Die harschen Worte des Ex-Vorsitzenden – so spricht Sigmar Gabriel über die SPD
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Sigmar Gabriel war von November 2009 bis März 2017 Vorsitzender der SPD, so lange wie kein anderer seit Willy Brandt.
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Berlin. Sigmar Gabriel hat einmal mehr markige Worte zur Lage der SPD gefunden. „Ich sehe das mit großer Verzweiflung und auch wachsendem Zorn, wie der Vorsitz der SPD fast schon wie ein infektiöses Kleidungsstück behandelt wird, das sich niemand ins Haus holen will“, hat er gesagt.
Es ist ein harsches Urteil, das der Mann, der siebeneinhalb Jahre lang selbst die Partei geführt hat, hier abgibt. Zumal bereits zwei Duos ihre Kandidatur um den Parteivorsitz angekündigt haben – und die Bewerbungsfrist noch bis zum 1. September läuft.
Gabriel, 59 Jahre alt, hat in der SPD eine große politische Karriere hingelegt – bis hin zum Außenminister und Vize-Kanzler. Doch die Äußerungen aus der "Bild am Sonntag" zur Vorsitzenden-Suche in der SPD sind zweifellos nicht die ersten seit seinem Abtritt als Vorsitzender im Jahr 2017, mit denen er der eigenen Partei das Leben schwer macht.
„Der Mann mit den Haaren im Gesicht“
Der Politiker aus Goslar hatte Anfang 2017 seinen Rückzug von der Parteispitze erklärt, weil er einen anderen für den aussichtsreicheren Kanzlerkandidaten hielt: Martin Schulz. Dieser Schritt war Gabriel damals von vielen hoch angerechnet worden. Doch auch Gabriel profitierte: Er wurde Außenminister, hatte blendende Umfragewerte. Und er stahl dem Kanzlerkandidaten Schulz nach Auffassung vieler Beobachter immer wieder – mal bewusst, mal unbewusst – die Show.
Als im Jahr 2018 klar wurde, dass Gabriel nicht noch erneut Außenminister würde, rechnete er offen mit Schulz ab. Seine kleine Tochter Marie habe ihm, so Gabriel, gesagt: "Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht." Gabriel entschuldigte sich später bei Schulz, die beiden versöhnten sich.
Klimaschutz versus Industriearbeitsplätze
Doch nicht nur in – ihn selbst betreffenden – Personalfragen, sondern auch inhaltlich hielt Gabriel sich als Ex-Vorsitzender zulasten seiner Nachfolger nicht zurück. Viele in der Partei rieben sich die Augen, als Gabriel Ende 2017 nach der verlorenen Bundestagswahl im „Spiegel“ seine Partei zu einer Debatte über Begriffe wie „Heimat“ und „Leitkultur“ aufrief.
Gabriel kritisierte zudem, Sozialdemokraten hätten sich in postmodernen liberalen Debatten oft zu sehr wohlgefühlt. „Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze, Datenschutz war wichtiger als innere Sicherheit."
Das Erstaunen in der SPD bezog sich auf zweierlei: Warum grätschte Gabriel seinen Nachfolgern so aggressiv ins Geschäft? Und: War ihm eigentlich klar, dass jede Kritik am Kurs der SPD eine an ihm selbst sein musste, da er die Partei so lange geführt hatte wie keiner seit Willy Brandt?
Vergiftetes Lob und „Entgiftung“
Als Andrea Nahles – Gabriels einstige Generalsekretärin – die Nachfolgerin von Martin Schulz als Parteivorsitzende wurde, hatte sie es erst recht nicht leicht. Als die SPD Anfang 2019 mit dem Sozialstaatskonzept zur Überwindung von Hartz IV und Grundrenten-Plänen eine Chance auf Aufwind hatte, kam vergiftetes Lob von Gabriel.
Die Vorschläge von Sozialminister Hubertus Heil seien "fair, gerecht und überfällig", schrieb Gabriel auf Twitter. "Er bringt das Sozialministerium auf Kurs, das noch vor zwei Jahren die Grundrente gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert hatte. Gut so." Arbeitsministerin war damals Nahles. Als Nahles zurücktrat, forderte Gabriel eine "Entgiftung" innerhalb der Partei.
„Solange die SPD sich nur mit sich selbst beschäftigt, solange es nur um das Durchsetzen oder Verhindern von innerparteilichen Machtpositionen geht, werden die Menschen sich weiter von uns abwenden“, sagte er der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“.
Die SPD hat einen hohen Verschleiß an Führungskräften – und damit eine ganze Reihe Ex-Vorsitzende, die sich immer mal wieder zur Lage der Partei äußern. Vielleicht lässt auch das manchen potenziellen Kandidaten auf die SPD schauen wie auf ein Kleidungsstück, das man besser im Schrank liegen lässt.
Von Tobias Peter/RND