Oberstes Gericht der USA könnte Weg für Verbote von Abtreibungen freimachen - Biden kündigt Gegenwehr an
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USA, Washington: Menschen versammeln sich am frühen Dienstag, 3. Mai 2022, vor dem Obersten Gerichtshof. Der oberste US-Gerichtshof tendiert offenbar dazu, sein Grundsatzurteil zu Abtreibungen von 1973 zu kippen.
© Quelle: Alex Brandon/AP/dpa
Washington. US-Präsident Joe Biden hat angesichts einer möglichen massiven Einschränkung des Abtreibungsrechts in den USA Gegenwehr angekündigt. Es brauche ein landesweites Gesetz, welches das Recht auf Abtreibung schütze, sagte der US-Präsident am Dienstag. Er wolle sich dafür einsetzen, dass ein solches Gesetz „verabschiedet und unterzeichnet“ werde. Der Oberste US-Gerichtshof dürfe sein Grundsatzurteil zu Abtreibungen von 1973 nicht kippen. „Wir werden bereit sein, wenn eine Entscheidung ergeht“, so Biden. Mit den aktuellen Mehrheiten im Senat können Bidens Demokraten ein solches Gesetz aber nicht ohne Weiteres durchbringen.
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Hintergrund ist ein Entwurf der Urteilsbegründung, der dem Magazin „Politico“ vorliegt und der laut dem Medienbericht im Gericht kursiert. In dem Entwurf bezeichnet der Supreme-Court-Richter Samuel Alito die Rechtsprechung, die als Roe v. Wade bekannt ist, als „von Anfang an falsch“. Kippt der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court die Rechtsprechung, wäre der Weg endgültig frei für schärfere Abtreibungsgesetze bis hin zu kompletten Verboten in den einzelnen US-Bundesstaaten.
Das von „Politico“ am Montag (Ortszeit) veröffentlichte Dokument ist auf den 10. Februar datiert. Unbekannt ist, ob sich der Entwurf seither verändert hat oder es weitere Entwürfe gab. „Politico“ rechnet mit einer endgültigen Entscheidung des Gerichts Ende Juni oder Anfang Juli.
Biden teilte weiterhin mit, er sei der Meinung, dass das Recht der Frau auf Wahlfreiheit von grundlegender Bedeutung sei und dass Roe v. Wade seit fast fünfzig Jahren geltendes Recht sei. Der US-Präsident blickte in seiner Mitteilung auch auf die Kongresswahlen im November dieses Jahres. Es werden an den Wählerinnen und Wählern liegen, Abgeordnete und Senatoren zu wählen, die das Recht der Frau auf Entscheidungsfreiheit unterstützen. Es brauche mehr von ihnen, um schließlich ein entsprechendes Gesetz zum Recht auf Abtreibung zu verabschieden.
Annahme des Entwurfs würde schärfere Abtreibungsgesetze bedeuten
In weiten Teilen des Landes ist es für viele Frauen schon jetzt schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erhalten. Mehrere Bundesstaaten haben im vergangenen Jahr in Erwartung der Aufhebung von Roe durch das Gericht immer restriktivere Gesetze erlassen, mussten aber bisher fürchten, dass die Gesetze vom Supreme Court kassiert werden, weil sie gegen das Grundsatzurteil verstoßen. Roe v. Wade regelt die Möglichkeit, Schwangerschaften bis zur Lebensfähigkeit des Fötus abzubrechen - heute etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche. Ein weiteres Urteil von 1992, das „Planned Parenthood v. Casey“-Urteil, bestärkte die vergleichsweise liberale Rechtsprechung.
„Wir denken, dass Roe und Casey zurückgewiesen werden müssen“, schreibt Alito in dem Dokument, das die Meinung der Mehrheit der Richter wiedergeben soll. Es komme aber vor, dass Richter ihre Meinung ändern, während Papiere im Gericht kursieren und Kontroversen fortgeführt werden, schreibt „Politico“.
Proteste in den USA: Oberster Gerichtshof könnte Recht auf Abtreibung kippen
Ein durchgesickerter Entwurf deute darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof die bisherige Rechtsprechung hierzu aus dem Jahr 1973 kippen werde.
© Quelle: Reuters
Alito schrieb jetzt jedoch, die Frage der Abtreibung müsse den gewählten Volksvertretern überlassen werden. Das würde bedeuten, dass die einzelnen US-Staaten ihr jeweiliges Abtreibungsrecht weitgehend selbst regeln können. Das könnte dazu führen, dass gut die Hälfte der Staaten Schwangerschaftsabbrüche schlicht verbietet. Das wiederum dürfte gewaltige Auswirkungen auf die Wahlen im November haben.
Gemischte Reaktionen bei Gouverneuren und Abgeordneten
Gouverneure und Abgeordnete reagierten nach Berichten der „New York Times“ mit einer Mischung aus Alarm und Jubel, auf den durchgesickerten Entwurf: Kurz nachdem „Politico“ das Leck am Montag veröffentlicht hatte, betonten die demokratischen Gouverneure von mindestens 16 Bundesstaaten, darunter New Mexico, Michigan und North Carolina, dass Abtreibung in ihren Staaten weiterhin legal sei und sie sich dafür einsetzen würden, dass dies auch so bleibe.
