Mutmaßlicher Doppelagent beim BND

So groß ist die Gefahr durch russische Geheimdienste in Deutschland

Ein Polizeiwagen steht vor der russischen Botschaft an der Straße Unter den Linden. Die Botschaft ist die Zentrale russischer Geheimdienstaktivitäten in Deutschland.

Ein Polizeiwagen steht vor der russischen Botschaft an der Straße Unter den Linden. Die Botschaft ist die Zentrale russischer Geheimdienstaktivitäten in Deutschland.

Berlin. Es ist das große Schreckensszenario für jeden Nachrichtendienst: Ein Spion in den eigenen Reihen. Und nicht für irgendeine fremde Macht, sondern ausgerechnet für Russland, das einen brutalen Angriffskrieg gegen die auch durch Deutschland unterstützte Ukraine führt. Bereits vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar war Russland Deutschlands größter Widersacher im Wettstreit der Nachrichtendienste.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Deshalb ist das, was dem Bundesnachrichtendienst-Mitarbeiter Carsten L. jetzt von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen wird, besonders alarmierend. Seit Mittwoch sitzt der Deutsche in Untersuchungshaft, er wird dringend verdächtigt, Landesverrat begangen zu haben. Der BND-Mann soll in diesem Jahr Staatsgeheimnisse an einen russischen Nachrichtendienst übermittelt haben. Dabei handele es sich um Informationen „die er im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit erlangt hatte“, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Was für Informationen das sind, wurde nicht bekannt – doch beim BND laufen sensibelste Informationen zusammen, die nicht nur Einfluss auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine, sondern auch auf die nationale Sicherheit Deutschlands haben können.

Dem mutmaßlichen Doppelagenten droht nun eine hohe Haftstrafe. Besonders schwere Fälle von Landesverrat können mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Haft nicht unter fünf Jahren geahndet werden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Schweigen im politischen Berlin

Auch einen Tag nachdem Bundesanwaltschaft und BND die Verhaftung öffentlich machten, blieben die Details des Falls am Freitag weitestgehend unbekannt. BND-Präsident Bruno Kahl hielt sich bedeckt und wollte sich mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht zu Einzelheiten äußern. Und auch einige im politischen Berlin, die meist gut informiert und um öffentliche Kommentare nicht verlegen sind, ziehen es vor, sich zu der Angelegenheit nicht öffentlich zu äußern. Man will nicht spekulieren und vor allem die Arbeit des BND und der Bundesanwaltschaft nicht gefährden.

Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes befindet sich in einem gigantischen Neubaukomplex in Berlin.

Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes befindet sich in einem gigantischen Neubaukomplex in Berlin.

Auch China, der Iran und die Türkei haben es auf Deutschland abgesehen

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gratulierte dem Generalbundesanwalt auf Twitter zur Festnahme des verdächtigen BND-Manns. „Wenn sich der Verdacht bestätigt, ist hier ein wichtiger Schlag gegen russische Spionage gelungen“, schrieb Buschmann. „Das zeigt, wie wachsam wir sein müssen.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Dass deutsche Nachrichtendienste feindliche Spione in den eigenen Reihen enttarnen, ist ein Ausnahmefall. Spionage durch die Dienste anderer Staaten auf deutschem Boden ist jedoch nicht ungewöhnlich. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist in Deutschland für die Spionageabwehr zuständig. Laut Erkenntnissen des Inlandsnachrichtendienstes haben es neben Russland vor allem China, der Iran und die Türkei auf Deutschland abgesehen.

Von russischer Seite sind besonders der Auslandsnachrichtendienst SWR und der Militärgeheimdienst GRU in Deutschland aktiv. Doch auch der Inlandsnachrichtendienst FSB – mit rund 350.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der mit Abstand größte russische Dienst – ist laut Verfassungsschutzangaben in Einzelfällen mit Cyberspionage und Gegenspionage im Ausland befasst. Welchem dieser Dienste Carsten L. Informationen zugetragen haben soll, ist bislang nicht bekannt.

Wladimir Putin schüttelt dem FSB-Chef Alexander Bortnikow die Hand. Auch der russische Inlandsgeheimdienst ist in Deutschland aktiv.

Putins Schnüffler: Wie Russlands Nachrichtendienste in Deutschland arbeiten

Deutschland ist ein wichtiges Aufklärungsziel der russischen Nachrichtendienste. Das hat sich seit dem Mauerfall, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Kriegs nicht grundlegend geändert. Und auch einige der Methoden der russischen Spione sind seit Jahrzehnten im Grunde unverändert. Wie die Dienste SWR, GRU und FSB in Deutschland spionieren.

Die meisten hauptamtlichen russischen Spione in Deutschland sind offiziell Mitarbeiter der russischen Botschaft und der Konsulate – sie arbeiten unter dem Schutz der diplomatischen Immunität. Erst im April 2022 erklärte das Auswärtige Amt 40 Mitarbeiter der russischen Vertretungen in Deutschland wegen geheimdienstlicher Tätigkeiten zu unerwünschten Personen und verwies sie des Landes.

Der Verfassungsschutz kennt längst nicht alle russischen Spione

Die Arbeit der russischen Dienste beschränkt sich jedoch nicht auf solche Botschaftsmitarbeiter. „Die Spione, die dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz bekannt sind, bilden nur die Spitze des Eisbergs“, sagte der frühere BND-Chef Gerhard Schindler dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) im April. Seriöse Aussagen darüber, wie viele russische Spione sich wirklich in Deutschland aufhalten, ließen sich nicht treffen. „Außer den Russen selbst weiß das niemand genau“, sagte Schindler. Neben den Spionen mit diplomatischem Schutz sind angeworbene Informanten etwa in der Wissenschaft, der Wirtschaft oder im politischen Bereich für russische Nachrichtendienste tätig. Experten rechnen zudem damit, dass auch weiter „Illegale“ in Deutschland im Einsatz sind – russische Agenten, die mit einer Tarnidentität über lange Zeiträume im Verborgenen ihren Dienst verrichten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Klar ist: Die ohnehin seit vielen Jahren hohen Aktivitäten der russischen Dienste in Deutschland haben seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine weiter zugenommen. Aus einer schwelenden Systemrivalität zwischen Russland und dem Westen sei ein offener Kampf geworden, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang im Oktober bei der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Deutschen Bundestags. Dadurch verschärften sich auch die russischen Spionageaktivitäten in Deutschland weiter. Er rechne damit, dass russische Spione und Spioninnen in Deutschland künftig noch konspirativer vorgehen, sagte Haldenwang.

In den vergangenen Jahren hatte es bereits spektakuläre Aktionen russischer Geheimdienste in Deutschland gegeben – die über die klassischen Mittel der Spionage teilweise weit hinaus gingen. 2015 drangen russische Hacker in die Computersysteme des Bundestags ein und erbeuteten dort Daten. Deutsche Behörden schreiben den Hack dem russischen Militärgeheimdienst GRU zu. Der GRU wird ebenfalls für den Giftanschlag auf Sergei Skripal 2018 in England und für den Berliner Tiergarten-Mord im Jahr 2019 verantwortlich gemacht.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Top Themen

Deutschland
 
Sonstiges

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken