Erinnerungen an Washington: Brasiliens Sturm auf die Demokratie
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Anhänger und Anhängerinnen des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro stürmen mehrere Regierungsgebäude in Brasilia.
© Quelle: IMAGO/Fotoarena
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
es ist erschreckend, wie sehr sich die Bilder vom 6. Januar 2021 und vom 8. Januar 2023 ähneln: Hunderte Menschen stürmen Regierungsgebäude, schwenken Fahnen ihrer Nation und zerstören mutwillig, was ihnen in die Quere kommt. Während vor zwei Jahren Anhängerinnen und Anhänger des ehemaligen US‑Präsidenten Donald Trump das Kapitol attackierten, taten es ihnen am Sonntagnachmittag in Brasilia die Gefolgsleute des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro gleich. Somit müssen wir erneut über einen massiven Angriff auf die Demokratie sprechen.
Bereits mehrere Wochen demonstrierten die Bolsonaro-Anhänger und ‑Anhängerinnen vor Kasernen, weil sie das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen, die Luiz Inácio Lula da Silva im Oktober 2022 gewann, nicht anerkennen wollten, und forderten ein Eingreifen des Militärs. Ihr Ziel: Die linke Regierung um Lula, der erst vor rund einer Woche vereidigt wurde, soll wieder aus dem Amt entfernt werden. Sonntagnachmittag gegen 15 Uhr Ortszeit eskalierte die Situation schließlich, als Tausende das Regierungsviertel stürmten und in das Kongressgebäude, den Präsidentenpalast und das Oberste Gericht eindrangen. Dabei zerstörten sie nicht nur Fenster, Türen und wertvolle Gemälde, auch mehrere Abgeordnetenbüros wurden stark beschädigt.
Sturm auf Kongress: Bolsonaro-Anhänger und ‑Anhängerinnen dringen in Regierungsgebäude in Brasilia ein
Tausende Demonstrierende hatten das Parlament und andere Regierungsgebäude zeitweise besetzt und verwüstet.
© Quelle: Reuters
Auch wenn inzwischen rund 1200 Personen festgenommen wurden, steht die Polizei wegen ihrer vermeintlichen Untätigkeit stark in der Kritik. Zwar stellten sich einige Polizisten und Polizistinnen den Angreifenden entgegen und versuchten, die Attacke mit Tränengas abzuwehren, während einige andere weniger entschieden eingriffen und sich mit den Bolsonaristas unterhielten – andere filmten gar lachend das Geschehen. Das hat bereits erste Folgen: Der Sicherheitschef von Brasilia, Anderson Torres, wurde aus seinem Amt entlassen und auch der Gouverneur des Distrikts, Ibaneis Rocha, wurde vom Obersten Gerichtshof für 90 Tage suspendiert – beide sind im übrigen Verbündete Bolsonaros.
Ist Bolsonaro selbst verantwortlich?
Es dauerte daher nicht lange, bis die ersten Vermutungen kursierten, Bolsonaro selbst habe den Aufstand geplant. Zumal der von einigen Medien als „Tropen-Trump“ betitelte Bolsonaro aktuell in Florida weilt – dem Wohnsitz Trumps. Doch der Rechtspopulist wies die Anschuldigungen nach Stunden des Schweigens von sich und verurteilte die Attacke: „Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter“, schrieb er auf Twitter.
Inwiefern Bolsonaro tatsächlich dafür verantwortlich ist oder nicht, ist unklar. Und damit lässt sich eine weitere Parallele zum Kapitolsturm ziehen. Denn auch die Rolle Trumps ist noch immer nicht erwiesen. Erst kurz vor Weihnachten, also fast zwei Jahre später, hat der Untersuchungsausschuss des Kongresses dem Justizminister und Generalbundesanwalt Merrick Garland empfohlen, den Ex-Präsidenten anzuklagen.
Unser Südamerikakorrespondent Tobias Käufer positioniert sich in seinem Leitartikel zu Bolsonaro dennoch klar in der Schuldfrage. „Sie mag juristisch vielleicht schwerer nachweisbar sein, doch politisch ist er eindeutig mitverantwortlich für die dunklen Stunden von Brasilia“, schreibt Käufer. Schließlich hätte er seine Anhängerinnen und Anhänger auch dazu aufrufen können, aufzuhören.
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Zitat des Tages
Man merkt, dass anscheinend unterschätzt wurde, welche Kraft in diesem Ort steckt.
Luisa Neubauer,
Klimaaktivistin
Noch einmal wollen Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen mit gebündelten Kräften verhindern, dass das Dorf Lützerath endgültig geräumt wird. Nach einer Demonstration am vergangenen Wochenende soll am 14. Januar wieder protestiert werden. Die Polizei Aachen teilte gestern auf einer Pressekonferenz mit, dass die Räumungen frühestens ab Mittwoch begonnen werden. Theoretisch wären Räumungsmaßnahmen ab Dienstag möglich gewesen.
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Termine des Tages
Das „Wort des Jahres“ 2022 ist bereits gekürt – es ist das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geprägte „Zeitenwende“. Heute (9 Uhr) wird auch das „Unwort des Jahres“ 2022 im hessischen Marburg bekannt gegeben. Zu den eingegangenen Begriffen gehören einer Jurysprecherin zufolge „Spezialoperation“, „Sondervermögen“, „Gratismentalität“ oder „Klimaterroristen“.
Kanzler Olaf Scholz lädt heute (14 Uhr) zu einem Spitzengespräch zur Zukunft der Autobranche ins Kanzleramt. Am ersten Gespräch der sogenannten Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft sollen Vertreter und Vertreterinnen von Wirtschaft, Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, Wissenschaft, Ländern und Kommunen teilnehmen.
US‑Präsident Joe Biden kommt heute in Mexiko-Stadt mit dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador und dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau zum Nordamerikagipfel zusammen. Die Hauptthemen dort sind nach Angaben des Weißen Hauses Migration, Drogenschmuggel und der Klimawandel.
Wer heute wichtig wird
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Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne legt heute in Paris den Entwurf für eine Rentenreform vor, die in der Bevölkerung höchst umstritten ist. Vorgesehen ist, das Renteneintrittsalter von 62 auf voraussichtlich 64 Jahre zu erhöhen. Ansonsten ließen sich der Sozialstaat und die Rentenzahlungen nicht auf heutigem Niveau aufrechterhalten, argumentiert die Regierung von Präsident Emmanuel Macron. Für viele Menschen in Frankreich ist die Reform ein rotes Tuch. Erste Proteste gegen das wohl wichtigste Vorhaben von Macrons zweiter Amtszeit wurden bereits angekündigt.
© Quelle: Benoit Tessier/Pool REUTERS/dpa
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Ihre Chantal Ranke
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