Die Kinderfernsehfalle: Wie Laschet im Schülerinterview zum dünnhäutigen Grummelonkel wurde

Schlechte Laune lieber nicht an Kindern auslassen: CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet.

Schlechte Laune lieber nicht an Kindern auslassen: CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet.

Kinder fragen, Politiker antworten. Es ist eine putzige Spielart des Politentertainment. Im Kuschelsetting einer Kindersendung glaubt so mancher Wahlkämpfer, Spuren von Menschlichkeit offenbaren zu können, ohne dass ihm jeder Halbsatz um die Ohren fliegt. Was für ein Irrtum.

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Am Wochenende erst hat sich der 13-jährige Kinderreporter Alexander im Auftrag der ARD/ZDF-Kindernachrichten „logo!“ Meriten verdient, als er den AfD-Spitzenkandidaten Tino Chrupalla nach seinem Lieblingsgedicht fragte. Chrupalla hatte zuvor vor der Kamera die wohlfeil-pauschale Forderung nach „mehr deutschem Kulturgut“ in Schulen aufgestellt, offenbar in Unkenntnis aktueller Lehrpläne. „Was ist denn Ihr Lieblingsgedicht eigentlich?“, fragte Alexander. Chrupalla schwieg. Und eierte dann herum. „Deutsches Lieblingsgedicht?“, hakte Alexander nach. Chrupalla sah schlecht aus: „Da fällt mir jetzt gerade keines ein.“ Hohngezisch in den sozialen Medien, man mokierte sich lustvoll über die Bildungsferne der angeblichen Kulturverteidiger der AfD und sang Loblieder auf Alexanders erstaunliche Unerschütterlichkeit.

"Da fällt mir jetzt gerade keines ein": AFD-Spitzenkandidat Tino Chrupalla im Gespräch mit ZDF-Kinderreporter Alexander (13).

"Da fällt mir jetzt gerade keines ein": AFD-Spitzenkandidat Tino Chrupalla im Gespräch mit ZDF-Kinderreporter Alexander (13).

Wolkige Onkelhaftigkeiten sind nicht genug

Könnte es sein, dass Kinderreporter in diesem merkwürdigen Wahlkampf eine bessere Figur machen als so manche öffentlich-rechtliche Triellmoderatorin? Und könnte es sein, dass die berühmte Kinderfernsehfalle in den Wahlkampfzentralen noch immer weitgehend unbekannt ist?

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Chrupallas Irrtum bestand darin, anzunehmen, Kinder ließen sich, weil sie eben Kinder sind, mit ein paar wolkigen Onkelhaftigkeiten abspeisen. In exakt dieselbe Falle ist nun auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet getappt: Für Klaas Heufer-Umlaufs Pro7-Show „Late Night Berlin“ ließ er sich in einem plüschigen Zirkuszelt zwischen Lichterketten, Teddybär und Kuschelkissen auf winzigen Stühlen von zwei elfjährigen Kindern interviewen („Kinder fragen Kanzler*innen“). Romeo und Pauline jedoch waren – Vorsicht, Falle! – mit durchaus erwachsenen Fragen ausgerüstet. Beispielthema „Ehe für alle“:

- „Hast du etwas dagegen, dass Männer heiraten dürfen?“, fragt Romeo Laschet.

- „Nein“, behauptet Laschet.

- „Aber du wolltest nicht dafür stimmen?“, entgegnet Romeo.

- „Nein, ich war ja gar nicht im Bundestag? Wer kommt denn auf so komische Ideen?“

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- „Du hast Interviews gegeben, wo du gesagt hast, du willst das nicht.“

- „Nee, das stimmt nicht“, sagt Laschet durchaus angefressen. Aber das Gegenteil ist wahr: In einem „Spiegel“-Interview 2017 hatte Laschet klar gesagt, er sei zwar „dafür, jegliche Diskriminierungen von Menschen abzubauen, die andere Lebensformen als die Ehe bevorzugen“. Aber dem entsprechenden Antrag der SPD hätte er im Bundestag „wie Merkel nicht zugestimmt, weil er auch verfassungsrechtlich nicht in Ordnung ist“.

- „Im ‚Spiegel‘“, präzisiert Romeo dementsprechend völlig korrekt.

- „Du hast schon den ‚Spiegel‘ vor so langer Zeit gelesen“, staunt Laschet ironisch. „Das ist aber toll, dass du das kannst.“

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Natürlich hat Romeo den „Spiegel“ 2017 nicht gelesen. Statt aber die vollkommen zulässige Frage freundlich zu beantworten, flüchtet Laschet in eine generöse Ridikülisierung. Er zieht die Erwachsenenkarte, kanzelt Romeo brüsk ab, zweifelt seine Frage an und kaschiert damit die Tatsache, dass er zuvor versucht hat, Romeo inhaltlich zu beschubsen. Und tut damit alles dafür, wie ein dünnhäutiger Grummelonkel rüberzukommen, der das nervige Gör in seine Schranken weist. Als der Elfjährige etwas später nach dem CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen fragt („Ist der ein Rechter?“), pampt Laschet gar, sichtlich genervt: „Kennst du den?“

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- „Ja“, sagt Romeo.

- „Und warum ist das ein Rechter?“, fragt Laschet. Er klingt jetzt wie ein Pedell in einem Heinz-Rühmann-Film, der wissen will, wer die Murmeln im Schulflur ausgekippt hat.