Die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul sagte, sie sei „entsetzt“ über den Entwurf. „Ich weigere mich, meine neue Enkelin für die Rechte kämpfen zu lassen, für die Generationen gekämpft und gewonnen haben, Rechte, die ihr garantiert werden sollten“, sagte sie in einer Erklärung und teilte Frauen, die keinen legalen Zugang zur Abtreibung haben, mit, dass der Staat sie „mit offenen Armen empfangen“ werde.
Republikanische Gouverneure lobten hingegen den Inhalt des durchgesickerten Dokuments und erklärten, ihre Staaten würden sich weiterhin für die Reduzierung von Abtreibungen einsetzen.
Gouverneurin Kay Ivey aus Alabama sagte, sie hoffe, dass Roe v. Wade gekippt werde. „Lasst uns heute Abend ein Gebet für das Leben sprechen und dass unsere Richter in ihren Überzeugungen standhaft bleiben“, schrieb sie auf Twitter. „Hier in Alabama werden wir weiter für das ungeborene Leben kämpfen“.
Mehrheit der US-Bürger wollen Abtreibungsrechte nicht einschränken
Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Nachricht, dass eine Mehrheit der Richter für die Aufhebung des Urteils Roe v. Wade und des darin verankerten Abtreibungsschutzes gestimmt hat, versammelten sich am Dienstag laut „New York Times“ bis in die frühen Morgenstunden zahlreiche Demonstranten vor dem Obersten Gerichtshof.
Die Stimmung vor dem Gericht war eine Mischung aus Wut und Trauer. Einige Demonstranten saßen schweigend vor einer langen Reihe von Kerzen, während andere einen wandernden Kreis bildeten und wütende Sprechchöre sangen.
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Umfragen zeigen, dass nur wenige US-Bürger eine Aufhebung des Grundsatzurteils von 1973 befürworten. Vor der Wahl 2020 waren 69 Prozent der Befragten der Ansicht, das Oberste Gericht solle das Urteil von 1973 nicht antasten. Allgemein befürwortete eine Mehrheit, Schwangerschaftsabbrüche in allen oder den meisten Fällen rechtlich zuzulassen.
Die führenden Demokraten im Kongress, die Repräsentantenhausvorsitzende Nancy Pelosi und Senatsmehrheitsführer Chuck Schumer, warnten vor der größten Rechtseinschränkung der vergangenen 50 Jahre. Das gelte nicht nur für Frauen, sondern für alle Amerikaner - falls der „Politico“-Bericht zutreffe. Die republikanische Justizministerin von Mississippi, Lynn Fitch, rief dagegen dazu auf, erst einmal das Urteil abzuwarten.
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USA, Washington: Menschen versammeln sich am frühen Dienstag, 3. Mai 2022, vor dem Obersten Gerichtshof.
© Quelle: Alex Brandon/AP/dpa
Alito: Supreme Court dürfe sich nicht von öffentlicher Meinung beeinflussen lassen
Richter Alito schrieb dazu laut „Politico“, das Oberste Gericht könne die Reaktion der Öffentlichkeit nicht vorhersagen und solle es auch gar nicht versuchen. Es dürfe sich in seiner Arbeit nicht von äußeren Einflüssen wie der öffentlichen Meinung beeinträchtigen lassen.
Die Entscheidungsfindung des Obersten Gerichts ist streng vertraulich und es ist äußerst selten, dass etwas davon an die Öffentlichkeit gelangt, noch dazu in einem so bedeutenden Fall. „Politico“ schrieb, es habe eine Kopie des Meinungsentwurfs von einer mit dem Vorgehen des Gerichts im Fall des Abtreibungsgesetzes in Mississippi vertrauten Person erhalten. Außerdem lägen Einzelheiten vor, die die Echtheit der Kopie bestätigten. Die Nachrichtenagentur AP konnte die Echtheit des Papiers zunächst nicht bestätigen.
Konservative Mehrheit beim Obersten Gericht könnte sich durchsetzen
In den vergangenen Jahren ist eine klare konservative Mehrheit von sechs zu drei am Obersten Gericht installiert worden. Viele konservativ regierte US-Staaten haben zudem strenge Abtreibungsgesetze erlassen, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass das Oberste Gericht das Grundsatzurteil von 1973 kippt, wenn es sich mit diesen Gesetzen befasst. Zu diesen gehören sogenannte Herzschlaggesetze wie das in Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche ab dem Zeitpunkt verbietet, zu dem ein Herzschlag des Fötus festgestellt werden kann. Viele Frauen wissen dann aber oft noch gar nicht, dass sie schwanger sind. In manchen Staaten gilt das Abtreibungsverbot schon ab der sechsten Schwangerschaftswoche.
Dagegen haben 16 liberal regierte Staaten das Recht auf Zugang zu Abtreibungsmöglichkeiten ins Gesetz geschrieben. Auch der Kongress in Washington könnte versuchen, ein liberales Abtreibungsrecht festzuschreiben.
RND/ab/dpa/AP