Eritrea: das Nordkorea Afrikas
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Der eritreische Präsident Isayas Afewerki (rechts) und der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed.
© Quelle: picture alliance / AA
Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit – so heißt die Partei des Diktators Isayas Afewerki, der seit 1993 das ostafrikanische Land Eritrea regiert. Der pathetische Name seiner Partei entspricht nicht der Realität: Im dem Küstenstaat am Horn von Afrika ist nur die Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit erlaubt – und seit der Unabhängigkeit von Äthiopien im Jahr 1993 hat es keine nationale Wahlen in Eritrea gegeben. Gerecht und demokratisch geht es in Afewerkis Land, in dem circa fünf Millionen Menschen leben, also nicht zu.
Weniger Pressefreiheit als in Nordkorea
Nur wenige Informationen gelangen heraus, weswegen das Land auch als Blackbox oder Nordkorea Ostafrikas gilt. Im April 2021 wurde es erneut auf den letzten Platz im Pressefreiheitsranking gewählt – sogar hinter der Diktatur Nordkorea. Die für das Ranking zuständige Organisation Reporter ohne Grenzen erklärte: „Eritrea hüllt sich noch immer in Schweigen über den Verbleib von elf Journalisten, die vor 20 Jahren verhaftet wurden und über deren weiteres Schicksal kaum etwas bekannt ist.“ Doch nicht nur Journalistinnen und Journalisten fürchten in Eritrea um ihre Freiheit.
Vor allem die Militärausbildung und der Staatsdienst sorgen für große Verzweiflung in der Bevölkerung – und für die Flucht von Hunderttausenden. Doch was steckt dahinter? Der Ostafrika-Experte Magnus Treiber, Professor an der Ludwig-Maximilian-Universität München, erklärt im RND-Interview: „Der Nationaldienst wurde noch während des Unabhängigkeitskrieges gegen Äthiopien in Eritrea geplant und dann in den 1990er-Jahren umgesetzt.“ Damals sei es es darum gegangen, eine Nation zu bilden. „Zunächst war die Militärausbildung auf sechs Monate und der Dienst im öffentlichen Sektor auf ein Jahr beschränkt.“ Dabei blieb es aber nicht: „Im Jahr 2002 nach dem Grenzkrieg wurde der Nationaldienst ins Unendliche verlängert.“
Zwangsarbeit auf unbestimmte Zeit
Das bedeutet Zwangsarbeit auf unbestimmte Zeit – Verweigerung nicht möglich. „Es gibt keine legale Möglichkeit, sich dem Nationaldienst zu widersetzen“, so Treiber. Die Rekrutierung ist besonders dramatisch. So kann es sein, dass man plötzlich in der Schule abgeholt, bei einer Kontrolle mitgenommen oder aus einem Bus gezogen wird. „Das tägliche Leben ist von großer Unsicherheit geprägt. Wenn man morgens aufwacht, weiß man nicht, ob man am Abend ins selbe Bett zurückkehren kann“, erklärt Treiber im Gespräch. Ähnliches geht aus dem Global Slavery Index 2018 hervor: Demnach hat Eritrea die höchste Rate an moderner Sklaverei auf dem afrikanischen Kontinent.
Die Militärausbildung ist trist und traumatisch. „Die Zustände sind sehr einfach und bescheiden“, so Treiber. Manchmal kommt es auch zu sexueller Belästigung oder gar Gewalt: „Manche Frauen erzählen von ungewollten Beziehungen mit Vorgesetzten, in denen ein asymmetrisches Machtgefälle herrscht und es zu ungewollten Schwangerschaften kommen kann.“
Wie kann man sich den Alltag in der Militärausbildung vorstellen? „Die Menschen sollen Askese lernen und in Härte erzogen werden. Es kommt zu Strafen und Schlägen, es wird nächtelang marschiert, Steine werden von links nach rechts und am nächsten Tag wieder zurück transportiert“, sagt der Ostafrika-Experte.
Nationaldienst schwächt Wirtschaft
Sobald sie die Ausbildung absolviert haben, müssen sie für einen Hungerlohn im öffentlichen Sektor – in der Armee, in Schulen oder in Krankenhäusern – arbeiten. Nach der Besteuerung bleiben laut Treiber schätzungsweise umgerechnet 50 Euro im Monat. Ein Betrag, mit dem ein gutes Leben, das Gründen einer Familie oder Hausbau unmöglich ist.
