Amerikas neuer Albtraum mit F
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/BZ2DEREWV5AXJEIN3GGHH2C54Q.jpg)
Wer verteidigt hier die USA? Ein Demonstrant trägt das Sternenbanner, die Nationalflagge, durch Tränengaswolken vor dem Gerichtsgebäude in Portland.
© Quelle: AP
Washington. Die Fotografin Kathryn Elsesser aus Portland im US-Staat Oregon ist alles andere als eine politische Aktivistin. Und eine Radikale ist sie schon gar nicht.
Ihr Geld verdient sie mit Werbefotos, zum Beispiel für Wein. Pinot Noir aus Oregon ist rund um den Globus begehrt. Elsesser liefert den Winzern aus der Region Bilder fürs Internet. Da glitzern dann dunkle Trauben in den sonnig-kühlen Traumlandschaften des amerikanischen Nordwestens.
Am 25. Juli diesen Jahres aber geriet Elsesser mitten in ihrer Heimatstadt Portland plötzlich in eine mehr als hässliche Szenerie.
Faschismus fürs Fernsehen?
Soeben hatten sich die seit Langem laufenden Konflikte zwischen Demonstranten der örtlichen “Black-Lives-Matter”-Szene und Spezialkräften des Bundes gefährlich hochgeschaukelt. Elsesser, nebenher auch Freie Mitarbeiterin für die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse, schnappte sich ihre Nikon und zog in die Innenstadt. Wieder einmal roch es dort nach Tränengas.
In Portland gibt es einen kleinen harten Kern Gewaltbereiter, die Flaschen und Steine werfen und mit Blendlasern fuchteln, wenn Polizisten kommen. Präsident Donald Trump wollte diese Konstellation nutzen: Die Entsendung von Bundestruppen sollte fernsehwirksam seine Stärke vorführen – und die Schwäche regionaler Verantwortungsträger.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MXQOBIBI6JGPTHYUSAXGCVPTIY.jpg)
Alles nur eine Show zu Wahlkampfzwecken? Bundesbeamte beim Einsatz in Portland, Oregon.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Als die ersten “Feds” nach Portland kamen, eskalierte prompt die Situation. “Es war, als ob man Benzin ins Feuer gießt”, klagte Oregons demokratische Gouverneurin Kate Brown. Trump war es recht: Die lodernden Kulissen sollten helfen, sein Profil zu schärfen.
Elsesser kannte diese Debatten. Alles nur eine Show zu Wahlkampfzwecken, sagten viele. Faschismus fürs Fernsehen.
“Die haben direkt auf mich gezielt”
Doch etwas war in dieser Nacht anders. Trumps Truppen in Portland nahmen mit ihrer nicht tödlichen, aber schmerzhaften Crowd-Control-Munition auf einmal auch Pressevertreter unter Beschuss – und nichts daran sah nach Zufall aus.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/IGZDONEM3VAY3M57BJVLQ477BY.jpg)
Die Fotografin Kathryn Elsesser.
© Quelle: Privat
“Die haben auf mich gezielt”, sagt Elsesser im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Als ein Gummiprojektil in ihren Oberarm einschlug, habe sie allein auf einem Gehweg gestanden, mit deutlichem Abstand zur nächsten Gruppe von Menschen. Gerade habe sie ein paar Fotos für AFP ins Netz hochladen wollen: “Auf meinem Helm war ein klar erkennbares Presseschild.”
In einer improvisierten Lazarettstation ließ Elsesser die Wunde säubern. Da hörte sie von anderen Reportern, die ebenfalls in dieser Nacht angeschossen wurden, einer nach dem anderen.
Wir dachten, jetzt ist es echt vorbei, jetzt ist unser Land entführt worden.
Kathryn Elsesser, von US-Bundespolizisten verletzte Fotografin aus Portland, Oregon.
Hat das jetzt System? Schießt der Staat von nun an gezielt die Medien von den Straßen weg, damit keine Bilder und Videos entstehen von polizeilichen Übergriffen?
Und wenn ja, was ist das dann für eine Art Staat? Das F-Wort plagt die Amerikaner wie ein Albtraum. Viele wollen es am liebsten gar nicht aussprechen: Faschismus. Und doch ist es auf einmal überall zu hören.
