Nahe des Epizentrums

Erdbeben in der Türkei: Debatte über AKW-Bau neu entfacht

Das Kernkraftwerk Akkuyu ist die erste Anlage in der Türkei. Der erste von vier Reaktoren soll im Laufe dieses Jahres ans Netz gehen.

Das Kernkraftwerk Akkuyu ist die erste Anlage in der Türkei. Der erste von vier Reaktoren soll im Laufe dieses Jahres ans Netz gehen.

Nikosia. Das jüngste verheerende Erdbeben in Teilen der Türkei und Syriens hat lokal und im benachbarten Zypern eine langjährige Debatte um ein großes Kernkraftwerk wiederbelebt, das an der südlichen türkischen Mittelmeerküste gebaut wird. Der Ort in Akkuyu, an dem es entsteht, liegt ungefähr 338 Kilometer westlich des Epizentrums des Bebens der Stärke 7,8 am 6. Februar, und die Konstruktion ist darauf ausgelegt, massiven Erdbewegungen standzuhalten. Das vergangene Beben verursachte keine Schäden am Bau, der betreffende Ort erlebte keine mächtigen Erderschütterungen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Aber das schiere Ausmaß des Bebens - dem folgenschwersten in der modernen Geschichte der Türkei - hat die Besorgnis über den Bau eines Kernkraftwerks am Rande eines größeren Erdbebengrabens, der Ostanatolischen Verwerfung, verschärft. Zuständig für das Projekt ist Russlands staatseigener Konzern Rosatom, nach dessen Angaben das Kraftwerk so konzipiert ist, dass es aus einem Erdbeben der Stärke 9 resultierenden „extremen äußeren Einflüssen“ standhalte. Es ist eine Faustregel beim Bau von Atommeilern, dass diese Erderschütterungen überstehen können, die extremer sind als das, was in der Vergangenheit in ihrer Gegend registriert worden ist.

Aktivisten haben Zweifel an Sicherheit

Die Möglichkeit, dass sich ein Erdbeben der Stärke 9 in der Nähe der Anlage in Akkuyu ereigne, bestehe „ungefähr ein Mal alle 10.000 Jahre“, erklärte Rosatom der Nachrichtenagentur AP diese Woche per E-Mail. Das Sicherheitskonzept für den Bau werde entsprechend umgesetzt. Manche Aktivisten bleiben dennoch weiter dabei, dass das Projekt - das erste Kernkraftwerk in der Türkei - eine Bedrohung darstelle. Ein Beamter des türkischen Energieministeriums sagte derweil auf AP-Anfrage, es gebe keine unmittelbaren Pläne zur Überprüfung des Projekts. Er äußerte sich gemäß türkischem Regierungsprotokoll unter der Bedingung, anonym zu bleiben.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Zahl der Toten nach Erdbeben in der Türkei und Syrien steigt auf über 40.000

Es gibt auch gute Nachrichten. Mehr als eine Woche nach der Katastrophe werden noch Überlebende in den Trümmern gefunden.

Atomanlagen werden aus massiv verstärktem Beton gebaut, bei weitem robuster als bei kommerziellen Gebäuden, wie Andrew Whittaker, ein auf Erdbeben-Konstruktion spezialisierter US-Professor an der University in Buffalo sagt. Dass das Kraftwerk nahe dem westlichen Ende der Ostanatolischen Verwerfung entstehe, die mit dem Erdbeben in der vergangenen Woche in Verbindung gebracht wird, lege nahe, dass das Design entsprechend auf seine Widerstandskraft gegen mächtige Erschütterungen hin überprüft worden sei, sagt Whittaker. Dennoch meint er, dass es vernünftig wäre, die seismischen Risikokalkulationen in der Region für alle Arten von Infrastruktur neu zu überprüfen. „Es gibt keinen Grund zur Besorgnis, aber es gibt immer einen Grund zur Vorsicht“, sagt er.

