Rätselraten über Gesundheit: Wie geht es Erdogan?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Athen. Dass eine Zuhörerin oder ein Zuhörer während eines Vortrags einschläft, kommt vor. Dass die Rednerin oder der Redner einnickt, ist eher ungewöhnlich. Passiert ist das vor geraumer Zeit dem türkischen Staatschef Erdogan in einer Ansprache zum islamischen Opferfest. Das Fernsehen übertrug die 13-minütige Grußbotschaft am 21. Juli live aus Erdogans Sommersitz in Marmaris an der türkischen Ägäisküste.

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Im quergestreiften Polohemd sitzt Erdogan an einem Tisch, eingerahmt von zwei türkischen Fahnen. Er liest von einem Teleprompter ab. Der Präsident wirkt müde, seine Sprache ist schleppend. Nach achteinhalb Minuten fallen Erdogan die Augen zu, er nickt kurz ein, fängt sich dann aber wieder.

„Das war kein gutes Bild“, schrieb der Journalist Fatih Altayli im Nachrichtennetzwerk „HaberTürk“. Altayli spekulierte, jemand habe Erdogan vor die Kamera gesetzt, „um ihn schwach aussehen zu lassen“.

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Drei Wochen später: Erdogan stellt sich in einer Liveübertragung den Fragen ausgewählter Journalistinnen und Journalisten. Zufällig kommt der Teleprompter ins Kamerabild. Von ihm liest Erdogan die vorformulierten Antworten ab. „Was ist los mit Recep Tayyip Erdogan?“, fragte die linksgerichtete, regierungskritische Zeitung „Birgün“. Kann der Staatschef, der früher die Massen mit seinen feurigen Reden elektrisierte, nicht mehr frei sprechen?

Die Ära Erdogan gehe zu Ende, meint der in Deutschland lebende türkische Exiljournalist Can Dündar. Der 67-jährige Erdogan, dessen islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) das Land seit Ende 2002 ununterbrochen regiert, wurde allerdings schon oft politisch totgesagt.

2007 wies das türkische Verfassungsgericht einen Verbotsantrag gegen die AKP wegen islamistischer Umtriebe mit ganz knapper Mehrheit ab. 2013 überstand Erdogan massive Korruptionsvorwürfe. Den Putschversuch vom Juli 2016 nutzte er, um seine Macht weiter zu zementieren.

Auch Spekulationen über Erdogans Gesundheitszustand sind nicht neu. 2011 musste er sich einer Krebsoperation unterziehen. 2017 brach Erdogan in einer Istanbuler Moschee zusammen. Im selben Jahr nickte er während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko ein.

Immer häufiger kursieren jetzt im Netz Videos, die Erdogans schleppenden Gang zeigen. Oppositionsmedien schreiben von Diabetes und Blutdruckproblemen, auch von Epilepsie ist die Rede. Erdogan selbst und seine Entourage schweigen zu Fragen nach dem Zustand des Präsidenten.

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Erdogan wirkt nicht nur gesundheitlich angeschlagen. Zwei Jahre vor den regulär 2023 fälligen Wahlen schwächelt er auch in den Meinungsumfragen. Im Durchschnitt von sieben Erhebungen, die im August durchgeführt wurden, kommen Erdogans AKP und die mit ihr verbündete rechtsnationalistische MHP nur noch auf 40,5 Prozent Stimmenanteil.

Die in einer Allianz antretenden Oppositionsparteien CHP und IYI liegen mit 40,6 Prozent hauchdünn vorn. Nach einer Umfrage des angesehenen Instituts Metropoll sind nur noch 38 Prozent mit Erdogans Amtsführung einverstanden. 51,5 Prozent äußern sich unzufrieden.

Die schlechten Umfragewerte spiegeln vor allem die schwierige wirtschaftliche Lage. Die Arbeitslosenquote stieg im Juli gegenüber dem Vormonat von 10,6 auf 12 Prozent. Im August beschleunigte sich die Inflation von 18,7 auf 19,2 Prozent. Die Wirtschaft war einst Erdogans Trumpfkarte. Er galt als „Vater des türkischen Wirtschaftswunders“. 2013 versprach er, das Pro-Kopf-Einkommen, das damals bei 12.500 Dollar lag, bis 2023 auf 25.000 Dollar zu verdoppeln. Tatsächlich ist es seither auf 8548 Dollar gefallen.

Insider berichten, auch in der Regierungspartei AKP gebe es wachsende Zweifel an Erdogans Amtsführung. Als Erdogan noch in der Opposition war, forderte er, Politiker müssten mit 65 zwingend in Rente gehen. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Dass der Staatschef zurücktritt, ist unwahrscheinlich. Verliert er die Macht, muss er fürchten, dass die alten Korruptionsvorwürfe wieder hochkommen.

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