In dieser Nacht, erzählt Elsesser, habe sich bei ihren Freunden ein Gefühl breitgemacht, das über bloße Hilflosigkeit hinausging. Es war wie eine Art Übelkeit: “Wir dachten, jetzt ist es echt vorbei, jetzt ist unser Land entführt worden.”
Als der nächste Tag anbrach, zeigte sich: Ganz so weit war es noch nicht.
In Washington, D.C., hatten die oppositionellen Demokraten schon zuvor die Entwicklungen in Portland genau auf dem Schirm. Man werde es nicht hinnehmen, hatte Nancy Pelosi, Sprecherin des von den Demokraten beherrschten Repräsentantenhauses, schon am 18. Juli gewarnt: “Trump und seine Sturmtruppen müssen gestoppt werden.”
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
In den Korridoren der Macht in Washington sind solche Erklärungen schnell verfasst. Aber was helfen sie konkret einer Fotografin im 3779 Kilometer entfernten Portland, die Schmerzen hat und nicht mehr berichten konnte?
“Ich habe den vermummten Beamten gesehen, konnte ihn aber nicht identifizieren”, sagt Elsesser. Ähnlich ging es Demonstranten in Portland, die nächtens von maskierten Beamten in Minivans ohne Nummernschild geschubst wurden.
Die Truppen folgten einem Befehl von oben. Trump hatte gesagt, seine “Feds” hätten den klaren Auftrag, die Straßen und Plätze zu “dominieren”. Unzählige Male hatte er die Wörter “Law and Order” in seine Tweets geschrieben, in Großbuchstaben.
Unkontrollierbare Kontrolleure, wie eine neue Macht
Statt Recht und Ordnung erlebte Portland das Gegenteil. Plötzlich war zu besichtigen, wie schnell es gehen kann mit der Erosion des Rechtsstaats. Trumps Bundesagenten traten auf wie die Vertreter einer dunklen Macht, die jeden durchleuchtet – aber ihrerseits unkontrollierbar bleibt. Die amerikanische Verfassung zielt schon seit 1776 genau auf das Gegenteil.
Aus dem Ruder lief nicht nur der Polizeieinsatz auf den Straßen von Portland. Das Regie führende Ministerium in Washington, das Department of Homeland Security (DHS), zeigte auch bei internen Abläufen keinen Respekt für verfassungsrechtliche Schranken. Shane Harris, Geheimdienstspezialist der “Washington Post”, beschrieb Anfang August, wie das DHS “intelligence reports” über Journalisten anfertigte – mit Methoden, die einst für Terrorverdächtige entwickelt worden waren.
Es ging also um mehr als nur schöne Chaosbilder für Trumps Wahlkampagne. Die Staatsdiener waren gerade dabei, der freien Presse, diesem empfindlichen Warnvogel in jedem demokratischen Staat der Welt, die Luft abzudrehen.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Für Trump-Anhänger liegt darin etwas Logisches: Journalisten sind laut Trump “Volksfeinde” (enemy of the people) – also darf man sie belauschen und beschießen.
Die Presse wird zur “Lügenpresse”, das Parlament zur “Quasselbude”: Dieses verächtliche Denken wichtigen demokratischen Institutionen gegenüber kann am Ende das gesamte demokratische System kollabieren lassen.
Madeleine Albright, einst Bill Clintons Außenministerin, schrieb schon kurz nach der Trump-Wahl das auch auf Deutsch erschienene Buch “Faschismus – eine Warnung”. Ihre These: Der Faschismus dringt bereits in die Gesellschaft ein, schleichend, “wie eine Schlingpflanze”.
An Amerikas Universitäten ist die Debatte über das F-Wort in vollem Gang. Manche sagen, wer Trump faschistisch nenne, verharmlose den Faschismus; bis zu Mussolini, Hitler oder Pinochet sei es noch weit.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DU5QQKSDFFGAVAWB4EUU34TOXM.jpg)
“Keine neue Bedrohung, sondern eine permanente Versuchung”: Faschismusbücher von Madeleine Albright und Jason Stanley.
© Quelle: privat
Neuerdings aber findet der Yale-Philosoph Jason Stanley immer mehr Anhänger. Ihn beunruhigt vor allem, dass so viele Leute meinen, es gebe keinen Grund zur Beunruhigung. “Faschismus”, sagt er, “ist keine neue Bedrohung, sondern eine permanente Versuchung.” Stanleys Buch gibt es nur auf Englisch. Titel: “How Fascism Works – The Politics of Us and Them” (Wie Faschismus funktioniert – die Politik von “wir” und “die da”).
