Eine Impfung mit Burger und Pommes, bitte!
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MY2ZO4Z6IZEA7EPFZDNVSYRHUM.jpg)
US-Präsident Joe Biden stehen herausfordernde Zeiten bevor.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Liebe Leserinnen und Leser,
Sie alle kennen die Szene: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sitzt neben RKI-Chef Lothar Wieler in der Bundespressekonferenz und informiert über die aktuelle Corona-Lage, berichtet über den Impffortschritt und steht Journalistinnen und Journalisten Rede und Antwort. Nun stellen Sie sich vor, er isst dabei einen Burger und Pommes. Und haucht dabei kauend in sein Mikrofon: „Mhm, Impfung!“ Klingt absurd? Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio hat es genau so gemacht.
Wer sich in New York City impfen lässt, bekommt ein Gratisburgermenü dazu. Aktivisten verteilen zudem Joints. Hinter der Burgeraktion steckt eine Kooperation mit der Kette „Shake Shack“. Das Motto: „Get your vax, get your Shack.“ Das liest sich zwar lustig, der Hintergrund ist jedoch ein ernster. Denn Bürgermeister de Blasio und US-Präsident Biden haben ein Problem. Das Impfangebot übersteigt die Nachfrage. In manchen Bundesstaaten deutlich.
Mit Impfanreizen soll der stotternde Motor wieder angekurbelt werden. In Maine müssen etwa Fischer und Jäger nichts für ihre Lizenz bezahlen, wenn sie die Hemdsärmel nach oben krempeln. In West Virginia erhalten junge US-Bürger eine 100-Dollar-Prämie. In New Jersey gibt es Freibier. Wer kein Auto hat, dem verspricht Biden einen kostenlosen Shuttleservice der privaten Fahrdienste Uber oder Lyft. Bei jeder Gelegenheit betont der US-Präsident:
Es ist einfach, es ist bequem, es ist kostenlos.
Joe Biden,
US-Präsident
Der erhoffte Effekt bleibt bisher aus. Berechnungen der Duke University zufolge werden die USA ab Juli auf 300 Millionen überschüssigen Impfdosen sitzen bleiben. Das heißt konkret: Selbst wenn bis dahin jeder US-Bürger eine Spritze bekommen hätte, bleiben noch immer 300 Millionen Dosen über. Und während in Amerika Impfdosen vergammeln, gleichen ärmere Länder wahren Impfwüsten.
In den USA sind mittlerweile 59 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal geimpft. Es ist der bisherige Höhepunkt, der unter Donald Trump angelaufenen Impfkampagne „Operation Warp Speed“. Der Blick über den großen Teich war in den vergangenen Monaten oft ein neidischer. Das Impftempo war spektakulär. Biden hatte dem Virus „den Krieg“ erklärt. Jetzt ist die Wahrnehmung eine andere. Experten verabschieden sich bereits von der Herdenimmunität, die verhindern würde, dass sich das Virus weiterverbreitet. Aus dem ganzen Land kommen Warnhinweise, dass die Impfkampagne ins Hintertreffen gerät – vor allem aus ländlichen Gebieten.
Impfzentren werden abgebaut, freiwillige Helfer gebeten, zu Hause zu bleiben. Der Grund: Es wurden keine Impftermine vergeben, weil es keine Interessenten gibt. Woran liegt das? Hier lesen Sie vier Gründe, warum die Impfkampagne in den USA plötzlich so schleppend läuft:
1. Die Trump-Wähler
US-Medien berichten, dass Impfskeptiker vor allem eine gemeinsame Vorliebe haben: Trump. Mit Mississippi, Louisiana und Alabama haben drei absolute republikanische Hochburgen bisher am wenigsten Menschen immunisiert. Laut einer Umfrage der Monmouth University wollen sich 43 Prozent der Republikaner nicht impfen lassen. Alles, was vom Staat kommt, ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit, schreien Hardliner.
„Ich finde das wirklich außergewöhnlich, denn das sind diejenigen, die immer wieder sagen: ‚Ihr greift in unsere Freiheiten ein, indem ihr uns bittet, Masken zu tragen‘. Der einfachste Weg, dem zu entgehen, ist, sich impfen zu lassen. Es ist fast paradox“, erklärte der Immunologe und Corona-Chefberater des Weißen Hauses Anthony Fauci dem Fernsehsender CBS.