Syrischer Geflüchteter über Bilder aus Erdbebengebiet: „Die Machtlosigkeit tut weh“

Der Syrer Rani Al Ali lebt seit mehreren Jahren in Deutschland und versucht, Kontakt ins Katastrophengebiet zu halten.

Das ist wenig beruhigend für Aktivisten in der Türkei und auf beiden Seiten des ethnisch geteilten Zyperns. Sie haben ihre Rufe nach einer Einstellung des Projekts erneuert, argumentieren, dass das verheerende Erdbeben ein klarer Beweis für die großen Risiken sei, die eine Atomanlage nahe Erdverwerfungen darstellten. In einer Erklärung der Cyprus Anti-Nuclear Platform, einer Koalition von mehr als 50 griechischen, zyprischen und türkisch-zyprischen Umweltgruppen, Handelsvereinigungen und politischen Parteien, wurden Gegner des Projekts dazu aufgerufen, sich zusammenzuschließen und Druck auf die türkische Regierung auszuüben, den Bau zu stoppen.

Der zyprische Europaparlamentarier Demetris Papadakis richtete die Frage an die Europäische Kommission, welche unverzüglichen Schritte sie plane, um das Projekt anzuhalten, das auch eine Gefahr für Zypern darstelle. Der Bauort ist etwa 95 Kilometer von der nördlichen Küstenlinie der Insel entfernt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Erdbebensicherheit ist großes Thema beim Kraftwerkbau

Die Ausgestaltung von Atomkraftwerken weltweit ist darauf abgestellt, Erbeben standzuhalten und sich sicher abzuschalten, sollte es zu stärkeren Erdbewegungen kommen. Der World Nuclear Association zufolge operieren ungefähr 20 Prozent atomarer Reaktoren in Gebieten mit beachtlicher seismischer Aktivität. So befänden sich japanische Atommeiler - etwa das Atomkraftwerk Hamaoka - in Gebieten, in denen Erdbeben mit einer Stärke von bis zu 8,5 möglich sein könnten, so die Vereinigung. Striktere Sicherheitsstandards wurden nach der Katastrophe in Fukushima 2011 eingeführt, als ein Tsunami in die Daiichi-Anlage krachte, was zur Kernschmelze in drei Reaktoren und der Freisetzung gefährlicher Mengen von Strahlung führte.

Die türkischen Atomregulierer erteilten 1978 die Genehmigung für den Bau in Akkuyu, nach acht Jahren seismischer Studien, aber das Vorhaben verlangsamte sich nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986. Der Bau des ersten Reaktors begann 2018. Rosatom zufolge deutet eine türkische behördliche Studie darauf hin, dass der Bauort in Akkuyu in der Erdbebenzone fünften Grades liege, die als die sicherste Region in Sachen Beben gilt.

Das Design schließt eine externe verstärkte Betonmauer und interne Schutzhülle ein, die aus besonders belastbarem Spannbeton besteht, wie der Konzern sagt. Und Russlands modernes Design VVER-1200 beinhalte eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme, einen so genannten Core Catcher (Kernfänger), der in einem Notfall geschmolzenes Kernmaterial einfangen und kühlen kann. Anlagen mit VVER-1200-Reaktoren entsprächen Anforderungen der Internationalen Atomenergiebehörde nach Fukushima, betont Rosatom.

Die Anlage, deren erster von vier Reaktoren später in diesem Jahr ans Netz gehen soll, wird eine Gesamtkapazität von 4800 Megawatt Elektrizität haben, was ungefähr zehn Prozent des türkischen Strombedarfs abdeckt. Das Kernkraftwerk kostet nach Schätzungen umgerechnet 18,7 Milliarden Euro. Rosatom hat einen Anteil von 99,2 Prozent an dem Projekt und ist laut Vertrag für den Bau, Unterhalt und die Stilllegung der Anlage verantwortlich.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

RND/AP

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Top Themen

Deutschland
 
Sonstiges

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken