Der DIHK kämpft ums Überleben – und fürchtet plötzlich die SPD

Der DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Der DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Berlin. Es war eine Entscheidung, die den Deutschen Industrie- und Handels­kammertag (DIHK) in seinen Grundfesten erschüttert hat. Mitte Oktober urteilte das Bundes­verwaltungs­gericht in Leipzig, dass jedes der 3,5 Millionen Kammermitglieder in Deutschland den Austritt seiner regionalen IHK aus dem DIHK verlangen kann, wenn der Dachverband seine Kompetenzen überschreitet – sich etwa zu Fragen äußert, die über die Wirtschaftspolitik hinausgehen.

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Die Grenzen dessen, was aus ihrer Sicht noch Wirtschaftspolitik ist und was nicht, zogen die Verwaltungsrichter ausgesprochen eng. Selbst eine Aussage zu den Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Iran kann laut Urteil des Oberverwaltungs­gerichtes Münster und Bestätigung des Bundesverwaltungs­gerichtes ein Kompetenzverstoß sein.

2016 hatte DIHK-Präsident Eric Schweitzer an einer Delegationsreise des damaligen Bundeswirtschafts­ministers Sigmar Gabriel (SPD) nach Teheran teilgenommen und in einem Interview die Frage gestellt bekommen, ob der Iran ein Partner sei, mit dem man bedenkenlos zusammenarbeiten könne. „Niemand arbeitet bedenkenlos mit dem Iran zusammen“, hatte Schweitzer geantwortet und hinzugefügt: „Gerade für Deutschland ist das Existenzrecht Israels unantastbar. Und die Menschenrechtslage im Iran ist nicht hinzunehmen. Es ist richtig, dass Sigmar Gabriel diese Themen angesprochen hat, auch die Rolle Irans im Syrien-Krieg. Konflikte lassen sich ohne Dialog und wirtschaftlichen Austausch nicht lösen. Meistens funktioniert Annäherung eben über Handel.“

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Klar kompetenzwidrig, urteilten die Richter. Die Äußerungen des Präsidenten hätten „keinen ausreichenden Wirtschaftsbezug“.

Sprachloses Entsetzen im Haus der Wirtschaft

Der Urteilsspruch führte in der DIHK-Hauptgeschäfts­führung zu sprachlosem Entsetzen. Wobei „sprachlos“ in diesem Zusammenhang durchaus wörtlich zu nehmen ist, denn seit dem in Wirtschaftskreisen als „Maulkorburteil“ bezeichneten Richterspruch ist der DIHK als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft weitgehend verstummt. Die Verantwortlichen um Haupt­geschäftsführer Martin Wansleben fürchten, dass jede weitere Äußerung den Kammergegnern neue Munition liefern und den Zerfall des Verbandes beschleunigen könnte.

Ganz unbegründet ist diese Sorge nicht, zumal den Bundes­verwaltungs­richtern trotz der rund 11.000 Einzeläußerungen des DIHK zwischen März 2016 und November 2019 schon elf Kompetenzverstöße ausreichten, um den Zwangsaustritt der IHK Nord Westfalen aus dem Dachverband anzuordnen. Deren Mitglieds­unternehmer Thomas Siepelmeyer, Windkraftprojektierer, Edelsteinhändler und Kammergegner aus Münster, hatte das Verfahren ins Rollen gebracht.

Siepelmeyers Beispiel könnten weitere Kammergegner folgen. Der Bundesverband für freie Kammern hat bereits vier Eilverfahren für den Austritt weiterer Kammern aus dem DIHK angestrengt. Die Angst im Haus der Wirtschaft ist groß, dass auch „Reichsbürger“, Anarchisten oder Berufsquerulanten die Möglichkeit für sich entdecken. Am Ende könne jeder einzelne Troll die unsichere Rechtslage nutzen, um den gesamten Verband lahmzulegen, heißt es in der Wirtschaft. Der DIHK drohe auszubluten.