2. Die strenggläubigen Christen
Weltweit kursieren die wildesten Verschwörungserzählungen über Impfungen gegen Covid-19. Bei einer Gruppe bleiben sie besonders haften: weißen evangelikalen Christen. Unter ihnen haben sich Unwahrheiten genauso schnell verbreitet wie das Virus, das in den USA bereits mehr als 580.000 Menschen getötet hat.
Unter den Strenggläubigen hält sich etwa der Mythos, mRNA-Impfstoffe von Pfizer/Biontech oder Moderna enthielten Zellen abgetriebener Föten. Über diesen Irrglauben berichtete die „New York Times“. Der radikale Kern der Glaubensgemeinschaft bezeichnet sich selbst als „christliche Nationalisten“. Sie gehen davon aus, von Gott ausgewählt und über jede Krankheit erhaben zu sein. Hinzu kommt ein tiefes Misstrauen in wissenschaftliche Einrichtungen.
Bekannte konservative Pastoren wie Franklin Graham haben versucht, dem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken. Graham rief seinen knapp zehn Millionen Facebook-Followern zu: Jesus hätte eine Impfung befürwortet. Mit mäßigem Erfolg. Eine Untersuchung des „Pew Research Centers“ hat gezeigt, dass sich fast die Hälfte der 41 Millionen weißen Evangelikalen nicht impfen lassen wollen. Eine wahre Impfbremse.
3. Die „Wait and see“-Gruppe
Mittlerweile von den weißen Evangelikalen abgelöst, bildeten lange Zeit schwarze US-Bürger die demografische Gruppe, die am wenigsten Interesse an einer Spritze gegen das Coronavirus hatte. Sie gehören zur sogenannten „Wait and see“-Fraktion. Erstmal schauen, was mit den anderen passiert. Der Hintergrund auch hier: Misstrauen in das amerikanische Gesundheitssystem. Die Biden-Administration investiert Millionen Dollar, um dieses Vertrauen wiederherzustellen.
Doch woher kommt die Skepsis? Viele US-Bürger haben die Tuskegee-Syphilisstudie im Hinterkopf, wenn sie an die Corona-Impfung denken. Dabei wurden schwarze Männer als Versuchsobjekte missbraucht. Ihnen wurde vorgetäuscht, sie würden gegen die Krankheit behandelt werden. Diese Menschenversuche wurden bis in die Siebzigerjahre durchgeführt. 1997 entschuldigte sich US-Präsident Bill Clinton dafür. Der Anwalt Fred Gray erstritt die Entschädigungssumme von neun Millionen Dollar für die Opfer. Das Misstrauen blieb bis heute.
4. Zugang zu Impfungen
Trumpisten und Impfskeptiker allein, sind jedoch nicht Schuld am stotternden Impfmotor. Vor allem die ländliche Bevölkerung hat oft keinen Zugang zu Impfstoffen. Viele Arztpraxen auf dem Land impfen noch nicht gegen Corona. „Wir müssen unsere Strategie von massenhaft und aggressiv, auf überall und leicht zugänglich umstellen“, erklärt Mandy Cohen, Chefin der Gesundheitsbehörde in North Carolina, der Nachrichtenagentur „Bloomberg“. Impfskeptiker würden sich in einem persönlichen Gespräch mit ihrem Arzt leichter überzeugen lassen.
In den USA dürfte das Motto bald lauten: eindämmen statt ausrotten. Denn die Herdenimmunität scheint außer Reichweite. Immer neue Virusvarianten gefährden zudem den bisherigen Erfolg. Virologen warnen bereits vor einer vierten Welle, wenn es wieder kälter wird. Ein Szenario das auch Europa drohen könnte. Impfzweifler gibt es genug.
Popping up: Die israelkritischen Demokraten
Am Dienstag geriet der Süden Israels wieder unter schweren Beschuss der radikalislamistischen Terrorgruppe Hamas. Auf US-Präsident Biden wächst der Druck als Vermittler. In einer Mitteilung des Weißen Hauses blieb er allerdings hinter Forderungen nach einer sofortigen Waffenruhe zurück. Denn in den eigenen Reihen wächst die Skepsis gegenüber Israel, die humanitäre Notsituation im Gazastreifen rückt dagegen zunehmend in den Mittelpunkt, berichtet die „New York Times“.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/Q5PXQLA5JRE6PGLPI5R77DPK6Y.jpeg)
Alexandria Ocasio-Cortez gehört zum linken Flügel der demokratischen Partei.
© Quelle: Tom Williams/Pool CQ Roll Call/A
Die enge Allianz der Vereinigten Staaten mit Israel solle zwar fortgeführt werden, sagt eine wachsende Zahl von Demokraten in Washington, doch dem Land könne nicht länger ein Freibrief für seine harte Behandlung der Palästinenser gegeben werden. Die prominente Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez warf Biden vor, sich an die „Seite der Besatzung“ zu stellen.
Ihre Kollegin Ilhan Omar sorgte für Entrüstung, als sie israelische Luftangriffe im Gazastreifen „einen Akt des Terrors“ nannte. Die Abgeordnete Rashida Tlaib kritisierte Israels „Angriff“ auf die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem im muslimischen Fastenmonat Ramadan – und fragte via Twitter an die Adresse des Präsidenten: „Wo bleibt die Empörung?“ Zudem nannte sie Israel einen „Apartheidstaat“.
Deep Dive: New York is back!
Dramatischer als andere Metropolen wurde New York vor einem Jahr von der Corona-Pandemie getroffen. Nun gibt das Touristenmekka am Hudson River ein kraftvolles Comeback. Die U-Bahn rattert wieder durch die Nacht, die Restaurants brummen, die ersten Broadwayshows sind ausgebucht – und eine Covid-Impfung gibt es gratis obendrauf.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/YCQAXTFCLFHLZACO54UCWLCTWQ.jpg)
„Wir wollen die Touristen aus Deutschland so schnell wie möglich zurückholen“, sagt Bürgermeisterkandidat Andrew Yang (links) im Gespräch mit RND-Korrespondent Karl Doemens.
© Quelle: Karl Doemens
Unser USA-Korrespondent Karl Doemens berichtet heute über den gigantischen Schritt, den New York jetzt macht: von einem düsteren Ort, wo 32.000 Menschen unter teilweise chaotischen Umständen dem Virus zum Opfer fielen, zu einer auf neue Art strahlenden Metropole. Eine Reportage, aus der Stadt, die nicht mehr schläft.
Late Night
Stand-your-Ground hat zu einer Gesellschaft beigetragen, in der Selbstjustizler mit Waffen entscheiden können, was Sicherheit ist, wer eine Bedrohung darstellt und wie die Strafe aussehen sollte.
John Oliver,
Host von „Last Week Tonight“
In der neuesten Ausgabe von „Last Week Tonight“ widmet sich der Satiriker John Oliver sogenannten „Stand your Ground“-Gesetzen in den USA.
Dieses Gesetz besagt, dass ein US-Bürger tödliche Gewalt anwenden darf, wenn er sein Leben bedroht sieht. Was es damit auf sich hat und warum dieses verwaschene Gesetz Gerichte immer wieder vor Herausforderungen stellt, erklärt Ihnen John Oliver in seiner unnachahmlichen Art. Ein TV-Tipp der Redaktion.
Die nächste Ausgabe von „What’s up, America?“ erscheint am 25. Mai. Bis dahin: Keep calm and get vaxxed!
Ihr Alex Krenn
Abonnieren Sie auch:
Hauptstadt-Radar: Der RND-Newsletter aus dem Regierungsviertel mit dem 360-Grad-Blick auf die Politik im Superwahljahr. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Die Pandemie und wir: Die wichtigsten Nachrichten der Woche, Erkenntnisse der Wissenschaft und Tipps für das Leben in der Krise – jeden Donnerstag.
Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix und Co. – jeden Monat neu.
Der Tag: Wissen, was der Tag bringt: Erhalten Sie jeden Morgen um 7 Uhr das Nachrichten-Briefing vom RedaktionsNetzwerk Deutschland.