Die schwierige Versöhnung mit dem Widerstand
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Von oben links im Uhrzeigersinn: Julius Leber, Hans und Sophie Scholl, Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Hilde Coppi,
© Quelle: bagi1998/iStock/dpa-Archiv
Berlin. Am 21. Juli 1944, um ein Uhr morgens, haben alle Gewissheit: Adolf Hitler hat zwölf Stunden zuvor einen Bombenanschlag im Führerhauptquartier Wolfsschanze leicht verletzt überlebt. „Die Behauptung dieser Usurpatoren, dass ich nicht mehr lebte, wird jetzt in diesem Augenblick widerlegt, da ich zu euch, meine lieben Volksgenossen, spreche“, schnarrt die Stimme des Führers aus Radioempfängern in deutsche Wohnzimmer.
Der von Wehrmachtsoffizieren um Henning von Tresckow, Ludwig Beck und Erwin von Witzleben sowie dem langjährigen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler seit Jahren geplante Putsch gegen Hitler ist gescheitert. Einige der insgesamt rund 300 Verschwörer sterben noch in dieser Nacht im Hof des Berliner Bendlerblocks, dem Sitz des Allgemeinen Heeresamts und des Oberkommandos des Heeres – unter ihnen Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Attentäter aus dem Führerhauptquartier.
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Hermann Göring (Dritter von links) und Reichsminister Martin Bormann (links) besichtigen das Führerhauptquartier "Wolfsschanze" nach dem Bombenanschlag vom 20. Juli 1944.
© Quelle: epd
Es war nicht das erste Attentat auf Hitler. 1939 scheiterte Georg Elser, ein Schreiner, als Einzeltäter. Hitler hatte den Münchner Bürgerbräukeller 13 Minuten vor der Bombenexplosion, die ihn höchstwahrscheinlich getötet hätte, verlassen. Elser wurde einen Monat vor Kriegsende im KZ Dachau erschossen. Auch etlichen Militärs gelang es nie, Gedankenspiele oder konkrete Planungen in die Tat umzusetzen. Zufälle, Verrat oder schlicht Mutlosigkeit im letzten Augenblick verhinderten Anschläge auf den Diktator. Selbst Stauffenberg setzte dreimal an, ehe er die Bombe am 20. Juli 1944 im ostpreußischen Rastenburg, dem heutigen Ketrzyn, zünden konnte.
Heute, 75 Jahre nach den dramatischen Ereignissen, gehört die Wand, an der Stauffenberg und einige Mitverschwörer im Kugelhagel starben, zur Gedenkstätte Deutscher Widerstand. 120 000 Gäste besuchen inzwischen pro Jahr die Dauerausstellung „Stille Helden“. Tendenz steigend.
Im Ehrenhof steht seit den 1950er-Jahren die Bronzefigur eines an den Händen gefesselten jungen Mannes und die Inschrift: „Ihr trugt die Schande nicht, Ihr wehrtet Euch, Ihr gabt das große ewig wache Zeichen der Umkehr, opfernd Euer heißes Leben für Freiheit, Recht und Ehre.“ Seit 1993 hat hier im Bendlerblock, aufgrund der „bedeutsamen Stelle“ des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, das Bundesverteidigungsministerium seinen zweiten Dienstsitz. Volker Rühe (CDU) hieß damals der Minister.
Die Haltung der Bundeswehr
Die Entscheidung Rühes war wie ein Ausrufezeichen: Die Bundeswehr stellt sich in die Tradition des militärischen Widerstands gegen das NS-Regime. „In der Verteidigung rechtsstaatlicher Grundsätze und im Eintreten für die Würde des Menschen sieht sie ihre vornehmste Aufgabe“, sagte er damals. „Dies verbindet sie mit den Frauen und Männern des 20. Juli 1944.“
24 Jahre später attestierte Rühes Amtsnachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) der Bundeswehr jedoch nach Bekanntwerden rechtsextremistischer Umtriebe „ein Haltungsproblem“ und „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“. Wie schwierig ist also das Verhältnis der Deutschen zum Widerstand in der Nazi-Zeit – und wie mächtig ist das Vermächtnis der Widerständler?