Doch der Wehrdienst zerstört nicht nur die Gesellschaft, er drückt auch die Erträge der Wirtschaft. Es gibt zwar keine genaue Zahlen, aber Magnus Treiber vermutet: „Die Wirtschaft muss im Argen liegen, sie wurde über Jahre ruiniert.“ So gibt es kaum Innovation und der Wirtschaft fehlen Arbeitskräfte, weil diese im Nationaldienst arbeiten müssen. Die meisten Familien werden aus dem Ausland von geflüchteten Verwandten unterstützt. Er erklärt: „Die Existenzen vieler Familien hängen am Erfolg der Flucht der jungen Generation.“
Halbe Million auf der Flucht
Laut des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind in den letzten Jahren eine halbe Million Eritreer aus ihrem Land geflohen. Die meisten der Geflüchteten versuchen im südlichen Nachbarland Äthiopien unterzukommen, manche emigrieren nach Europa und landen in Deutschland. So wurden hierzulande im Jahr 2020 nach Angaben des Bundesamtes für Migration 2561 Asylerstanträge von Eritreern gestellt. Das Bundesamt erklärte dem RND darüber hinaus, dass im ersten Quartal diesen Jahres 673 Erstasylanträge von Eritreern gestellt wurden. Im ersten Quartal 2020 waren es mit 781 Erstanträgen unwesentlich mehr.
Ein Großteil der Asylsuchenden darf vorerst in Deutschland bleiben. Wie die Organisation Pro Asyl dem RND mitteilte, haben im vergangenen Jahr 67,5 Prozent der Antragsteller aus Eritrea einen positiven Bescheid bekommen. Aber: Immer weniger Antragstellern aus Eritrea wird der Flüchtlingsschutz zugesichert, sondern lediglich der subsidiäre Schutz, der laut Pro Asyl „mit einer schlechteren Rechtsstellung einhergeht“.
Diktator mischt in Tigray-Konflikt mit
Am Horn von Afrika kommt nun ein weiterer Konflikt hinzu, der die Region massiv destabilisiert. Die äthiopische Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali hatte nämlich im November 2020 eine Militäroffensive gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) im Norden Äthiopiens begonnen, die bis dahin in der gleichnamigen Region an der Macht war. Hintergrund waren jahrelange Spannungen zwischen der TPLF und der Zentralregierung. Nachdem Äthiopien und Eritrea im Juli 2018 einen Friedensvertrag geschlossen hatten, unterstützt nun auch der Diktator Afewerki Äthiopien mit seinem Heer.
Der Ethnologe Magnus Treiber erklärt: „Abiy Ahmed hat zu wenig Streitkräfte, um den Konflikt in Tigray zu befrieden. Er benötigt die eritreischen Soldaten.“ Das gemeinsame Ziel: Die TPLF zerschlagen. „Vermutlich war die Vernichtung der TPLF von beiden Seiten geplant, die in Äthiopien durchaus korrupt und repressiv, aber im Tigray demokratischer aufgestellt war.“
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Abiy Ahmed ist der Ministerpräsident von Äthiopien.
© Quelle: Mulugeta Ayene/AP/dpa
In dem Konflikt verletzen die äthiopischen und eritreischen Streitkräfte immer wieder Menschenrechte. Es kommt zu sexueller Gewalt, Vergewaltigungen und der Ermordung von Zivilisten. Wie die „New York Times“ berichtet, fehlt es in der Region zunehmenden an Wasser, Medizin und Lebensmitteln. Mehr als eine Million Menschen sind laut den Vereinten Nationen innerhalb der äthiopischen Konfliktregion Tigray bereits auf der Flucht.
Afewerki möchte Sohn zu Nachfolger machen
Wie es nun weitergeht, vermag keiner zu vorauszusehen – der Krieg im Tigray scheint erst mal nicht zu enden. „Die Situation in der Region ist verfahren“, sagt Treiber. Afewerki ist bereits 75 Jahre alt, laut dem Ethnologen hat er seinen ältesten Sohn als Nachfolger ins Spiel gebracht, aber es ist mitnichten versprochen, dass er das auch wird.
Zwar kommt es in Eritrea immer wieder zu „kleinen Protestaktionen“, doch Treiber erklärt: „das ist hochgefährlich.“ Wenn Isayas Afewerki stirbt, sei Gewalt möglich.