflegeheime zu wenig geschützt.
Mehr als die Hälfte der Corona-Toten sind Pflegeheimbewohner. So lange die Impfungen noch nicht greifen, müssen in den Heimen mehr und systematische Schnelltests eingesetzt werden. Insbesondere in Regionen, in denen die mutierte, sich schneller verbreitende Variante nachgewiesen wurde, wird es auch strengere Besuchsregeln geben müssen.
So unterschiedlich die Materie auch ist: In der Schulpolitik ist das Problem ähnlich gelagert wie bei den Pflegeheimen. Die Radikalität, mit der im Frühjahr die Bildungseinrichtungen geschlossen wurden, hat sich mittlerweile in ein Mantra gewandelt, dass die Schulen so schnell wie möglich wieder geöffnet werden sollen.
Das ist falsch.
Entscheidend ist nicht, ob die Schulen offen sind, sondern vielmehr, dass der Unterrichtsbetrieb läuft. Für die Jüngeren kann das Präsenz bedeuten, an vielen Schulen können Hybridmodelle funktionieren. Dort, wo digitaler Unterricht möglich ist, sollte er auch genutzt werden. Für Schülerinnen und Schüler, die wegen fehlender technischer Ausstattung, der häuslichen Verhältnisse oder aus anderen Gründen benachteiligt sind, bedarf es unbedingt besonderer Hilfen.
Zu viele private Kontakte
Der schwierigste Bereich sind die privaten Kontakte. Bund und Länder haben dazu strenge Vorgaben gemacht. Die Infektionszahlen legen nahe, dass die Regeln von weiten Teilen der Bevölkerung unterlaufen werden. Dieses Problem kann der Staat nicht lösen, der sonst so allgegenwärtig unseren Alltag in der Pandemie dominiert. Für die Disziplin im Privaten ist jeder selbst verantwortlich.
Wo große Privatpartys gefeiert werden, kann die Polizei anrücken. Wenn aber bei Familienfeiern oder Geburtstagen zwölf statt fünf Leute zusammenkommen und wenn die privaten Kontakte täglich bunt wechseln, ist der Staat machtlos. Die Behörden können und sollen nicht in den Wohnzimmern der Bürger schnüffeln.
Die Einschränkung im Privaten wird nur durch Einsicht und Eigenverantwortung funktionieren, wovon zurzeit offensichtlich zu wenig vorhanden ist. Die Quittung dafür zahlen alle – die Kinder mit eingeschränkter Schulbildung, die Selbstständigen mit geschlossenen Geschäften, die Künstler mit fehlenden Auftritten und die Alten mit dem Tod.