„Sie galten als Nestbeschmutzer und Verräter“
Die am Freitag eröffnete Sonderausstellung „Ihr trugt die Schande nicht …“ in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand beleuchtet die frühen Erinnerungen an den 20. Juli 1944. Gedenkstättenleiter Johannes Tuchel ist gespannt auf die Reaktionen. „Denn was uns heute als Selbstverständlichkeit scheint, nämlich die Widerständler gegen die NS-Diktatur zu ehren, ist in Wahrheit ein mühseliger Weg gewesen.“ Zunächst konzentrierte sich die Widerstandsbetrachtung der Deutschen nach dem Krieg widerwillig auf Stauffenberg und die Verschwörer des 20. Juli, erklärt Tuchel. „Sie galten als Nestbeschmutzer und Verräter, ihre Familien wurden noch lange schlecht behandelt.“ Der Widerstand sei wie ein Spiegel für die Deutschen gewesen. „Und manchmal schaut man da nicht gern hinein.“
Mit der Teilung Deutschlands trennte sich auch die Widerstandswahrnehmung: in der Bundesrepublik Stauffenberg, in der DDR die kommunistische Arbeiterbewegung – grob gesagt. Doch der Widerstand gegen Hitler, seinen Krieg, die innere Unterdrückung durch die Nationalsozialisten, die Verfolgung von Juden sowie die Verbrechen in Konzentrationslagern und in unterjochten Ländern war nie einseitig. Auch wenn die Zahl der Widerständler insgesamt, gemessen an der Zahl der Bevölkerung, äußerst gering blieb: „Es gab diesen Widerstand “, sagt Johannes Tuchel. „Und darüber muss geredet werden.“
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„Alles, was das NS-System geschwächt hat, war Widerstand“: Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
© Quelle: Rolf Zöllner/epd
Heute gilt die „Weiße Rose“ als beispielhaft für den Widerstand von Jugendlichen und Studenten in der Nazi-Zeit. Die Gruppierung um die später hingerichteten Hans Scholl und Alexander Schmorell aus München rief auf Flugblättern zum Bruch mit Hitler auf.
Auch in Kirchen wurde gegen Hitler gearbeitet – zumindest von Christen, die sich gegen die Gleichschaltung wehrten. Die Pastoren Martin Niemöller und der 1945 auf ausdrücklichen Befehl Hitlers im KZ Flossenbürg hingerichtete Dietrich Bonhoeffer zählten zu den aktivsten Mitgliedern im „Kirchenkampf“.
Widerstand formierte sich natürlich vor allem in den Reihen der in die Illegalität gezwungenen Kommunistischen Partei (KPD) und der 1933 verbotenen SPD. Die Kommunisten waren durch Verhaftungswellen stark geschwächt und mussten sich quasi hinter Gittern oder bei den Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg reorganisieren.
Hinrichtung nach Verrat
Besonders schlagkräftig war eine rund 500-köpfige Gruppe um die KPD-Politiker Anton Saefkow, Bernhard Bästlein und Franz Jacob, die 1944 nach Verrat hingerichtet wurden.
Die SPD-Politiker Julius Leber und Adolf Reichwein hatten sowohl Kontakte zur operativen KPD-Leitung unter Saefkow, Bästlein und Jacob als auch zu den Verschwörern des 20. Juli. Auch sie bezahlten ihren Widerstand mit dem Leben.
In der Wehrmacht gab es jedoch nicht nur die hohen Offiziere, die Hitler beseitigen wollten. In der „Roten Kapelle“ mit Männern wie den 1942 hingerichteten Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack versammelten sich 150 Soldaten, Offiziere und Zivilisten.
