Die SPD besiegelt den Abschied von Hartz IV – der Union gefällt das gar nicht
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Die SPD-Spitze hat in ihrer Vorstandsklausur unter Führung von Andrea Nahles (Mitte) ein neues Sozialstaatskonzept beschlossen.
© Quelle: Gregor Fischer/dpa
Berlin. Hartz IV – dieses Thema hat die SPD über viele Jahre gelähmt. Am Sonntag hat der SPD-Parteivorstand in einer Klausur in Berlin das Konzept „Sozialstaat 2025“ einstimmig beschlossen. „Wir lassen Hartz IV hinter uns“, sagte Parteichefin Andrea Nahles.
Die wichtigsten Eckpfeiler des Konzepts: Ältere Arbeitslose sollen länger Arbeitslosengeld I beziehen können – auf diese Weise werde das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit gestärkt, so Nahles. Wenn jemand aus Arbeitslosengeld I in die Grundsicherung fällt, soll es zudem eine zweijährige Schonzeit geben, bevor auf Vermögen oder die Wohnungsgröße geschaut wird. Was heute Hartz IV genannt wird, soll künftig Bürgergeld heißen.
Union beklagt Linksruck
Das alles ist im Koalitionsvertrag mit der Union nicht vorgesehen. Dasselbe gilt auch für den Plan von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Grundrente für Geringverdiener auch ohne Bedürftigkeitsprüfung auszugeben.
In der Union wird der neue Kurs der SPD als Linksruck gewertet. Entsprechend hart fällt die Kritik des Koalitionspartners aus. So kritisierte CSU-Chef Markus Söder besonders, dass das Grundrenten-Modell Heils nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt ist. „Wir verhandeln keinen neuen Koalitionsvertrag“, sagte er. Natürlich rede man miteinander, „aber es darf keinen ideologischen Linksruck der Regierung geben“, fügte er hinzu.
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier ging noch weiter. „Die SPD plant die Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft“, sagte der hessische Ministerpräsident der Funke-Mediengruppe. Nahles sagte, das SPD-Konzept werde nicht am Geld scheitern. Schließlich sei es auch das Ziel, Menschen durch gute Weiterbildungsangebote schneller wieder in Arbeit zu bringen.
In der SPD ist aufmerksam registriert worden, dass die Pläne für die Grundrente für Geringverdiener in der Bevölkerung gut ankommen. Laut Umfragen sind mehr als 60 Prozent der Deutschen dafür. In einer Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ legte die SPD gegenüber der Vorwoche einen Prozentpunkt zu – und kam auf 17 Prozent. Damit lag sie erstmals seit Monaten wieder gleichauf mit den zuletzt so erfolgreichen Grünen.
Der Versuch eines Befreiungsschlags
Mit der Verabschiedung des neuen Sozialstaatskonzepts versucht auch Parteichefin Andrea Nahles den Befreiungsschlag. Sie steht seit Monaten wegen der schlechten Umfragewerte in der Kritik.
Der Parteienforscher Oskar Niedermayer geht davon aus, die SPD werde kurzfristig davon profitieren, dass sie plakativ den Abschied von Hartz IV ankündige. "Es spricht aber einiges dafür, dass sich das Ganze als Strohfeuer herausstellt", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Denn zur Kernklientel der Sozialdemokraten gehöre nicht zuletzt der aufstiegsorientierte Facharbeiter, der nachrechnen werde, was ihn manche Forderung koste. Zudem ließen sich die Probleme der SPD nicht allein mit Sozialleistungen lösen.
In der SPD glauben viele, dass das Ergebnis in der Europawahl über das Schicksal von Parteichefin Nahles entscheiden werde. Dort holte die SPD im Jahr 2014 27,3 Prozent der Stimmen. Die Erwartungen in der Partei sind durch die schlechten Umfrageergebnisse allerdings gesunken. Es gibt in der SPD einige, die glauben, für Nahles würden 18 Prozent bei der Europawahl reichen. Es müsse sich ja auch erst mal jemand finden, der in der schwierigen Lage nach dem Job des Parteichefs greife. So wird es geraunt.
Der frühere Kanzler Gerhard Schröder hatte Nahles zuletzt "Amateurfehler" vorgeworfen. Gleichzeitig stiftete Sigmar Gabriel durch kritische Bemerkungen über Nahles Unruhe – und stellte im "Spiegel" sogar die große Koalition in Frage.
Parteienforscher: Gabriel und Schröder schaden der SPD
Parteiforscher Niedermayer sagte dazu: „Die Wortkombination ehemaliger Parteivorsitzender besteht aus dem Substantiv Parteivorsitzender und dem Adjektiv ehemalig. Es wäre hilfreich für die SPD, wenn Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel das nicht vergessen würden und sich verbal zurückhielten.“ Er setzte hinzu: „Was die beiden tun, schadet der SPD.“
Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der SPD, Sebastian Hartmann, sagte dem RND: „Die SPD hat diese Woche erfolgreich gezeigt, wie sie guten Konzepten unser Land voranbringen will. Das ist der richtige Weg zu neuer Stärke.“ Hartmann setzte hinzu: „Die Vergabe interner Haltungsnoten hilft dabei nicht, sondern verdeckt das Wesentliche und schadet nur. Das gilt für alle.“
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Von Tobias Peter/RND