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Wirtschaftsminister Altmaier will den Verband retten

Als Retter in der Not hat sich Bundes­wirtschafts­minister Peter Altmaier (CDU) angeboten. Dessen Ministerium legte noch im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf vor, der dem DIHK das Überleben sichern soll. Altmaier will den DIHK, der bislang als privatrechtlicher Verein organisiert ist, in das IHK-Gesetz aufnehmen und in eine Körperschaft öffentlichen Rechts umwandeln, aus dem die gesetzlichen Mitglieder – in diesem Fall die einzelnen IHK – nicht mehr austreten könnten. Der DIHK wäre damit gerettet, müsste aber damit leben, künftig unter der rechtlichen Aufsicht des Ministeriums zu stehen und vom Bundesrechnungshof kontrolliert zu werden.

Ende vergangenen Jahres sah es so aus, als könnten sich die meisten Beteiligten mit dieser Idee anfreunden – doch dann trat Nina Scheer auf den Plan. Die SPD-Bundestagsabgeordnete sieht das Kammerwesen in seiner jetzigen Form kritisch, seit Jahren fordert sie die Kammern auf, sich bei wirtschaftspolitischen Aussagen auf den Kernbereich ihrerer gesetzlichen Zuständigkeiten zu beschränken. Was Scheer von dem Gesetzentwurf aus dem Wirtschaftsministerium hält, ließ sie ihre Fraktionskollegen an Heiligabend in einen geharnischten Brief wissen: nichts.

In den Schreiben, das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, wirft die Sozialdemokratin dem DIHK eine „neoliberale Ausrichtung“ sowie Lobbypolitik gegen Arbeitnehmer, die Energiewende und Positionen der SPD vor. „Sollten der DIHK und die ihn unterstützenden Stellen im Wirtschafts­ministerium mit dieser ‚Reform‘ Erfolg haben, würde die rechtswidrige Lobbypolitik des DIHK zukünftig auf gesetzliche Füße gestellt und damit für legal erklärt, verbunden mit einem deutlichen institutionellen Machtzuwachs des DIHK“, schreibt Scheer an die SPD-Abgeordneten. Sie fordert diese auf, die Neuregelung nicht mitzutragen.

Nina Scheer hat keine herausgehobene Funktion in ihrer Fraktion, sie hat es mit ihren Aktivitäten aber geschafft, in der Wirtschaft Nervosität auszulösen. Würde sich die SPD der Rettung des DIHK verweigern?

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Nein, heißt es unter Wirtschafts­politikern der Fraktion. Es gebe ein, zwei Fragen, die noch geklärt werden müssten, aber das befinde sich im Rahmen des in einem Gesetzgebungs­verfahren Üblichen. Teilnehmer der Fraktionsklausur der SPD-Abgeordneten in der vergangenen Woche berichteten dem RND, dass mehrere prominente Sozialdemokraten für eine differenzierte Haltung in der Sache plädiert hätten, darunter Vizekanzler Olaf Scholz, Arbeitsminister Hubertus Heil und der für Wirtschaftspolitik zuständige Fraktionsvize Sören Bartol.

Inzwischen hat ein klärendes Gespräch zwischen Vertretern des DIHK und der SPD stattgefunden, an dem auch Nina Scheer teilgenommen hat. Dabei soll die Mehrheit der Beteiligten versucht haben, die Wogen zu glätten.

Um offene Fragen zu klären, soll der Gesetzentwurf, der sich derzeit in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien befindet, nun eine Woche später als Geplant vom Bundeskabinett beschlossen werden.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hießt es, Nina Scheer gelte als „Gegnerin des Kammerwesens“. Die SPD-Abgeordnete legt Wert auf die Feststellung, dass sie das nicht ist. Vielmehr befinde sie sich „seit Jahren im konstruktiven Austausch mit den Kammern - im Rahmen ihrer Aufgaben“. Wir haben die entsprechende Stelle im Text angepasst.

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