Einheitskommission: Zu wenig Ostdeutsche auf Führungsposten
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Der Vorsitzende der Einheitskommission, Matthias Platzeck (SPD).
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Berlin. Der Vorsitzende der Regierungskommission “30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit”, Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), hat die fehlende Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen beklagt – nicht zuletzt in Ostdeutschland selbst. In einem Thesenpapier, das Platzeck in der Kommission zur Diskussion stellte und das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, heißt es: “In Ostdeutschland selbst ist knapp ein Viertel der Spitzenpositionen in Politik, Verwaltung, Justiz, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft mit Ostdeutschen besetzt – bei einem ostdeutschen Bevölkerungsanteil von über 85 Prozent.”
Während es in Politik und Wirtschaft besser aussehe, würden Forschungsinstitute in Ostdeutschland etwa nur zu 15 Prozent von Ostdeutschen geleitet. Der Anteil von Ostdeutschen an der Richterschaft in den neuen Ländern liege bei unter 15 Prozent, unter den Vorsitzenden Richtern sogar bei unter zehn Prozent.
Weiter schreibt Platzeck: “Das Nachrücken von Ostdeutschen in Spitzenpositionen vollzieht sich – auf ohnehin niedrigem Niveau – sehr langsam, teilweise geht ihr Anteil sogar zurück. So gibt es mittlerweile in Ostdeutschland keinen einzigen Hochschulrektor mehr mit ostdeutscher Sozialisation. Der Anteil Ostdeutscher in der Richterschaft wiederum ist zwischen 2004 und 2016 nur um ganze zwei Prozent gewachsen.” Blicke man auf Deutschland insgesamt, so zeige sich, dass Ostdeutsche je nach Studie einen Anteil von zwei bis acht Prozent der Führungspositionen einnähmen – und dies bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 17 Prozent.
Teilweise Rückschritte
Auch wenn große Unterschiede zwischen den verschiedenen Sektoren bestünden, sei insgesamt festzustellen, dass Ostdeutschland in kaum einem einschlägigen Bereich entsprechend seiner Bevölkerungsstärke repräsentiert sei, so der SPD-Politiker. Dabei sei in einer freiheitlich-demokratisch verfassten Ordnung “grundsätzlich anzustreben, dass sich die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Gesellschaft in den Führungsgruppen der gesellschaftlichen Teilsysteme angemessen widerspiegeln. Unter anderem davon hängen die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Gemeinwesen und dessen gesellschaftliche Akzeptanz ab.”
Die bessere Repräsentation von Ostdeutschen in Führungspositionen liege “im gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Interesse. Sie würde zusätzliche Identifikation schaffen sowie das Vertrauen in unsere demokratischen und marktwirtschaftlichen Institutionen stärken.”
Platzeck schlägt deshalb vor, im “Bericht zum Stand der deutschen Einheit” alle zwei Jahre die Entwicklung der Repräsentanz von Ostdeutschen darzustellen. Darüber hinaus sollten Bundesregierung und Landesregierungen “in Form einer Selbstverpflichtung” darauf hinwirken, “dass Ostdeutsche besser in den Institutionen Deutschlands repräsentiert werden”.
Ferner müsse “für alle Lösungsstrategien ein ‘inklusiver’ Ostdeutschlandbegriff angewendet werden, der sowohl diejenigen einbezieht, die in Ostdeutschland geboren wurden (unabhängig von der Frage, ob vor oder nach 1989) als auch diejenigen, die bereits lange Zeit in Ostdeutschland leben und arbeiten”.
Vorzug bei gleicher Qualifikation
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung und stellvertretende Kommissionsvorsitzende Marco Wanderwitz (CDU) sagte dem RND, in der Kommission bestehe die “nahezu einhellige Meinung, dass die Repräsentanz derer, die auch eine Ostbiographie haben, zu gering ist”. Bei gleicher Qualifikation sollte darum im öffentlichen Dienst “künftig die Herkunft als Landeskind das entscheidende Kriterium sein. Das ist bisher zu kurz gekommen.” Ziel sei, sagte Wanderwitz, in den Abschlussbericht der Kommission Ende 2020 Empfehlungen zur Lösung des Problems aufzunehmen.
Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sagte, die Kommission diskutiere gegenwärtig “die Folgerungen, die aus solchen, nicht unumstrittenen Befunden, zu ziehen sind”. Das Problem der Unterrepräsentanz bestimmter Gruppen betreffe im Übrigen nicht nur Ostdeutsche, sondern auch viele andere Gruppen.
Die Kommission könne und werde “das Problem weder lösen noch Vorschläge zur Überwindung einbringen können, das übersteigt unsere Kompetenz und den Auftrag”, betonte Kowalczuk. Sie werde “aber Vorschläge unterbreiten, wie wir als Gesellschaft mit der Kultur der Unterrepräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen in ganz Deutschland, die sich im Zuge der Transformation herausgebildet hat, künftig besser umgehen können”.