Moskaus Arm ist lang

Die Ukraine: ein Land, zwei Kirchen und der Krieg

Eine Frau zündet Kerzen in der St.-Andreas-Kirche in Kiew an.

Eine Frau zündet Kerzen in der St.-Andreas-Kirche in Kiew an.

Nein, die Sanktionen gegen ihn überraschten ihn nicht, erklärte Andriy Kovalenko auf Telegram. Das Vermögen des Erzbischofs von Saporischschja und Melitopol im Süden der Ukraine wurde eingefroren, Reisen ist ihm verboten worden. Neben Kovalenko wurde auch der Erzbischof von Luhansk und fünf weitere hochrangige Geistliche vom Nationalen Sicherheitsrat der Ukraine mit Sanktionen belegt. Sie gehören der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) an, die lange Teil der Russisch-Orthodoxen Kirche war und auch heute noch mit mehr als 10.000 Gemeinden die mit Abstand größte Religionsgemeinschaft in der Ukraine ist. Sie ist zwar administrativ und finanziell unabhängig, aber weiterhin eng mit der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau verbunden.

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+++ Alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine in unserem Liveblog +++

Die zweitgrößte Kirche des Landes ist die orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU). „Viele Menschen sagen, dass diese eigentlich ihre ukrainische Kirche ist, da sie unabhängig von Moskau ist“, erläutert Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Diese beiden orthodoxen Kirchen konkurrieren in der Ukraine etwa seit 1990 miteinander, so die Expertin für orthodoxe Kirchen in Osteuropa.

Selenskyj: Russland hat 99.000 Soldaten in der Ukraine verloren
16.12.2022, Ukraine, Bachmut: Ukrainische Soldaten feuern eine Pion (M-1975)  Kanonenhaubitze auf russische Stellungen. Foto: Libkos/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die Verantwortlichen in Moskau führten Krieg und „verschwenden Menschenleben“, sagte Selenskyj.

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„Sehr starke Polarisierung innerhalb der Kirche“

Die Nähe zu Russland wurde für die alte und bisher moskautreue UOK mit dem Krieg jedoch zum Problem. „Es gibt eine sehr starke Polarisierung innerhalb der Kirche, aufgrund des Kriegs und der Art und Weise, wie Russland diese Kirche vereinnahmt und für seine Zwecke nutzt“, sagt die ZOiS-Expertin dem RedaktionsnNetzwerk Deutschland (RND). Der Krieg habe die Spannungen zwischen der prorussischen und der proukrainischen Strömung unter den Gläubigen verstärkt.

Ähnlich wie die russische Politik erkennt die Russisch-Orthodoxe Kirche nicht an, betont Elsner, dass die Ukraine sowie die Kirche in der Ukraine und die Gläubigen in der Ukraine selbstständig sind. „Die Russisch-Orthodoxe Kirche sagt, wir beschützen mit diesem Krieg unsere eigenen Gläubigen“, so die Expertin. Wie es den Gläubigen in der Ukraine wirklich geht, danach frage die Russisch-Orthodoxe Kirche jedoch nicht. Denn sonst müsse sie anerkennen, dass die russische Armee ukrainische Gläubige töte und ukrainische Kirchen zerstöre. „Etwa 200 Kirchen, die eigentlich zum Moskauer Patriarchat gehören, sind von russischen Streitkräften zerstört worden“, sagt Elsner.

Außerdem nutze die Russisch-Orthodoxe Kirche ihre Verbindungen zu den Bischöfen und Gemeinden im Osten der Ukraine, um Gläubige zu beeinflussen und ihnen immer wieder zu erzählen, dass Russland und die Ukraine ein Volk seien und nicht getrennt leben dürften. Immer wieder heißt es aus Russland, die Ukraine würde systematisch die Religionsfreiheit einschränken. „Das ist Propaganda, die es schon seit langer Zeit gibt und die bei jeder Gelegenheit wiederholt wird“, stellt Elsner klar. Zwar habe es besonders nach der Gründung der orthodoxen Kirche der Ukraine 2019 einzelne Fälle gegeben, in denen Gemeinden zum Übertritt zu dieser Kirche gezwungen werden sollten oder es Konflikte um Kirchengebäude gab. „Das ist nicht immer gewaltfrei abgelaufen“, sagt auch Elsner. Aber diese Einzelfälle seien in Russland medial sehr aufgeblasen worden – eben um zu demonstrieren, dass die Ukraine die Religionsfreiheit einschränken würde.

Druck auf Selenskyj wächst

Derzeit gibt es großen Druck auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die Arbeit von Gemeinden, Bischöfen und Klöstern dieser Kirche einzuschränken, wenn eindeutig Kollaboration mit Russland nachgewiesen werden kann. Ein vollständiges Verbot ist aber nicht vorgesehen, da eine solche pauschale Verurteilung rechtlich fragwürdig wäre.

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Dabei hatte sich die Kirchenleitung der bisher russlandnahen UOK nach den russischen Angriffen im Februar 2022 deutlich positioniert und versucht, sich von Moskaus Krieg zu distanzieren: Sie stehe loyal zur Ukraine, unterstütze die Souveränität des Landes und kritisierte Russland offen für den Krieg, betonte sie. Gleichzeitig gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Kollaborationen mit den russischen Soldaten, berichtet Elsner. „Einige Bischöfe, Priester und Gemeinden begrüßten die russische Invasion und befürworten den Krieg sogar.“ Sie kennt Fälle, wo militärische Positionen der ukrainischen Truppen an Russland weitergegeben wurden. Es habe auch Spionage durch Kirchenmitglieder gegeben.

Bohdan Ohulschansky ist Priester der orthodoxen Kirche der Ukraine in Kiew.

Bohdan Ohulschansky ist Priester der orthodoxen Kirche der Ukraine in Kiew.

Doch es gibt auch ganz andere Erfahrungen: Ukrainische Priester strichen den Namen des russischen Patriarchen Kyrill aus den Messbüchern, hissten die ukrainische Flagge an Kirchengebäuden und verurteilten in ihren Predigen die russische Gewalt. Einige Gemeinden haben sich vom Moskauer Patriarchat abgewandt. Pfarrer Bohdan Ohulschansky aus Kiew von der jüngeren orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) hat vor zwei Monaten eine dieser bisher mit Moskau verbundenen Gemeinden mit übernommen. Gemeinsame Gottesdienste feiern seine Gemeinden nicht – dafür sind die Unterschiede zu groß. „Aber nichts hindert uns daran, gemeinsam ukrainische christliche Traditionen zu feiern, wie das Singen von Weihnachtsliedern.“ In einigen Regionen der Ukraine gebe es solche gemeinsamen Aktionen bereits. „Wir versuchen, unsere Weihnachtstraditionen aufrechtzuerhalten, auch wenn Krieg ist“, sagt er und bekräftigt: „Der Krieg kann uns nicht unsere Traditionen nehmen.“

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