Erst 1986 gab es eine „breite Ausstellung“
1943 schlossen sich im Nationalkomitee Freies Deutschland und im Bund Deutscher Offiziere in sowjetischer Kriegsgefangenschaft deutsche Soldaten, Offiziere und kommunistische Emigranten zusammen, um vor allem an den Fronten Hitlers Truppen propagandistisch zu desillusionieren und zur Desertion aufzufordern. Hier trafen Generale wie Walther von Seydlitz und Generalfeldmarschall Friedrich Paulus auf Kommunisten wie den späteren DDR-Staatschef Walter Ulbricht.
Vertreter aller Richtungen sind inzwischen in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand mit Biografien und Erinnerungen vertreten. „Der Blick hat sich geweitet“, sagt Gedenkstättenleiter Tuchel. „Alles, was das NS-System geschwächt hat, war Widerstand.“ Er räumt aber ein, dass seine Institution erst 1986 eine „breite Ausstellung“ über den Widerstand in Deutschland hinbekommen habe.
Ein Todesurteil hatte bis 2006 Bestand
Schleppend verlief auch die rechtliche Rehabilitierung. Erst 1998 wurden die Urteile, die der Volksgerichtshof gegen Widerständler verhängt hatte, aufgehoben. Das vom Reichskriegsgericht 1942 verhängte Todesurteil gegen Schulze-Boysen hatte sogar bis zu seiner Aufhebung im Jahr 2006 Bestand – 63 Jahre nach der Hinrichtung des Reserveoffiziers.
In seiner letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause würdigte der Bundestag Ende Juni gerade noch rechtzeitig vor dem 75. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Antrag der Koalitionsfraktionen ausdrücklich die Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In dem Antrag, dem alle Fraktionen außer der AfD zustimmten, betonen die Parlamentarier die unzureichende Betrachtung des Mutes, der Leistungen und der Leiden der Frauen im Widerstand nach 1945.
Sippenhaft für die Angehörigen
Dazu gehört auch die Sippenhaft, in die Frauen und Kinder der Verschwörer nach dem gescheiterten Attentat gerieten. Die Gestapo verschleppte 46 Kinder in ein Heim in Bad Sachsa am Harz. Sie sollten später bei Adoptiveltern aufwachsen. Geschwister können sich monatelang nicht sehen. Ihnen wird verboten, den alten Namen zu nennen oder über die Vergangenheit zu reden. Geschwiegen wurde darüber auch noch lange nach dem Krieg.
Gedenkstättenbesucher der Fridays-for-Future-Generation fragen genau an diesen Stellen nach, hat Tuchel beobachtet. „Wir müssen den Widerstand wieder mehr aus der Zeit heraus erklären“, sagt Gedenkstättenchef Tuchel durchaus selbstkritisch. „Jugendlichen der digitalen Generation sind Flugblätter beispielsweise ziemlich fremd, geschweige denn wie gefährlich und aufwendig es damals war, sie ohne Smartphones, Whatsapp und Kopierer herzustellen oder Inhalte zu verbreiten.“
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„Ihr wehrtet Euch“: Bronzeskulptur im Hof des Bendlerblocks zu Ehren der Widerständler.
© Quelle: Sean Gallup/Getty
Letztlich ging und geht es bei der Betrachtung des deutschen Widerstands in der Nazi-Zeit immer um Haltungen, Verhalten und Handlungsmöglichkeiten in einer Diktatur, so Tuchel. Dass die Neue Rechte von Identitärer Bewegung bis zur AfD Stauffenbergs Widerstand als Vorboten einer konservativen Revolution interpretiert, hält er für „eine Instrumentalisierung und Missbrauch des Widerstandsbegriffs“. Sein Mantra vor jungen Leuten: Politisches Handeln und politische Teilhabe gibt es nur in einer Demokratie.
Tuchel muss aber auch häufig Wohlmeinenden den Zahn ziehen, dass der Widerstand gegen die Nazis bei der Gründung der Bundesrepbulik zum Identitätskern gehörte. „Dazu war er zu schwach“, sagt er. „Leider.“
Von Thoralf Cleven