Ein Notruftelefon gegen Übergriffe des Staates
Zum Glück hält ein großer Teil der Amerikaner immer noch die liberalen Traditionen des Landes hoch, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Es gibt in den USA sogar eine Notrufnummer für den Fall, dass einem die Polizei unrecht tut.
In Portland wählt man einfach die 227-3186. Dann sagt eine Frauenstimme: “Wenn Sie das Gefühl haben, Sie seien in Ihren Rechten verletzt worden, drücken Sie die eins.”
Auch Kathryn Elsesser bekam auf diese Art Hilfe. Die American Civil Liberties Union (ACLU), spendenfinanziert, betreibt seit 100 Jahren Netzwerke zur juristischen Gegenwehr, in allen Bundesstaaten. Sie springt ein, wenn es um Konflikte geht, die sich um Bürgerrechte drehen und um die amerikanische Verfassung.
Über die ACLU in Portland kam Ende Juli eine juristische Gegenwehr in Gang – deren Wucht Trump und seine Dunkelmänner völlig unterschätzten.
Die örtliche Anwältin Kelly Simon sitzt mittlerweile vor einer langen Liste von Verletzten und Geschädigten. Simon ist fest entschlossen, Rechtsverstöße aller Art juristisch ahnden zu lassen: “Hier geht es um die Verteidigung unserer Demokratie.”
Den Fall Elsesser gab sie an Matthew Borden ab, einen auf Schadensersatz spezialisierten Anwalt bei Braun Hagey & Borden in San Francisco. Die Kanzlei hat für kommerzielle Kunden schon Milliardensummen erstritten.
Feige Attacken auf jene, die polizeiliches Fehlverhalten dokumentieren, haben keinen Platz in einer freien Gesellschaft.
Matthew Borden, Rechtsanwalt aus San Francisco, Kalifornien.
Seit drei Wochen hat Rechtsanwalt Borden jetzt das Treiben der Bundesbehörden in Portland im Visier – und seither geraten Trumps Truppen juristisch immer mehr in die Defensive.
Erst verfügte Portlands Bezirksgericht auf Betreiben Bordens, dass die Polizei generell untersagt ist, Zwangsmittel gegen friedliche Demonstranten anzuwenden. Im nächsten Antrag ging es bereits um individuelle Strafandrohungen für einzelne Beamte, die diese Gerichtsverfügung missachteten.
Die örtliche ACLU-Anwältin Kelly Simon triumphierte: “Trumps Bundesbeamte sagen, sie wollen das Gericht in unserer Stadt schützen – nun müssen sie auch die Verfügungen respektieren, die dieses Gericht erlassen hat.”
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Borden ist noch nicht fertig. Er setzte bei Gericht ein ausdrückliches Verbot durch, Medienvertreter unter Beschuss zu nehmen. “Feige Attacken auf jene, die polizeiliches Fehlverhalten dokumentieren, haben keinen Platz in einer freien Gesellschaft”, sagt er dort. Soeben hat er auch noch beantragt, die politische Führung des Heimatschutzministeriums aus Washington persönlich vor Gericht zu laden. Dem Gericht müsse dargelegt werden, warum es so häufig zu Verstößen gekommen sei.
Der Rechtsstaat hat mühsam überlebt
Dies alles sieht nicht gut aus für Trump und seine Leute. Am schlimmsten ist für sie der Eindruck, dass die Lage sich beruhigt hat, seit die “Feds” in Portland einen Rückzug angekündigt haben. Washington nutzt die gesichtswahrende Formel, man werde “die Situation weiter beobachten”.
Im Ministerium für Homeland Security wurde unterdessen der für die Journalistendossiers verantwortliche Unterstaatssekretär Brian Murphy auf einen unwichtigen Posten versetzt. In einem DHS-Memo wurde mittlerweile untersagt, Dossiers über Journalisten anzulegen.
Der Chef des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, der kalifornische Demokrat Adam Schiff, will sich damit nicht zufrieden geben. Ende dieser Woche kündigte er an, er werde “die parlamentarische Überwachung des Heimatschutzministeriums ausweiten”.
Amerikas Rechtsstaat hat die Portland-Krise überlebt. Das hat sich nicht von selbst ergeben. Nichts in den USA ist mehr selbstverständlich nach vier Jahren Trump.