- „Frage ich Sie“, sagt Romeo keck.

- „Na, wenn du mich fragst: ‚Ist Hans-Georg Maaßen ein Rechter?‘, musst du ja wissen, wer Hans-Georg Maaßen ist und was der Schlimmes gemacht hat.“

- „Aber was findest du gut an ihm?“, kommt Pauline ihrem Kompagnon zur Hilfe.

Die vermeintlich naive Kinderfrage – ein alter Trick

Laschet dampft jetzt. „Ich sag doch gerade“, sagt er – „er ist in Thüringen, das ist auch ein Land in Deutschland, aufgestellt, und die Leute, die da sagen, wer soll eigentlich unseren Kreis vertreten, die haben gesagt, er soll es machen. So. Und manchmal, wenn er etwas sagt, dann widerspreche ich ihm auch. Aber wenn da jemand sagt, das ist ein Nazi – das ist unfair.“

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- „Aber was ist gut an ihm?“, beharrt Pauline.

- „Warum soll an ihm etwas gut sein?“, barmt Laschet. „Ich mache doch jetzt hier kein... Wir wollen doch hier miteinander plaudern. Wir machen doch hier keine Werbeveranstaltung für Herrn Maaßen, den du gar nicht kennst.“

„Plaudern“. Das ist das verräterischste Wort in diesem Satz. Denn genau darin besteht Laschets wie auch Chrupallas Missverständnis. Auch Kinder erkennen koffeinfreien Leertext, wenn sie welchen hören. Und sie haben feine Antennen dafür, wenn jemand sie nicht für voll nimmt. Ein elfjähriges Kind spürt in der Regel, welche Fragen wirklich wichtig sind und wann ein Erwachsener nervös wird. Ein altersgerecht informiertes Kind weiß sogar, dass es im Hambacher Forst nur vordergründig um Brandschutz ging – und dass das Gerichtsurteil, das die Legitimität des Vorgehens von Laschets Landesregierung anzweifelt, eine herbe Ohrfeige für den Landesvater war.

Im Kinderinterview angefressen: CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet.

Im Kinderinterview angefressen: CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet.

„Nach wie vielen Purzelbäumen wird dir schwindlig“

Laschet und Chrupalla sind damit auf einen der zuverlässigsten Tricks des Entblößungsfernsehens hereingefallen: die vermeintlich naive Kinderfrage. Unvergessen, wie schon 2007 ARD-Kinderreporter die erschreckende Unkenntnis von Bundespolitikern in technischen Angelegenheiten offenbarten („Frau Zypries, nennen Sie doch mal ein paar Browser“ – „Browser? Was sind jetzt noch mal Browser?“).

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Mag sein, dass es nicht die originellste TV-Idee ist, Kinder mit Fragen auszurüsten, deren Tragweite sie in der Tiefe gewiss nicht vollständig durchdringen. Mag sein, dass Pauline und Romeo sich in dem zehnminütigen Einspielfilm vorsätzlich infantiler geben, als sie es in Wahrheit sind – wenn sie zwischendurch etwa naive Pseudokinderfragen einstreuen (“Nach wie vielen Purzelbäumen wird dir schwindlig?“), um den Kandidaten in Sicherheit zu wiegen. Aber: Die Neigung, Kinder zu unterschätzen, sollte sich ein gewiefter Wahlkämpfer abtrainiert haben.

Textvorschlag für Armin Laschet, was die Maaßen-Frage angeht: Statt des patzigen „Du kennst den doch gar nicht!“ hätte er sagen können: „Das ist eine sehr schwierige Frage, Pauline. Ich finde manches von dem, was er sagt, falsch. Aber ich finde, man sollte ihn deshalb nicht gleich aus der Partei schmeißen. Es gibt in der CDU auch Menschen, die in manchen Fragen genau das Gegenteil von Maaßen sagen, und denen fühle ich mich eher verbunden.“ Stattdessen pault er sinngemäß: Was willst du eigentlich? Du bist nur ein Kind!

Eine sorgsam orchestrierte Blamage

Gewiss ist das Ziel des Formats kein echter Erkenntnisgewinn für Kinder, sondern eine sorgsam orchestrierte Blamage zur Beömmelung Erwachsener. Trotzdem war die Außenwirkung von Laschets hilflosem Strampeln verheerend. Statt auf Augenhöhe mit den Kindern zu sprechen, wirkte er wie ein huldreicher Großonkel zweiten Grades, der auf einer Familienfeier ein paar passiv-aggressive Pflichtworte mit dem Kleingemüse wechselt, damit die Gattin hinterher nicht schimpft, er habe den ganzen Abend nur schmollend in der Ecke gesessen und Zigarillos geraucht.

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Zum Fremdschämen war weniger das, was Laschet sagt, als die Art, wie er es sagt. Natürlich ist ein Wahlkampf ein zermürbender Marathon, der für jeden Kandidaten im Prinzip eine menschliche Überforderung darstellt. Man hat auch mal einen schlechten Tag. Doch die Chance, sich sympathisch, erdnah und authentisch zu geben, hat Laschet – müde und abgekämpft, wie er offenbar war – mit seiner enervierenden, pseudojovialen Oberlehrerhaftigkeit verpasst. Es wird die Wahl nicht entscheiden. Aber es passt ins Bild.

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